Frankfurt: „In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa“, Wolfgang Fortner

© Barbara Aumüller

Es ist schon erstaunlich: Da denkt man immer, Zwölftontechnik in der Musik sei trocken, sei reine Mathematik, könne keine Emotionen oder Stimmungen evozieren – und dann sitzt man in einer Oper eines Repräsentanten und Verfechters ebendieser Kompositionstechnik und ist bass erstaunt über die atmosphärische Dichte dieser Musik. Wolfgang Fortner hatte zwar als Dreissigjähriger (vielleicht aus Angst vor der Verfolgung durch die Nazis, welche er als Homosexueller fürchten musste) die Zwölftontechnik Schönbergs noch kritisiert, wurde aber nach dem Krieg zu einem bedeutenden Vertreter dieser Kompositionsweise und verfasste auch eine weitherum beachtete Abhandlung darüber. Aber eigentlich braucht man diese Hintergründe gar nicht zu kennen und die beiden verwendeten Zwölftonleitern, die er Don Perlimplín und Belisa zugrunde legt, zu erahnen, um das Werk genießen zu können. Denn vor allem in den ausladenden Zwischenspielen entfaltet sich ein Zauber der Musik, der sich nur schwer in Worte fassen lässt. Diesem Zauber wird das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der souveränen und behutsamen Leitung von Takeshi Moriuchi aufs Allerschönste gerecht. Fortner hat seinen Erotischen Bilderbogen in der Art eines Kammerspiels orchestral erstaunlich groß besetzt: Neben den Streichern, Holz- und Blechbläsern und dem Schlagwerk u.a. mit Glocken und Vibraphon bereichern ein Cembalo, eine Celesta, eine Gitarre und die Harfe den Klang, welchen Takeshi Moriuchi immer sehr durchhörbar hält. Die Ouvertüre, die Serenaden, Madrigale und die Einspielungen der im Voraus aufgezeichneten Einwürfe des unsichtbaren Kammerchors (ein exzellentes Vokalensemble stand für die Aufnahme zur Verfügung) bildeten für mich die musikalischen Höhepunkte der Partitur und der Aufführung. 

© Barbara Aumüller

Für die Stimme zu komponieren, fiel nach Richard Strauss vielen Komponisten schwer. Sie flüchteten sich (aus Angst vor zu großen Emotionen?) oftmals in einen rezitativischen Sprechgesang mit komponierten Tonhöhen. Immerhin sind bei Fortners einige ariose Aufschwünge und in der Partie von Belisas Mutter gar eine Koloraturarien-Parodie zu erleben. Anna Nekhames gestaltet die Rolle mit stimmlicher Akrobatik und umwerfender darstellerischer Spielfreude. Karolina Bengtsson als ihre Tochter Belisa begeistert, bereits mit ihrem Auftrittslied, wo sie über die Liebe sinniert (wird im Hintergrund in der Form eines Liederabends auf Leinwand übertragen). Im Verlauf des Stücks, wo die Farce langsam in die Tragikomödie und dann in die individuelle Tragik kippt, zeigt sie immer wieder ihre Krallen, aber auch ihre Verletzlichkeit. Das ist auch stimmlich wunderbar umgesetzt. Sebastian Geyer ist ein von A bis Z für sich einnehmender Don Perlimplín. Seine Stimme klingt herrlich rund und warm, ist sicher geführt und sein Spiel ist von zu Herzen gehender Natürlichkeit. Obwohl eine klassische Figur – die des schrulligen Alten – aus der Commedia dell’ Arte Pate gestanden haben mochte, wurde sie im Stück von Garcia Lorca, der Oper Fortners und vor allem in den Händen der Regisseurin Dorothea Kirschbaum nicht der Lächerlichkeit preisgegeben. Perlimplín ist hier ein pedantischer, asexuell lebender Mann in den besten Jahren, kleidet sich leicht effeminiert mit weit geschnittenen schwarzen Hosen und weich fließendem weißem Hemd. Ein kleiner, versteckter Hinweis auf eventuell verdrängte, nicht ausgelebte Homosexualität. Darauf lassen auch seine Blicke schließen, welche er den hier verfünffachten, attraktiven Männern in der roten Uniformjacke zuwirft. Am Ende, nachdem er sich zum Suizid entschlossen hat, erscheint er locker modisch gekleidet und barfuß – eine große Last scheint von seiner Seele gefallen zu sein. Das ist alles sehr dezent und feinfühlig inszeniert von Dorothea Kirschbaum und unterstrichen durch die stimmige Kostümdramaturgie von Henriette Hübschmann. (Sowohl Fortner als auch Garcia Lorca waren homosexuell zurzeit faschistischer Regimes in ihren Ländern. Während sich Fortner anzupassen versuchte, um ja nicht als Homosexueller aufzufallen, lebte Federico Garcia Lorca offener als scharf beobachtender, kritisch analysierender Künstler und Intellektueller. Lorca wurde 1936 auf offener Landstraße in der Nähe von Granada von einem Franquisten erschossen.) Vordergründig wird das Thema Homosexualität weder in Lorcas Theaterstück noch in Fortners Oper thematisiert, unterschwellig schimmert es durch, da Garcia Lorca immer wieder Figuren ins Zentrum seiner schriftstellerischen Arbeiten stellte, die an verdrängten Wünschen leiden und an nicht erfüllbaren Wertevorstellungen der Gesellschaft zerbrechen. 

© Barbara Aumüller

Eine ganz wichtige Vertrauensperson für Don Perlimplín ist seine Haushälterin Marcolfa. Wie wichtig – und auch tragisch – diese Figur ist, erfahren wir in der Aufführung ganz am Schluss. Aber darüber möchte ich nichts verraten. Das haben die wunderbar warmstimmig singende Karolina Makula als Marcolfa und die Regisseurin Dorothea Kirschbaum sehr berührend hinbekommen und damit der Geschichte eine sinnige Wendung gegeben. Herrlich spielen die Koboldchen im Haushalt Don Perlimplíns – wie sie die sorgsam aufbereitete Ordnung im Bücherschrank Don Perlimplíns durcheinanderbringen, ist unglaublich amüsant. Christoph Fischer hat ein ganz großartiges Bühnenbild für die offene Bühne des Bockenheimer Depots entworfen. In Zartrosa gehalten entwickeln die einzelnen variablen Elemente fast ein Eigenleben und lassen die Spielorte in Haus und Garten plastisch entstehen.

Man ist der Oper Frankfurt überaus dankbar dafür, dass sie ein Werk des einst recht erfolgreichen Komponisten Wolfgang Fortner dem allgemeinen Vergessen entreißt (ich persönlich kann mich nur an seine Elisabeth Tudor mit Martha Mödl anfangs der 70er Jahre am Opernhaus Zürich unter Ferdinand Leitner erinnern, danach ist mir keines seiner Bühnenwerke in den letzten 50 Jahren meiner Opernbesuche mehr begegnet). 

© Barbara Aumüller

Fazit: Eine Erst- oder Wiederbegegnung mit Fortners Musik lohnt sich durchaus – erst recht, wenn das so wunderbar stimmig inszeniert, gesungen und gespielt wird wie hier in Frankfurt!

Kaspar Sannemann, 24. März 2024


In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa
Wolfgang Fortner

Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot

Premiere am 22. März

Regie: Dorothea Kirschbaum
Musikalische Leitung: Takeshi Moriuchi
Frankfurter Opern und Museumsorchester