Frankfurt: „Le Cantatrici Villane“, Valentino Fioravanti

Premierenbericht vom 23. Januar 2016

Eine Leistungsschau der Frankfurter Talentschmiede

Es soll eine von Napoleons Lieblingsopern gewesen sein. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war sie außerordentlich populär. Sogar Goethe inszenierte sie in Weimar. Heute aber sind der Komponist Valentino Fioravanti und sein Erfolgsstück „Le cantatrici villane“ völlig in Vergessenheit geraten. Selbst in Ulrich Schreibers monumentaler Geschichte des Musiktheaters in fünf Bänden taucht der Name des Komponisten bloß ein einziges Mal in einem abfälligen Nebensatz auf, wo er als „längst vergessener Traditionalist“ geschmäht wird. Daß dieses Urteil ungerecht ist, zeigt die jüngste Premiere der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot. Das 1799 in Neapel uraufgeführte Dramma giocoso steht musikalisch natürlich in der Tradition seiner Zeit, klingt aber gerade in den Ensemble-Nummern schon wie früher Rossini. Was dem Orchestersatz an harmonischer Finesse fehlt, macht er durch farbige Instrumentierung wett. Unter der zupackenden Leitung von Karsten Januschke präsentiert das Frankfurter Opernorchester die Partitur frisch und energiegeladen. Durch geschärfte Akzente entsteht ein unwiderstehlicher rhythmischer Drive. Die Streicher spielen historisierend vibratoarm und sorgen für ein transparentes und doch tongesättigtes Klanggerüst. Die Holzbläser bewältigen ihre mitunter virtuos fordernden Partien (Klarinette! Oboe!) tadellos. Die Hörner setzen präzise Farbakzente. In dieser konzentrierten und doch lockeren Selbstverständlichkeit hätte man den Musikern selbst beim Spielen von Tonleitern gerne eine Weile zugehört.

Karsten Januschke (Musikalische Leitung; mit dem Rücken zum Betrachter) und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester sowie im Hintergrund das Ensemble

Ansteckende Spiellaune herrscht auch auf der Bühne. Der Dirigent Don Bucefalo entdeckt auf dem Lande gleich vier talentierte Sopranstimmen, die er zu Opernstars aufbauen will. Ein vergnüglicher Sängerinnenwettstreit entbrennt. Daß sowohl der Dirigent als auch sein unbegabter, aber finanzkräftiger Gesangsschüler Don Marco sich an je eine der Damen heranwanzen, führt zu amourösen Weiterungen. Für zusätzliche Verwicklungen sorgt der aus dem Krieg heimkehrende, verschollen geglaubte Ehemann ausgerechnet der Sängerin, auf die Don Bucefalo es abgesehen hat. Es ist ein typischer Buffa-Plot, der keinen Anspruch auf Tiefe erhebt. Reizvoll ist der Stoff durch seine Theater-im-Theater-Konstellation. „Spieglein, Spieglein“ hat die Dramaturgin Deborah Einspieler ihren Einführungsessay im Programmheft überschrieben. Die Inszenierung von Caterina Panti Liberovici ist dementsprechend gespickt mit Frankfurter Selbstreferenzen. So sind die großen Vorbilder der angehenden Sängerinnen „La Mahnke“ und „La Murrihy“, die dargestellten Proben dienen einer angeblichen Aufführung im „Bockenheimer Depot“, dessen Eingangsbereich als Projektion im Bühnenbild des zweiten Teils zitiert wird. Bühnenbildner Sergio Mariotti läßt das Stück in einem Zuschauerraum spielen. Anders als im realen Zuschauerraum des Bockenheimer Depots sind die Klappsitze auf der Bühne aber rot. Es soll eben nicht dem Publikum ein Spiegel vorgehalten werden, sondern dem Theaterapparat selbst. Das Produktionsteam übertreibt es dabei nicht mit aufgepfropften Gags, setzt aktualisierende Akzente etwa bei der Übertitelung dezent ein und erzeugt eine spielerische Heiterkeit, die unverkrampft über zwei Stunden Spieldauer trägt.

Michael Porter (Carlino), Jessica Strong (Rosa), Björn Bürger (Don Bucefalo), Thomas Faulkner (Don Marco), Maren Favela (Giannetta) und Karen Vuong (Agata)

Die Sängerbesetzung schöpft aus der staunenswerten Fülle an jungen Talenten des hauseigenen Ensembles und Opernstudios. Im Zentrum steht der wunderbare Björn Bürger, der mit seinem Prachtbariton und großem Spielwitz die Buffopartie des Don Bucefalo zur großen Nummer macht. Den Don Marco gibt Thomas Faulkner schlaksig-tapsig und kann seinen eleganten Baßbariton auch bei solchen Stellen nicht verbergen, wo er gehalten ist, absichtlich falsch zu singen. Es wäre ein Gewinn, wenn er recht bald vom Opernstudio ins feste Ensemble übernommen werden könnte. Diesen Weg ist Michael Porter bereits gegangen, der zuletzt als Steuermann im „Fliegenden Holländer“ auf sich aufmerksam gemacht hat. Hier singt er den eifersüchtigen Ehemann Carlino mit lyrischem Mozarttenor. Da dürften in kommenden Spielzeiten bald der Tamino und der Ferrando anstehen, auf die man sich freuen kann.

Bei den vier Sängerinnen hat der Komponist eine klare Rangstufung vorgenommen. So darf Jessica Strong sich als Rosa in der musikalisch attraktivsten, aber auch virtuosesten Partie präsentieren. Es gelingt ihr mit Leichtigkeit. Ihr enormes Potential zu differenzierter stimmlicher Rollengestaltung kommt aber erst durch einen musikalisch-szenischen Eingriff der Regisseurin zum Vorschein. Im ursprünglichen Libretto soll die Sängerin an einem Probestück nach wenigen Takten scheitern. In der Frankfurter Produktion jedoch wird an dieser Stelle eine originale Gluck-Arie aus der Oper „Ezio“ in voller Länge dargeboten, die im Gegenteil glänzend bewältigt wird. Sie bietet einen ernsten, erfüllten Ruhepol im turbulenten Geschehen. Jessica Strong singt diese Arie in differenzierter Vollendung und wird dabei von Januschke und seinen Musikern auf Händen getragen. Wenn demnächst die Frankfurter Inszenierung von Glucks „Ezio“ wiederaufgenommen werden sollte, dann möchten wir unbedingt „La Strong“ als Fulvia hören und bitte auch Januschke im Orchestergraben erleben.

Björn Bürger (Don Bucefalo), Jessica Strong (Rosa) und Karen Vuong (Agata) sowie Michael Porter (Carlino)und Statisterie der Oper Frankfurt (Carlinos Schatten)

Nach dem Willen der Partitur darf Karen Vuong als Agata nicht die Primadonna sein. Sie verfügt für ihren ebenfalls mit einigen halsbrecherischen Koloraturen gespickten Part über die im Vergleich zur Strong üppigere, auch schwerere Stimme, was einen reizvollen Kontrast ergibt. Den dritten Platz teilen sich Maren Favela als Giannetta und Katharina Ruckgraber als Nunziella, die in ihren kleineren Partien glänzen können.

Musikalisch und szenisch läßt die Produktion ein vergessenes Stück in bestem Licht erscheinen. Diese Ausgrabung sollte nicht nur Musikhistoriker interessieren. Sie bietet rechtzeitig zur Karnevalssaison zwei heitere Stunden guter Unterhaltung verbunden mit einer Leistungsschau der Frankfurter Talentschmiede.

Michael Demel, 25. Januar 2016

Weitere Vorstellungen am 27., 29. und 31. Januar sowie am 4., 6. und 7. Februar.

Bilder: Barbara Aumüller