Graz: „Don Giovanni“

Musik dickes Plus!! – Regie dickes Minus!!

Der Don Giovanni war am 8. Februar die letzte Opernpremiere der Oper Graz vor der Corona-bedingten Sperre des Opernbetriebs. Es ist also – zumindest ökonomisch und auch für das junge Solistenteam – sinnvoll, diese Produktion nun wieder auf den Spielplan zu setzen. Da es an vier wesentlichen Positionen Neubesetzungen gegenüber der Premiere gibt, habe ich die Wiederaufnahme besucht – nicht zuletzt auch deshalb, um mir ein Bild zu machen, ob ich meine schroffe Ablehnung der Inszenierung aufrechterhalte. Kurz zusammengefasst:

Die Inszenierung ist für mich so ärgerlich und störend wie bei der Premiere – musikalisch gibt es allerdings eine sehr erfreuliche Steigerung!

Das ist an allererster Stelle dem 29-jährigen Dirigenten Marcus Merkel zu danken. Er ist das fünfte Jahr im Grazer Opernensemble, zunächst als Korrepetitor und seit 2018/19 als Kapellmeister mit inzwischen reicher Repertoireerfahrung, aber auch als Pianist und bewährter Einspringer in Oper und Konzert. Zuletzt ist ihm für eine wunderbare und von allen Seiten zu Recht gelobte Fidelio-Aufführung auf dem Grazer Schloßberg zu danken. Wie man hört, war die Probenzeit für die Wiederaufnahme des Don Giovanni – wohl nicht zuletzt corona-bedingt – recht knapp bemessen. Marcus Merkel ist es dennoch gelungen, eine überzeugende und durchaus eigenständige musikalische Wiedergabe der „Oper aller Opern“ (das Wort stammt angeblich von Richard Wagner) zu erarbeiten. Im Unterschied zum Premierendirigenten ließ Merkel der Mozartschen Musik und vor allem den Stimmen genügend Raum zum natürlichen Atmen und freien Strömen, ohne dass dadurch jemals der Zusammenhang und die Spannung verloren gingen. Die Grazer Philharmoniker waren sehr gut disponiert und ließen zum Beispiel die Holzbläser wunderschön aufblühen. Auch die Übergänge von den Rezitativen – von Merkel selbst begleitet – zu den Arien und Ensembles waren nie abrupt, sondern je nach Situation in idealem Tempo gestaltet. Ich freue mich, dass sich das bestätigte, was ich in meinem Premierenbericht geschrieben hatte: die Grazer Philharmoniker und das Solistenensemble können es deutlich besser! Die Wiederaufnahme hat das bestätigt.

An zwei Ensemblemitgliedern lässt sich die positive Entwicklung sehr gut belegen:

Der erst 26-jährige Bosnier Neven Crnić sang schon bei der Premiere den Leporello. Damals setzte er sein wunderschönes Material sehr robust und in Einheitslautstärke ein. Unter der Leitung von Marcus Merkel gestaltete er nun bereits die Registerarie gebührend differenziert und wurde im Laufe des Abends immer mehr zu einer der dominierenden Sängerpersönlichkeiten dieser Produktion. Mit Recht wurde er am Ende vom Publikum herzlich akklamiert. Die Zerlina war diesmal Sieglinde Feldhofer, die schon als blutjunge Studentin an die Oper Graz engagiert worden war und vor allem im Operetten- und Musicalfach Karriere machte. Feldhofer hat konsequent an ihrer stimmlichen Entwicklung weitergearbeitet. Sie hatte schon 2010 einmal in Graz die Zerlina gesungen. Damals vermerkte ich, dass sie mit ihrer zarten Stimme die Rolle gerade gut schaffte – gut, dass sie nie forcierte. Heute ist ihre Stimme deutlich gewachsen und hat sich sehr harmonisch ins lyrische Fach weiterentwickelt. Feldhofer gestaltete als resolute junge Frau in den beiden Zerlina-Arien sehr schöne und differenzierte lyische Gesangsbögen. Welch erfreuliche Weiterntwicklung – wir können uns auf ihre Marie in Smetanas Verkaufter Braut im nächsten Februar freuen!

Neu gegenüber der Premiere waren Donna Anna und Don Ottavio. Die im nächsten Jahr als Mimi in London debütierende Russin Anna Princeva hat schon seit Jahren die Donna Anna in ihrem Repertoire und fügte sich spielfreudig in die bestehende Inszenierung ein. In Graz hatte ich sie vor vier Jahren in einer denkwürdigen Aufführung als intensiv gestaltende Violetta mit dunkel gefärbtem Sopran erlebt. (Die Aufführung blieb mir aus zwei Gründen in besonderer Erinnerung: es war das erste Gastdirigat von Oksana Lyniv, die dann im Jahr darauf Grazer Opernchefin wurde, und damal wurde das bereits auf seinen Plätzen sitzende Publikum gebeten, den Zuschauerraum wieder zu verlassen, weil der Sänger des Gastone nicht rechtzeitig erschienen war…..). Anna Princeva forcierte diesmal als Donna Anna speziell zu Beginn unbarmherzig – das führte zu einigen deutlichen Intonationstrübungen. Das besserte sich Gott sei Dank im Laufe des Abends und Princeva war dann durchaus auch stimmlich eine gute Besetzung. Warum sie eine deutlich schwangere Donna Anna darstellen musste, die sich wiederholt zärtlich über ihren Bauch strich, bleibt mir völlig unerklärlich. Das war ein Detail, das mir bei der Premiere in der Fülle der szenischen Kuriositäten nicht aufgefallen war…… Ihr Don Ottavio war der polnische Tenor Andrzej Lampert , der im Vorjahr sehr erfolgreich in Graz als Hirte in Szymanowskis

König Roger gastierte, wofür er mit einem Österreichischen Musiktheaterpreis ausgezeichnet wurde. Bei seinem Ottavio-Debüt fiel seine klare und plastische Artikulation positiv auf. Die Stimme wird sauber geführt, ist für die Mozart-Kantilenen mir persönlich allerdings zu schmal und hat nur wenig Schmelz. Von ihm gibt es keine Szenenfotos. Sein Selfie zeigt allerdings sehr gut, wie in der Grazer Oper in Coronazeiten die Sitzordnung für das Publikum aussieht – im Schachbrettmuster bleibt jeder 2.Sitz frei.

Die restliche Besetzung ist von der Premiere bekannt. Anna Brull war auch diesmal eine außerordentlich gute Donna Elvira. Diese Partie liegt ihrem höhensicheren Mezzo besonders gut – außerdem ist sie immer eine überzeugende Darstellerin. Dariusz Perczak ist ein stimmlich souveräner Masetto. Darstellerisch bleibt er in dieser „Inszenierung“ recht profillos. Dimitrii Lebamba hat sich seit der Premiere nicht gesteigert – er ist ein (vor allem aus dem Off des Finales recht tremolierend klingender) Komtur. Eine leichte Enttäuschung bereitete Alexey Birkus als Don Giovanni: sein an sich schönes Basso-cantante-Material wird diesmal recht grob und undifferenziert eingesetzt. Man hörte keinerlei Piano-Phrase – besonders auffallend und störend war dies etwa bei seiner Kanzonette Deh vieni alla finestra, weil hier Marcus Merkel sehr einfühlsam den Übergang vom Rezitativ zur Orchestereinleitung gestaltet hatte und das Orchester sehr feinfühlig die Streicher-Pizzicati zur Mandoline spielte. Alexey Birkus war da mit seinem Einheitsforte und den dadruch bedingten Intonationstrübungen in beiden Strophen geradezu störend. Schade, dass in keiner der Aufführungen das Ensemblemitglied Markus Butter als Don Giovanni zum Zug kommt. Von ihm wäre zweifellos eine wesentlich differenziertere stimmliche Interpretation zu erwarten.

Und weil ich nun nochmals auf die so erfeuliche Leistung des Dirigenten Marcus Merkel eingegangen bin: einen „Vorwurf“ kann ich ihm nicht ersparen. Als musikalischer Leiter müsste er zumindest gegen eine abstruse „Idee“ der Inszenierung unbedingt Einspruch erheben:

Nach Don Giovannis Höllenfahrt erklingt das Allegro assai des Finales vom Band über Lautsprecher. Dazu erscheinen als Projektion die offenbar bewusst grimassierenden Gesichter der sechs Solisten. Erst als das Larghetto mit dem Tenorsolo einsetzt, dürfen die Sänger wieder auf der Bühne live singen, und das Orchester darf live spielen. Das ist wiederum einer jener unsäglichen „Einfälle“ der Regisseurin Elisabeth Stöpler und ihres Teams, die den ganzen Abend lang völlig sinnlos den musikalischen Ablauf konterkarieren. Bei der Wiederaufnahme hat mich die Inszenierung noch mehr gestört als bei der Premiere – wohl nicht zuletzt deshalb, weil der musikalische Gesamteindruck diesmal insgesamt so positiv war. Ich kann zum Abschluss also nur das wiederholen, was ich schon in meinem Premierenbericht geschrieben hatte:

Ich bleibe dabei: „zu wenig Mozart und da Ponte, zu viel Stöppler“ – Graz muss weiterhin auf eine gültige Don-Giovanni-Produktion warten!

Hermann Becke, 26.9.2020

Szenenfotos: Oper Graz © Werner Kmetitsch

Hinweise:


Beim nun verfügbaren 6:30-Minuten-Trailer der Oper Graz können sich alle Interessierten selbst einen Eindruck über die Inszenierung verschaffen


Noch vier weitere Vorstellungen bis Ende Oktober – ich werde trotz der guten musikalischen Leistungen diese Produktion nicht nochmals besuchen!