Frankfurt: „Partenope“, Georg Friedrich Händel

Wenn die Oper Frankfurt Händel im Bockenheimer Depot gibt, dann sind Empfehlungen der Kritiker müßig, denn es stehen meist ohnehin keine Karten mehr zum Verkauf. Auch in diesem Jahr waren die insgesamt acht Vorstellungen Wochen vor der Premiere ausgebucht. Bleibt also nur, denen, die leer ausgegangen sind zu schildern, was sie verpassen.
Das blinde Vertrauen des Publikums, das sich in den Vorverkaufszahlen zeigt, gründet auf der Gewißheit, daß alleine bereits die eingesetzten Frankfurter Stammkräfte für hohe Qualität bürgen. Dieses Vertrauen wird auch dieses Mal nicht enttäuscht – dazu später mehr.

© Barbara Aumüller

Was diese Neuproduktion in den Bereich des Außerordentlichen hebt, sind die Gäste. Da ist zunächst Jessica Niles in der Titelpartie. Intendant Bernd Loebe bezeichnet die junge Sängerin im Vorwort zum hauseigenen Opernmagazin als die „Brenda der Zukunft“. Er nimmt dabei Maß an Brenda Rae, die aus dem Ensemble heraus eine internationale Karriere gestartet hat und die aktuell wieder als Lulu am Großen Haus zu erleben ist. Die Parallele soll ausdrücken, daß auch Jessica Niles über eine frische, klare Sopranstimme mit stupender Technik und insbesondere makelloser Koloraturgeläufigkeit verfügt. Wenn man aber schon Vergleiche zieht, dann muß man der jungen Sängerin bescheinigen, daß ihr Ton runder, ihr Timbre wärmer ist, und auch ihre Mittel- bis Tiefenlage mehr Kraft und Volumen besitzt, als dies bei Brenda Rae der Fall ist. Man muß sie also nicht als „irgendwer der Zukunft“ bezeichnen, denn ihre Stimme, ihr Gestaltungsvermögen und ihre Bühnenpräsenz zeigen, daß sie die „Jessica Niles der Gegenwart“ ist, eine Künstlerpersönlichkeit, die mit Engagements an den Staatsopern in München und Berlin, den Salzburger Festspielen und einer regen Konzerttätigkeit mit renommierten Dirigenten auch nicht mehr als „Geheimtipp“ bezeichnet werden kann. Da aber Verträge im Operngeschäft lange Zeit im Voraus geschlossen werden, darf man der Oper Frankfurt dazu gratulieren, diese fabelhafte Sängerin rechtzeitig engagiert zu haben, bevor die nun bereits begonnene steile Karriere ihre Gage ins Unerschwingliche steigen läßt.

Apropos Brenda Rae: Ihr Triumph als Lulu ist dem Umstand zu verdanken, daß die eigentlich für die Neuproduktion vorgesehene Vera-Lotte Boecker schwangerschaftsbedingt absagen mußte. Glücklich das Haus, daß die vorgesehene Spitzenbesetzung durch eine mindestens ebenbürtige ersetzen kann! Auch die Titelpartie der wiederaufgenommenen Aida profitiert derzeit von einer hochkarätigen Einspringerin: Die fabelhafte Christina Nilsson verleiht der Figur eine stimmlich selten gehörte jugendliche Frische. Das Frankfurter Publikum kann sie bis Mitte Dezember erleben, bevor sie in derselben Rolle im März 2025 an der New Yorker MET debütieren wird.

Jessica Niles (Partenope; links) und Jarrett Porter (Ormonte; rechts) sowie in der Bildmitte Tänzer / © Barbara Aumüller

Daß neben diesen beiden hochkarätigen Einspringerinnen nun auch die Counterpartie des Arsace im Partenope kurzfristig umbesetzt werden mußte, sorgte im Vorfeld für Enttäuschungen. Zu sehr hatte man sich auf ein Wiedersehen und -hören mit Iurii Iushkevich in dieser Rolle gefreut, der mit der kleinen Partie des Nireno in Giulio Cesare vor wenigen Monaten das Frankfurter Publikum im Sturm erobert hatte und dafür vom OPERNFREUND ausgezeichnet worden war. Zunächst war nur für die ersten Vorstellungen, dann auch für die gesamte Serie ein Ersatz angekündigt worden. Der Einspringer heißt Franko Klisović und ist die Sensation des Abends. Wann hat man zuletzt einen Countertenor gehört, der die langen Bögen so wunderbar weich und mit betörender Schönheit gestalten kann, der über ein tragendes Piano verfügt, das niemals dünn ist, und der zugleich kraftvoll und geradezu muskelbepackt die Koloraturen präsentiert, um mit Aplomb strahlende Spitzentöne in das Publikum zu schleudern? So müssen zu Händels Zeiten die Kastratenstars geklungen haben. Bei dieser Stimme gibt es kaum Kompromisse und keinerlei Künstlichkeit, die auch bei renommierten Vertretern des Counterfachs immer wieder zu beobachten sind. Der junge Mann sieht auch noch blendend aus, groß und durchtrainiert, und zeigt dabei im Spiel ein durchaus facettenreiches Bild seiner Figur.

Jessica Niles (Partenope) und Franco Klisović (Arsace) / © Barbara Aumüller

Eine solche Profilierung gelingt der Regie nicht durchweg, was aber dem Libretto geschuldet ist. Regisseurin Julia Burbach hatte im Vorfeld geäußert, daß insbesondere die Titelfigur im Vergleich zu anderen Händel-Heldinnen wenig Tiefe besitze. Da kann auch die Inszenierung wenig ausrichten. Sie bemüht Elemente des epischen Theaters, etwa indem sie Partenope immer wieder vor die Bühne treten läßt, um das dortige Geschehen aus der Distanz zu beobachten. Herbert Murauer hat dafür eine Rotunde mit Lamellenvorhang gebaut, deren Inneres mit einer Mischung aus Antikeanklängen wie dem Torso eines weiblichen Aktes und modernen Einrichtungsgegenständen samt Badewanne spärlich möbliert ist. Die Handlung ist derart dünn, daß ihre Wiedergabe kaum lohnt. Mit Hilfe einer Handvoll Tänzer in griechisch-antikisierender Kampfmontur versucht Choreograph Cameron McMillan das belanglose Geschehen zu beleben. Das sieht alles sehr hübsch aus und wird von Joachim Klein stimmungsvoll ausgeleuchtet. Mehr noch als in anderen Barockopern steht aber die Musik im Vordergrund. Sie trägt den Abend über drei Stunden Dauer bis zum begeisterten Schlußapplaus.

Wieder einmal bewährt sich Kelsey Lauritano in einer Hosenrolle, dieses Mal als verschmähte Rosmira, die als Mann verkleidet an den Hof Partenopes kommt. Und wie gewohnt gelingt ihr die Mimikry stimmlich frappierend, so daß sie mit kernig-burschikosen Tönen mitunter „männlicher“ klingt als der vergeblich von ihr begehrte Countertenor. Während Lauritano eine Frau singt, die sich als Mann ausgibt, ist Cláudia Ribas tatsächlich in einer Männerrolle besetzt, der des Prinzen von Rhodos, dem sie ihre wunderbar satte Altstimme leiht. Magnus Dietrichs Tenor strebt unüberhörbar ins jugendliche Heldenfach und wächst über die größere Beweglichkeit erfordernden Barockpartien langsam hinaus, paßt hier aber wunderbar zu dem gockelhaft-kraftprotzenden Fürsten von Cumae, für den ihn Kostümbildnerin Raphaela Rose in die schreiend rote Karikatur einer griechischen Kampfmontur gesteckt hat. Jarrett Porter als Leibwächter Ormonte gefällt mit kernigem Bariton.

Cláudia Ribas (Armindo), Franco Klisović (Arsace; mit dem Rücken zum Betrachter), Magnus Dietrich (Emilio), Kelsey Lauritano (Rosmira; am Boden sitzend) und Jessica Niles (Partenope; stehend) / © Barbara Aumüller

Das Orchester profitiert von der Barockkompetenz des Gastdirigenten George Petrou, der die Musiker zu einem kraftvollen Sound animiert. Auf dem Fundament einer vibratolos spielenden, aber gleichwohl klangsatten Streichergruppe profilieren sich die Bläser auf historischen oder jedenfalls historisierenden Instrumenten mit farbigen Soli.

Bei Partenope handelt es sich fraglos um eine der dramaturgisch schwächsten Opern Händels, die hier aber in großer musikalischer Frische und mit einer Spitzenbesetzung gerade der Hauptpartien dargeboten wird. Insgesamt ist die Produktion im Bockenheimer Depot daher wieder einmal zu einem Händel-Fest geraten. Wer es erleben durfte, wird sich auch für die nächste Händel-Oper im Depot, die gewiß kommen wird, frühzeitig Karten sichern. Denn nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.

Michael Demel, 22. November 2024


Partenope
Georg Friedrich Händel

Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot

Aufführung am 14. November 2024
Premiere am 10. November 2024

Inszenierung: Julia Burbach
Musikalische Leitung: George Petrou
Frankfurter Opern- und Museumsorchester