Frankfurt: „Le nozze di Figaro“, Wolfgang Amadeus Mozart

Mozarts Figaro, zweite Aufführung einer Wiederaufnahmeserie: Das ist für einen Kritiker eigentlich Rezensionsroutine. Dutzende Aufführungen dieses unverwüstlichen Repertoire-Schlachtrosses hat man sich im Laufe der Jahre schon angesehen und angehört, auch in Frankfurt, wo die Vorgängerinszenierung unzählige Wiederaufnahmen erlebt hat, mal bessere, mal schlechtere. Nun also die erste Wiederaufnahme jener Produktion, mit welcher der neue Generalmusikdirektor vor einem guten Jahr seinen Einstand gefeiert hatte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Eigentlich haben wir diese Aufführung nur besucht, weil wir neugierig darauf waren, wie Nombulelo Yende sich als Gräfin machen würde. Und dann wurde es ein unerwartet großartiger Abend, bei dem einfach so vieles geglückt ist, daß man gar nicht weiß, womit man beginnen soll, am besten also mit dem Anfang. Schon bei der Ouvertüre nämlich zeigen sich die Merkmale im Orchesterklang, welche die folgenden dreieinhalb Stunden (abzüglich einer Pause) prägen werden. Es wird vollmundig musiziert, präzise und locker zugleich, mit einer energiegeladenen Spielfreude, die man selbst beim „Orchester des Jahres“ so nicht in jeder Repertoireaufführung erlebt. Alden Gatt, den Thomas Guggeis als seinen Assistenten an das Haus am Main mitgebracht hat und der den Titel eines „Kapellmeisters“ trägt, hat offenbar einen direkten Draht zu seinen Musikern gefunden. Nebenbei begleitet er die Rezitative kreativ und geistreich am Hammerklavier. Insgesamt wählt er zügige Tempi, die jedoch nie überzogen schnell sind, nie gehetzt wirken. Gatt hebt die Holzbläser besonders hervor, die dem Gesamtklang eine wunderbare Farbigkeit verleihen. Auch im weiteren Verlauf ist man versucht, selbst bei den Arien stärker auf den Orchestersatz zu lauschen, und damit womöglich von der vorzüglichen Sängerbesetzung abgelenkt zu werden.

© Barbara Aumüller

Soweit einzelne Sänger bereits im Premierenzyklus eingesetzt waren, zeigen sie keine Abnutzungserscheinungen. Kihwan Sim in der Titelpartie hat sich zwar als erkältet ansagen lassen, präsentiert seine Paraderolle aber wie gewohnt mit der Kraft und Beweglichkeit seines virilen Baßbaritons. Er verkörpert diese Rolle auch mimisch bis in die kleinste Fingerspitze und kann mit Tönen und Text spielen, daß es eine Freude ist. Noch besser als in der Premiere ist der Cherubino von Kelsey Lauritano. Die Stimme ist in der Höhe saftiger geworden. Herrlich, wie sie in ihrem Spiel den jungen Kerl gibt und mit dem Changieren zwischen den Geschlechterrollen kokettiert. Als Luxusbesetzung adelt Karolina Bengtsson mit ihrer Prachtstimme erneut die kleine Partie der Barbarina. Als Susanna war eigentlich erneut Elena Villalón besetzt, die aber krankheitsbedingt für die besuchte Vorstellung ersetzt werden mußte. Man staunt nicht schlecht, wie perfekt und völlig selbstverständlich sich die Einspringerin Anastasiya Taratorkina in diese ausgefeilte Regiearbeit einfügt. Mit ihrem soubrettenleichten Sopran gibt sie die spritzige Spielmacherin. Mikołaj Trąbka holt an diesem Abend sein Debüt als Graf Almaviva nach und präsentiert seinen kernigen Bariton von der besten Seite. Mit ungewöhnlich jungen Stimmen besetzt ist das Buffo-Paar Marcellina und Bartolo, das von Judita Nagyová und Thomas Faulkner musikalisch nicht karikiert, sondern im schönsten Mozart-Ton gesungen wird. Michael McCown dagegen unterstreicht die Aufgeblasenheit des Basilio, indem er seinen hellen Spieltenor mit Brusttönen abdunkelt und aufpolstert. Kaum wiederzuerkennen ist er in der Verkleidung als Don Curzio. Bei Franz Mayer ist man jedes Mal, wenn er aus dem Ruhestand auf die Bühne seines Stammhauses zurückkehrt, erstaunt darüber, wie intakt und frisch seine Stimme noch klingt – so auch jetzt wieder als Gärtner Antonio. Die Besetzung ist so stimmig und rund, daß man den Satz nicht zu schreiben wagt: Nombulelo Yende als Gräfin überragt sie alle. Die junge Sängerin verfügt über eine üppig flutende Stimme mit einem dunkel leuchtenden Glutkern, der ihr ein außergewöhnliches Timbre verleiht. Unwillkürlich legt man eine Liste mit Verdi-Partien an, in der man sie gerne hören möchte. Nun also erst einmal Mozart. „Porgi, amor“, die heikle Auftrittsarie, die im Piano beginnt, muß sie im Liegen singen und findet sofort einen innerlichen Schmerzenston, der fern von Larmoyanz ist. In Duetten und Ensembles fügt sie sich gut ein und bleibt Prima inter pares.

© Barbara Aumüller

Neben der musikalischen Exzellenz ist es eine Freude, diesem bestens aufeinander abgestimmten Ensemble beim Spielen zuzusehen. Die Sänger scheinen echten Spaß auf der Bühne zu haben, und diese Laune überträgt sich auf das Publikum. Es wird viel gelacht an diesem Abend, und das bei einer Inszenierung, die sich nicht als Klamotte anbiedert, sondern einfach nur dem Text zu seinem Recht verhilft. Daran hat auch die Übersetzung in den Übertiteln ihren Anteil, die Lorenzo da Pontes geistreiches Libretto unverkrampft in flüssiges Deutsch (und daneben flüssiges Englisch) überführt. In der Premierenkritik hatten wir zur Regieleistung von Tilmann Köhler geschrieben: „Mimik, Gestik und Bewegungsabläufe sind in einem Maße detailliert ausgefeilt, daß bei künftigen Wiederaufnahmenahmen die Regieassistenten alle Hände voll zu tun haben werden.“ Silvia Gatto als szenische Leiterin dieser Wiederaufnahme hat hier ganze Arbeit geleistet.

© Barbara Aumüller

Diese zugleich unverkrampfte und genaue Inszenierung im Verbund mit der musikalischen Qualität und der ansteckenden Spielfreude aller Darsteller lenkt die Sinne auf die Genialität der Musik und die Kongenialität des Librettos. Auf der nahezu leeren Bühne erlebt man keinen überflüssigen Regieschnickschnack, sondern pure Schauspielkunst zur herrlichen Musik. Es ist ein beglückender Abend, der sein Publikum beschwingt in die Nacht entläßt.

Michael Demel, 22. Dezember 2024


Le nozze di Figaro
Oper in vier Akten von Wolfgang Amadeus Mozart

Oper Frankfurt

Vorstellung am 21. Dezember 2024
Premiere am 1. Oktober 2023

Inszenierung: Tilmann Köhler
Musikalische Leitung: Alden Gatt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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