Frankfurt: „Martha“, Friedrich von Flotow

Bei dieser Wiederaufnahme müßte man den Operntitel in „Lyonel“ ändern. Das spricht nicht gegen die Leistung von Monika Buczkowska, der als Martha ein beachtliches Rollendebüt gelingt. Vielmehr spiegelt sich in dieser Bemerkung die Begeisterung wider, welche AJ Gluckert in der männlichen Hauptpartie weckt. Der Lyonel war die Rolle, mit der Gluckert vor sieben Jahren seinen Einstand als neues Ensemblemitglied gab. Unsere Premierenkritik rühmte seinen „wunderbar gerundeten Tenor mit ungefährdeten, leuchtenden Höhen“, der das Publikum „mühelos erobert“ habe. Ein Mitschnitt des Premierenzyklus dokumentiert seine damalige Leistung (siehe CD-Tipp unten). Seitdem hat Gluckert in Frankfurt ein breites Repertoire von Bizets Don José und Puccinis Pinkerton über die Wagner-Helden Lohengrin und Stolzing bis zur Charakter-Rolle des Herodes in Richard Strauss‘ Salome erkundet. Seine Stimme ist dabei gereift und hat eine charakteristische, edel-herbe Färbung weiter ausgebaut. Nun bei der Rückkehr zu den Frankfurter Anfängen zeigt sich, daß er im Einsatz seiner technischen Mittel noch souveräner geworden ist. Erwartungsgemäß wird die Wunschkonzert-Arie „Ach so fromm, ach so traut“, deren italienische Fassung einst Caruso so schätzte, und die man von jedem der großen Tenöre in den letzten Jahrzehnten gehört hat, zum Höhepunkt, dem er nichts schuldig bleibt. Die unangestrengte musikalische Souveränität bewirkt auch eine überzeugende darstellerische Gestaltung. Selten hat man Gluckert so locker und selbstverständlich agieren sehen. Kein Zweifel: Der Frankfurter Stammsänger befindet sich auf dem Zenit seiner künstlerischen Fähigkeiten und dominiert damit die Bühne.

© Barbara Aumüller

Debütantin Monika Buczkowska bietet als Martha ein Kontrastprogramm zu der seinerzeitigen Premierenbesetzung mit der unvergleichlichen Maria Bengtsson. Wo die Bengtsson mit ihrem noblen Timbre feine Silberfäden spann und das Aristokratische der Figur dadurch betonte, geht Buczkowska handfester und mit fruchtigerer Färbung zur Sache. Daß sie sich in der Verkleidung als Bauernmagd verstellen muß, wird weniger sinnfällig. Große Momente hat sie gleichwohl: Während sie innig das berühmte Lied von der „letzten Rose“ vorträgt, ist es im Publikum mucksmäuschenstill, und selbst die Dauerhuster verstummen. Erik van Heyningen singt seinen ersten Plumkett mit dunkel getöntem, weichem Bariton und verfügt über eine ungefährdete, saftige Höhenlage. Für die erkrankte Katharina Magiera ist Anna-Katharina Tonauer vom Münchener Gärtnerplatztheater eingesprungen, die sich mit sattem Mezzo und großer Spielfreude in das gut aufeinander abgestimmte Ensemble einfügt. Sebastian Geyer macht den Lord Mickleford mit kernigem Bariton weniger zum Hanswurst als zur tragikomischen Gestalt. Der in der Rolle des Richters von Richmond bewährte Franz Mayer kann verletzungsbedingt nicht auf der Bühne agieren und singt mit sonorem Baßbariton aus dem Off. Erneut ist zu bestaunen, daß die Protagonisten nicht nur in ihren Solonummern zu glänzen wissen, sondern sich in Duetten, Quartetten und Ensembleszenen ideal ausbalanciert zu einem homogenen, leuchtenden Ganzen fügen.

Erik van Heyningen (Plumkett), Anna-Katharina Tonauer (Nancy / Julia), Monika Buczkowska (Lady Harriet Durham / Martha) und AJ Glueckert (Lyonel) / © Barbara Aumüller

Gleich die ersten Töne der Ouvertüre aus dem Orchestergraben wecken die Erwartung auf einen gelungenen Opernabend, die glänzend eingelöst wird. Das Orchester unter der Leitung von Victorien Vanoosten präsentiert Flotows Partitur farbig und transparent, im Jahrmarkttreiben mit schmissigem Drive und in lyrischen Momenten mit wunderbarer Innigkeit. Der vom Komponisten oft eingesetzte Chor hält mit Klangfülle und Lebendigkeit gut mit.

Die Regie von Katharina Thoma hat auch beim Wiedersehen nichts von ihrem kreativen Witz und ihrem traumwandlerisch sicheren Sinn für Timing verloren. Auch das Bühnenbild von Etienne Pluss unterliegt keinen Abnutzungserscheinungen. Obwohl ein klassisch holzvertäfelter Salon als Einheitsbühnenbild ununterbrochen präsent ist, sorgt das Produktionsteam für Abwechslung, in dem durch Schwingtüren in einer Art Spieldosenkarussell immer neue Gegenstände und Personen hereingefahren werden. Zum szenischen Coup werden aus dem Schnürboden heruntergelassene Bühnenelemente in Form abgerundeter Quader, die mit modernem Design im Kontrast zum patinierten Salon stehen. Im ersten Akt gleicht der Quader einem überdimensionierten Smartphone, dessen Rückwand als Display dient, auf das passend zum Text die Eingabemaske einer Online-Partnerbörse projiziert wird, denn die Damen sind ja auf der Suche nach Mr. Right. Vor dem Schlußakt kommt in dem Quader ein Double der (inzwischen verstorbenen) Queen im Hermelinmantel als Dea ex machina hereingeschwebt. Den Markt von Richmond siedelt das Team in einem zünftigen Oktoberfest-Ambiente mit queerem Einschlag an, in dem Chor und Ensemble zu einer ausgefeilt wuseligen Choreographie auflaufen. Britisch-skurril wirkt der Running Gag, einen Schlagzeuger im Frack und mit ernster Miene mitten im Bühnengeschehen aufzustellen, der einmal die Trommel rühren, ein anders Mal einen Beckenschlag ausführen, kleine und große Glocken sowie die Triangel schlagen darf.

Erik van Heyningen (Plumkett) und Damenchor der Oper Frankfurt / © Barbara Aumüller

Die Oper Frankfurt verfügt mit der Martha über eine Produktion, die das Publikum mit ihrem spritzigen Humor und ihrer szenischen Intelligenz immer wieder hinzureißen vermag. Auch bei dieser Wiederaufnahme treffen spielfreudige Sänger mit ausgezeichneten Gesangsleistungen auf ein gut aufgelegtes Orchester. So beschwingt und gut gelaunt sieht man Opernbesucher selten aus dem Theater kommen.

Michael Demel, 12. November 2023


Martha
Romantisch-komische Oper von Friedrich von Flotow

Oper Frankfurt

Wiederaufnahme am 11. November 2023
Premiere am 16. Oktober 2016

Inszenierung: Katharina Thoma
Musikalische Leitung: Victorien Vanoosten
Frankfurter Oper- und Museumsorchester

Trailer

Weitere Aufführungen: 19. November, 7., 9., 14., 16. und 22. Dezember 2023


CD-Tipp: