Graz: „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“

Zu Recht begeistertes Publikum!

Sehr schöner TRAILER

Bei einem Werk, bei dem wohl viele Opernfreunde nur den Titel kennen, ist es vielleicht hilfreich, an den Anfang einen Text des Verlags von Jaromír Weinberger zu stellen: „Zusammen mit dem Librettisten Miloš Kareš arbeitete er an der Oper Švanda dudák über Švanda, den legendären Dudelsackspieler aus dem böhmischen Strakonice, wo noch heute ein Internationales Dudelsack-Festival stattfindet. Die Uraufführung am Prager Nationaltheater im April 1927 fand zwar Anerkennung, zog aber keine weiteren Kreise. Denn man stritt auch jetzt noch darüber, was die wahre tschechische Musik sei, die von Smetana oder die von Dvorák. Und ein Jude mit deutschem Nachnamen hatte da keine guten Karten, denn auch der Antisemitismus hatte die k.u.k.-Zeit überlebt. Aber auch hier half Max Brod (1884–1968), der vielseitige jüdische Prager Künstler und Intellektuelle, der eine deutsche Übersetzung der Oper schuf – tschechisch gesungen wurde damals nur an den tschechischen Bühnen der mehrsprachigen Tschechoslowakei. 1928 wurde Švanda dann erstmals auf deutsch in Breslau gespielt, und als Schwanda, der Dudelsackpfeifer ging das Werk dann um die Welt. Nicht nur über die deutschsprachigen Bühnen, wo es in der Saison 1929/30 noch vor Carmen und der Zauberflöte, der Fledermaus und den Wagneropern der bei weitem meistgespielte Titel war! Auch New York und London lernten die Oper in ihrer deutschen Fassung kennen. Švanda dudák war ein Kassenschlager, und Jaromír Weinberger, wohlhabend und berühmt, hatte er doch eine „Volksoper“ geschrieben, die auch das anspruchsvolle Publikum schätzte.

Was vor rund 100 Jahren „der bei weitem meistgespielte Titel“ war, ist heute von den Spielplänen der deutschsprachigen Bühnen weitgehend verschwunden. In Österreich war Graz durchaus führend: noch vor der Wiener Erstaufführung unter Clemens Krauss im Oktober 1930 wurde Schwanda im November 1929 (unter Oswald Kabasta) erstmals in Graz aufgeführt und auch nach dem 2.Weltkrieg gab es in Graz eine Schwanda-Produktion unter Ernst Märzendorfer.

Ich meine, dass die nunmehrige Neuinszenierung in Graz wohl auf eine persönliche Anregung der Intendantin Nora Schmid zurückgeht, die im Jahre 2012 an der Semperoper in Dresden Dramaturgin der dortigen Produktion war – siehe dazu den Trailer und den Livemitschnitt. Auch diesmal war sie selbst aktiv dabei: gemeinsam mit Bernd Krispin besorgte sie die Redaktion der deutschen Übertitel. So wie vor 10 Jahren in Dresden wurde nämlich auch jetzt in Graz die tschechische Originalversion aufgeführt, was dem musikalischen urtschechischen Duktus der Oper sehr gut tut.

Und diesmal gelang der Oper Graz wahrhaft eine rundum szenisch und musikalisch stimmige und vom Premierenpublikum heftig akklamierte Produktion, die sich in den folgenden neun Aufführungen bis März noch möglichst viel Publikum verdient. Das szenische Leading Team Dirk Schmeding – Inszenierung, Marina Segna – Bühne, Frank Lichtenberg – Kostüme, Beate Vollack – Choreographie, Sebastian Alphons – Lichtdesign, Krzystof Honowski – Video, Bernd Krispin – Dramaturgie. Im Programmheft liest man dazu: „Das Stück setzt stark auf Kontraste, auf einen collageartigen Mix unterschiedlichen Atmosphären – sowohl in der Msuik als auch in den Spielorten. Dieses märchenhafte Roadmovie erzählen wir auf einer großen Showbühne mit allem, was dazugehört, und an manchen Stellen überzeichnen und persiflieren wir das Geschehen“. Wie oft liest man in den Programmheften kluge Werkanalysen und Regieerläuterungen – diesmal wurden die Überlegungen des Teams auch absolut schlüssig und bühnenwirksam umgesetzt. Es waren ein reines Vergnügen – ohne jede Beeinträchtigung der Musik! Köstlich schon die Hühnervideos während des Vorspiels, aber auch die Verwandlung des Federviehs zu Pinguinen in der Welt der Eiskönigin oder die vermeintliche Schwanda-Hinrichtung auf einer Kasperlbühne.

Das Konzept konnte nur aufgehen, weil ein hervorragendes und ausdruckstark-spielfreudiges Solistenteam zur Verfügung stand: Petr Sokolov war glaubhaft der etwas naiv-simple Schwanda mit einem eher kraftvollen als eleganten Bariton (wie auf seiner eigenen Homepage zu lesen ist). Die in Graz schon durch Mimi und Gänsemagd in Humperdincks Königskinder bekannte und geschätzte Polina Pastirchak war mit klarem, wunderbar höhensicherem und eigenständig timbriertem Sopran eine resolute und liebenswerte Dorotka – und dann vor allem der Räuber Babinský mit dem in dieser Saison neu engagierten Tenor Matthias Koziorowski, der sich bei seinem allerersten Auftritt in Lehars Clivia die Achillessehne gerissen hatte und kurz vor der Premiere postete: Es ist nun genau sieben Wochen her, da ich das mit dem "Hals- und Beinbruch" leider viel zu wörtlich genommen habe. Dank einer gehörigen Portion Glück, toller Unterstützung aus meinem gesamten Umfeld, einer großartigen Physio, einem kreativen Regie-Team, welches aus der Not eine unterhaltsame Tugend gemacht hat und nicht zuletzt dank meines eisernen Willens und einer Maxi-Tube Voltaren, hüpfe ich heut Abend schon wieder über die Bühne. Koziorowski war als eine Art Showmaster der charismatische Drahtzieher des Abends, sang mit glänzenden Spitzentönen großartig und ist zweifellos ein Gewinn für das Grazer Haus.

Die Eiskönigin hätte eigentlich nach allen Ankündigungen das Ensemblemitglied Anna Brull singen sollen. Offenbar mußte sie kurzfristig absagen und so übernahm die Rolle für die ersten beiden Vorstellungen Ester Pavlů aus Prag, die ihre Sache ausgezeichnet machte und mit slawisch-geschärftem Timbre auch die für einen Mezzo exponierten Spitzentöne überzeugend meisterte. Diese Rolle sang übrigens die damals 20-jährige Christa Luwig 1948 in Frankfurt – diese Aufführung ist hier dokumentiert!

Im köstlich-skurril übersteigerten Höllen-Akt (eine Hähnchengrill-Sauna mit einem sehr spielfreudigen Chor in drastischen Nacktkostümen) trat noch der begnadete Sängerdarsteller des Grazer Ensembles Wilfried Zelinka als drastischer und stimmmächtiger Teufel dazu und dominierte die Szene. Auch er hat große Vorgänger: 1935 sang diese Partie an der Wiener Staatsoper Richard Mayr.

Auch die kleinen Rollen waren sehr gut besetzt: Daeho Kim als Magier, Martin Fournier als Höllenhauptmann sowie Marlin Miller als Richter und der Chorsolist Sangyeon Chae. Dazu kam der prächtig disponierte und sehr spiel- und tanzfreudige Chor & Extrachor (Leitung: Bernhard Schneider).

Als Dirigent hatte man den 45-jährigen Tschechen Robert Jindra gewonnen, der ab September 2022 Musikdirektor in Prag wird. Ich hatte den Eindruck, dass er mit den groß besetzten Grazer Philharmonikern die Partitur sehr dynamisch und in den Fugen immer klar durchhörbar umsetzte. Der Schwung war mitreißend und das Orchester hörbar animiert. Zweifellos war es ein großer Abend der Oper Graz – am Ende uneingeschränkter Beifall im gut besetzten Haus. Dringender Rat: Kommen Sie und genießen Sie ein kaum bekanntes Werk in einer vorzüglichen Produktion!

Hermann Becke, 19.12. 2021

Fotos: Oper Graz, © Werner Kmetitsch

Als PS ein großes Kompliment an die Leistungsfähigkeit der Oper Graz:

Wie überall hatte natürlich auch in Graz die Coronasituation die Dispositionen und Spielpläne durcheinander gebracht. Laut den österrreichischen Regelungen durften Theater und Opernhäuser ab Montag, 13. Dezember wieder spielen – natürlich mit der sogenannten 2G-Regel und mit Tragen von FFP2-Masken während des gesamten Aufenthalts im Opernhaus. Die Oper Graz nutzte die Möglichkeit, wieder spielen zu dürfen sofort und intensiv: am ersten erlaubten Tag gab es im Foyer einen Musikalischen Aperitiv, an den beiden folgenden Tagen auf der Studiobühne zwei Ballettproduktionen, am dritten Tag im großen Haus die Premiere von Bizets Perlenfischer, die schon zweimal verschoben hatte werden müssen und am vierten Tag eine weitere Premiere – eben die hier besprochene Neuinszenierung von Schwanda, der Dudelsackpfeifer. Details siehe hier.

OPERNFREUND CD TIPP

Allein die superbe Besetzung lohnt den Kauf der Silberscheibe, die aber wohl aktuell vergriffen ist. Die tollen Aufführungen vor 2 Jahren in Gelsenkirchen im MiR und jetzt in Graz werden ihren Teill dazu beigetragen haben. Man kann aber davon ausgehen, daß Sony diese nochmal auflegt – immerhin ist der musikalische Stream bei Amazon verfügbar. Ich habe nochmal den wunderschönen TRAILER der MiR Aufführung hier einsehbar gemacht, die wir hinreissend besprochen hatten und sogar mit dem OPERNFREUND STERN versehen hatten. Pure Begeisterung!

Damals schrieb ich als Sternetext:

Jaromír Weinberger zählt zu den verbrannten Komponisten des Dritten Reiches, die leider bis heute nicht gebührend rehabilitiert wurden, daher gebührt dem Gelsenkirchener Intendanten Michael Schulz großer Respekt und Dank für diese wunderbare Ausgrabung einer herrlichen Oper, die eigentlich in jedes Repertoire gehört Das Regie-Team um Michiel Dijkema hat meisterlich überzeugende und phantasievolle Arbeit geleistet. Man bewahrt den märchenhaften Charakter der Vorlage ohne modernisieren zu wollen. Regie und Bühne stellen sich verantwortungsvoll unter den Schirm der Werktreue und überzeugen statt zu verfremden, zu politisieren oder belehren zu wollen.

Guter Gesang, tolles Orchester und ein buntes schönes phantasievolles Bühnenbild, welches von Akt zu Akt wechselt und durch zauberhafte Effekte erfreut und überrascht. Eine Riesenbeifall alleine für das dritte Bild einer Matterhornspitze aus lauter lebenden Teufeln. So sollte Musiktheater sein!

Diese Oper ist eine wahre Entdeckung und jede Anreise wert. Sie verdient unbedingt einen festen Platz im Repertoire.

Hier geht es zur kompletten Kritik von 2019

Peter Bilsing, 20.12.2021