Graz: Abschied Oksana Lyniv

Richard Strauss ernst und heiter

Im September 2017 nahm Oksana Lyniv ihre Tätigkeit als Chefdirigentin der Oper Graz und der Grazer Philharmoniker mit einem Orchesterkonzert auf. Aber schon im Dezember 2018 musste die Oper Graz mitteilen:

Die Chefdirigentin der Grazer Philharmoniker und der Oper Graz, Oksana Lyniv, wird ihren Vertrag nicht über die Saison 2019/20 hinaus verlängern. Oksana Lyniv wurde von der Saison 2017/18 an für drei Spielzeiten an die Oper Graz bestellt. Seit ihrer Berufung nach Graz hat sie hier zahlreiche Opernproduktionen und Konzerte geleitet. Das musikalische Echo dieser Arbeit klang so rasch in die internationale Musikwelt, dass Oksana Lyniv innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Anfragen für Dirigate bekam, die sie gerne übernehmen möchte.

Damit trat das ein, was die damals noch nicht 40-jährige ukrainische Dirgentin Oksana Lyniv im Interview mit dem Opernfreund im September 2017 auf die Frage, wie lange sie in Graz bleiben werde, bereits angedeutet hatte:

Warten wir einmal die erste Saison ab – dann sehen wir weiter.

Oksana Lyniv hatte also bereits in dieser ersten Saison erkannt, dass die Aufgaben als Chefdirigentin von Oper und Orchester ihr nicht ermöglichen, die zahlreichen internationalen Angebote anzunehmen und so hatte sie sich rasch entschlossen, ihren dreijährigen Vertrag nicht zu verlängern. In einem Zeitungsinterview mit dem Titel Meine Bühne ist die ganze Welt am Tag vor dem Abschiedskonzert sagte Lyniv über die Motive ihres Abgangs:

Ich habe mich in der Oper hier und mit den Musikern des Orchesters zu Hause gefühlt. Aber ich habe auch gemerkt, dass mir Graz für den Punkt an meiner Karriere, an dem ich mich gerade befinde, längerfristig ein bisschen zu gemütlich ist. Ich bin ein neugieriger Mensch, und meine Bühne ist die ganze Welt. Es spornt mich an, mich neuen Herausforderungen zu stellen, und ich darf an der Bayrischen Staatsoper, der Oper Frankfurt und dem Theater an der Wien arbeiten

Dieser klare und frühzeitig mitgeteilte Entschluss ermöglichte der Oper Graz, rechtzeitig einen Nachfolger für die Zeit ab 2020/21 zu suchen. Er wurde in der Person des deutschen Dirigenten Roland Kluttig gefunden, der schon in der Saison 2017/18 die Premiere von Paul Dukas‘ Ariane et Barbebleue übernommen hatte, für die eigentlich zunächst die ChefdirigentinOksana Lyniv vorgesehen war.

Ursprünglich war für Oksana Lynivs Abschied unter dem Titel Ein Strauss zum Abschied ein opulenter Galaabend geplant – mit Ausschnitten aus Salome, Rosenkavalier, Frau ohne Schatten und Liebe der Danae. Die Corona-bedingten Einschränkungen für Proben und Aufführungen hatten große Orchesterbesetzung und einen langen Galaabend unmöglich gemacht und so kündigte die Oper Graz nun für drei Abende ein 80-Minuten-Programm (ohne Pause) mit folgendem Text an:

Richard Strauss verbindet man meist mit üppigem Orchesterklang und großen Opernstimmen. In ihrem gemeinsamen Abschlusskonzert zeigen Oksana Lyniv und die Grazer Philharmoniker den Komponisten nun von seiner anderen Seite, als genialen Meister der Miniatur, der auch in seinen kammermusikalischeren Werken die bekannte orchestrale Finesse zeigt und zu berühren weiß.

Nach wie vor durfte nach den geltenden Corona-Regeln nur ein 100-köpfiges Publikum in das 1200 Plätze fassende Grazer Opernhaus kommen. Anmerkung: Hätte man den Abschiedsabend um wenige Tage in den Juli verschoben, so hätten schon 250 Personen kommen dürfen……

Aber eines gleich vorweg: auch das völlig geänderte Programm ergab einen wunderbaren Abend, der vom Publikum sehr positiv aufgenommen wurde!

Man genoss, dass sich endlich wieder schon vor Beginn des Programms der Opernraum mit dem Klang der sich einspielenden Orchestermusiker füllte. Für das Orchester waren die gesamte Tiefe der Bühne und der überdeckte Orchestergraben vorgesehen – die derzeitigen Abstandsregeln konnten daher problemlos eingehalten werden. Oksana Lyniv – in strahlendes Weiß gekleidet – trat mit der ihr eigenen Dynamik auf und hatte zunächst zwei Dirigierpulte – eines zum Orchester und eines zum Publikum gewendet. Der Grund: Das Eröffnungsstück war die prächtige Fanfare für 22 Blechbläser und zwei Pauken, die Richard Strauss 1924 den Wiener Philharmonikern gewidmet hatte. Dieses Stück wurde von der Galerie des Zuschauerraums gespielt und vermittelte so einen wunderbaren Raumklang – „dank“ Corona eine neue Klangerfahrung. Außerdem hatte das Publikum dadurch das seltene Vergnügen, die Dirigentin einmal von vorne zu sehen.

Oksana Lyniv führte sehr charmant durch das Programm unter dem Motto mit einem lachenden und einem weinenden Auge – das gelte sowohl für das Programm als auch für ihren Abschied von Graz. Das 25-minütige Strauss’sche Spätwerk der Metamorphosen war der gewichtige ernste Programmteil. Lyniv leitete die 23 Streicher mit kräftigen Akzenten – das Alterswerk erklang nicht in abgeklärter Resignation, sondern mit dem nötigen Espressivo. Am ersten und zweiten Pult saßen zwei Konzertmeistergenerationen: der Grandseigneur Josef Mostetschnig und der seit Herbst 2019 neuengagierte 27-jährige Slowake Karol Daniš – beide verbindet, dass sie aus der Grazer Kunstuniversität hervorgegangen sind und damit eine Kontinuität in der Klangkultur der Grazer Philharmoniker sichern. An diesem Abend saßen in dieser kammermusikalischen Besetzung nicht nur bei den Streichern, sondern im zweiten Teil auch bei den Holz- und Blechbläsern die Stimmführer auf dem Podium. Gemeinsam mit der impulsiv-aktiven, aber stets präzis artikulierenden Dirigentin gelang den Grazer Philharmonikern ein Strauss-Orchesterklang von hohem Niveau mit exzellenten Solo-Leistungen. Der neue Konzertmeister Karol Daniš saß im zweiten Teil am ersten Pult und nutzte seine Chance, sich mit einem brillanten Solo zu profilieren (übrigens für alle Interessierten hier auf seiner Facebookseite nachzuhören). Der zweite Konzertteil brachte Teile der Orchestersuite aus der Musik zum ‚Bürger als Edelmann‘ des Molière. Dazwischen waren ein Satz aus der Sonatine für 16 Blasinstrumente und zwei kurze Szenen aus Ariadne auf Naxos eingefügt. Da nutzten zwei junge Mitglieder des Grazer Ensembles die Chance, sich dem Grazer Publikum mit neuen Partien zu präsentieren: Neven Crnić war ein schlank singender und bestens artikulierender Harlekin und Anna Brull war ein begeisternder Komponist ohne jegliche Höhenprobleme. Beide sind aus dem Grazer Opernstudio hervorgegangen, haben sich sehr erfreulich weiterentwickelt und zählen zu den Stützen des Grazer Ensembles.

Insgesamt war es ein sehr klug zusammengestelltes Programm, das durch das Orchester endlich wieder echte Bühnenatmosphäre vermittelte. Oksana Lyniv schien an diesem Abend besonders gelöst – man hatte den Eindruck, sie habe ihre Zeit in Graz und insbesondere dieses Abschiedskonzert besonders genossen und fühlt sich gleichzeitig entlastet von den Verpflichtungen einer fix engagierten Musikchefin. Nach den Ankündigungen von operabase stehen ja schöne Opern-Aufgaben bevor: Frankfurt, Berlin, München, Paris, Theater an der Wien. Und dazu kommen natürlich die Herzensanliegen von Oksana Lyniv: das Jugendsymphonie-Orchester der Ukraine und das Mozart-Festival in Lemberg. Intendantin Nora Schmid bedankte sich mit einem Blumenstrauß und wünschte Oksana Lyniv für ihren weiteren Weg viel Erfolg. Diesen Wünschen schloss sich das Grazer Publikum mit warmem Beifall an!

Natürlich konnte dieses Abschiedskonzert nicht ohne Zugabe zu Ende gehen. Da die ursprünglich geplanten Salome-Ausschnitte nicht möglich waren, gab es eine Zugabe mit Lokalkolorit, die auch sehr gut zur entspannt-fröhlichen Stimmung passte: es erklang der orientalische Foxtrott Salome, schönste Blume des Morgenlands – ein Welthit von dem aus Graz stammenden Robert Stolz. Letztlich war der Oper Graz, Oksana Lyniv, den Grazer Philharmonikern und den beiden Solisten trotz Corona das gelungen, was man vor über einem Jahr so angekündigt hatte:

Ein Sommerabend voller Schwung und Heiterkeit, voller Klangpracht und Wohlgesang!

Hermann Becke, 27. 6. 2020

Fotos: Oper Graz © Oliver Wolf