Graz: „Clivia“, Nico Dostal

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„Die Macht des Schicksals“ war die Eröffnungspremiere der neuen Spielzeit an der Grazer Oper. Diese Oper von Giuseppe Verdi gilt nicht erst seit dem 4. März 1960, als auf der Bühne der Metropolitan Opera mitten im 2. Akt der Bariton Leonard Warren tot zusammengebrochen ist, als Unglücksoper. Nun, die Premiere der Verdi-Oper verlief ohne Probleme und war sogar ein großer Erfolg. Am Abend des 30. Oktober stand die Premiere der Operette „Clivia“ von Nico Dostal auf dem Programm. Aber an diesem Abend schlug die Macht des Schicksals zu. Da findet die Intendantin Nora Schmid einen tollen neuen Operettentenor, engagiert ihn als neues Ensemblemitglied, will ihn in einer glanzvollen Premiere herausbringen und dann reißt ihm beim ersten Auftritt die Achillessehne. Aber davon später …

War bis zum Ende der Donaumonarchie noch Wien die Stadt der Operette, verlagerte sich nach dem Ersten Weltkrieg der Schwerpunkt der Operette nach Berlin. Die Operette boomte, trotz der immer größer werdenden Konkurrenz des Films. Mit dem Aufkommen des Tonfilms jedoch verschärfte sich diese Konkurrenz noch mehr und die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 brachte noch eine weitere Zäsur in die Branche der Unterhaltungsmusik. Werke von jüdischen Komponisten wurden abgesetzt und verboten. Einer jener Komponisten, die nun die Chance ergriffen, in die erste Reihe vorzustoßen, war der 1895 in Korneuburg geborene und 1981 in Salzburg verstorbene Komponist Nico Dostal. Nachdem er als Theaterkapellmeister in Innsbruck, St. Pölten, Wien, Czernowitz und Salzburg tätig war, ging er 1924 nach Berlin, wo er sich der Unterhaltungsmusik zuwandte, im Musikverlagswesen tätig war und als freier Arrangeur unter anderem für Oscar Straus, Franz Lehár, Walter Kollo, Paul Abraham und Robert Stolz arbeitete. Daneben war Dostal als Kapellmeister und Komponist tätig und schrieb die Musik zu dem Film „Kaiserwalzer“.

Am 23. Dezember 1933 gelang ihm im Theater am Nollendorfplatz mit der Operette „Clivia“ der große Durchbruch. Der Inhalt nur in Kürze: Der Amerikaner H. W. Potterton, ein zwielichtiger Geschäftsmann, fürchtet um seine finanziellen Veranlagungen in der (fiktiven) Bananenrepublik Boliguay. nachdem im Zuge eines Militärputsches der amtierende Marionettenpräsident durch den General Juan Olivero gestürzt wurde, und dieser sich selbst zum neuen Präsidenten erhoben hat. Die Grenzen wurden für Ausländer geschlossen. Potterton ist jedoch fest entschlossen in Boliguay eine neue Revolution anzuzetteln, um wieder eine ihm genehme Marionettenregierung einsetzen zu können. Als Filmproduzent eines Westernfilmes, der gerade in der südamerikanischen Pampa gedreht wird, kann er die Hauptdarstellerin Clivia Gray davon überzeugen, dass sie einen Staatsbürger aus Boliguay heiraten muss, damit die ganze Filmcrew Dreherlaubnis in diesem Land erhalten kann. Wie gut, dass der männliche Hauptdarsteller gerade abgesagt hat und durch den feschen Juan Damigo aus Boliguay ersetzt wurde. Was natürlich keiner weiß: Juan Damigo ist natürlich niemand anderer als Juan Olivero. Seine Cousine Jola ist übrigens die Anführerin der Amazonenarmee, die sich in den amerikanischen Sensationsreporter Lelio Down verliebt. Wie in der Operette üblich, gibt es natürlich ein Happyend mit zwei glücklichen Paaren.

Nico Dostal hat dazu sehr schöne Musik geschrieben, beginnend mit einem schmissigen Bolero als Ouvertüre. Dostal verstand es auch Tangos, Paso dobles und die spanische Jota mit Charleston, Foxtrott, Walzer und Marsch zu verbinden. Die eingängigen Melodien sind überaus farbig instrumentiert. Damit gelang ihm eine lebendige Komödie, die die Suche nach dem privaten Glück mit spielerisch-erotischen Verwirrungen vor dem pseudorealen Hintergrund der Filmindustrie vereint.

Mit Graz verbindet Nico Dostal doch Einiges, auch wenn er nie am Opernhaus als Dirigent aufgetreten ist. Sein Frühwerk „Lagunenwalzer“ wurde hier 1923 uraufgeführt. Zwölf Jahre später folgte seine Operette „Die Vielgeliebte“. Und am 5. Februar 1938, nur kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich, erlebte „Clivia“ ihre Grazer Erstaufführung. Trotz des großen Erfolges wurde die Produktion nach nur drei Vorstellungen abgesetzt, wohl weil einer der beiden Librettisten (F. Maregg) Jude war (1933, bei der Uraufführung in Berlin, ging das gerade noch durch). 1953 wurde „Clivia“ nochmals an der Grazer Oper gespielt. Nun kehrt die Operette nach fast 70 Jahren wieder in den Spielplan zurück.

Während der Ouvertüre verwandelt sich der eiserne Vorhang in eine Kinoleinwand und zeigt die Filmaufnahmen, die von dem Western bereits „im Kasten“ sind. (Dass die Crew der Grazer Oper, allen voran Sieglinde Feldhofer, viel Spaß an den Filmaufnahmen hatte, das sieht man!) Der Bühnenbildner Volker Thiele stellt später eine meterhohe Mauer auf die Bühne, die Boliguay vor Ausländern abschirmen soll. (Von so einer Mauer konnte Donald Trump nur träumen!) Das Palast-Hotel in Boliguay ist durch raffiniert drapierte Vorhänge angedeutet, die gleichzeitig genügend Bewegungsfreiheit für die Darsteller bieten. Die prächtigen Kostüme sind von Gabriele Rupprecht.

Unter Bananenrepubliken sind abwertend jene Staaten gemeint, in denen Korruption und Bestechlichkeit gepaart sind mit fragwürdigen politisch-moralischen Verhältnissen. Der Regisseur Frank Hilbrich hätte auch aus Aktualitätsgründen der Versuchung erliegen können, die Handlung mitten in Europa spielen lassen zu können. Allerdings hätten die südamerikanischen Rhythmen nicht gerade zu einer Alpenrepublik mit einem Kurz-Zeit-Kanzler gepasst. Also befinden wir uns tatsächlich in einer fiktiven Bananenrepublik. Auch das Spiel mit den Geschlechtern (Männer in Frauenkostümen, Frauen in Männerkostümen), das typisch für die Berliner Operette der 20er und 30er Jahre war, darf nicht ausgelassen werden. Und so erobert der Sensationsreporter die Anführerin der Amazonenarmee erst, als er ihr in Frauenkleidern naht.

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Sieglinde Feldhofer hat mit der Clivia eine neue Traumrolle gefunden, in der sie hinreißend und charmant, glamourös und leidenschaftlich liebend sein darf, einen großen Filmstar mimen darf und am Schluss doch auf alles zugunsten der Liebe verzichtet, denn natürlich hat sie sich unsterblich in den anfangs ihr aufgezwungenen Ehemann verliebt. Stimmlich kann sie wie immer aus dem Vollen schöpfen. Den Schlager „Man spricht heute nur noch von Clivia!“ wird man lange Zeit jetzt nur noch mit ihr assoziieren. Als Juan Damigo alias Juan Olivero debütiert der deutsche Tenor Matthias Koziorowski an der Grazer Oper, an der auf ihn in der nächsten Zeit schöne Aufgaben warten (wie z.B. der Räuberhauptmann Babinsky in Weinbergers „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“). Großgewachsen, gut aussehend und mit einem schmelzreichen Tenor, der über strahlende Höhen verfügt, ausgestattet, eignet er sich ganz ausgezeichnet auch für die Operette. Und dann passierte es bereits beim ersten Auftritt: die Achillessehne riss … Ich will mir gar nicht vorstellen, unter welchen Schmerzen er bis zur Pause tapfer weitersang und sich humpelnd irgendwie über die Bühne schleppte. Nach der Pause kündigte die Intendantin Nora Schmid an, dass sich der Tenor bereit erklärt hat die Vorstellung zu Ende zu singen, allerdings würde im 2. Teil der Regieassistent Florian Kutej spielen und tanzen (während sich der Sänger, auf einen Stock gestützt, entweder neben dem Darsteller oder auf der Seite befand). Anna Brull durfte als Anführerin der Amazonenarmee nicht nur eine strenge Domina sein, sie durfte auch noch (gemeinsam mit dem Tenor) in ihrer Muttersprache Spanisch sprechen. Ivan Oreščanin durfte mit blonder Perücke als Sensationsreporter über die Bühne fegen und sieht auch in Frauenkleidern gut aus. Markus Butter durfte als H. W. Potterton einmal so einen richtig unsympathischen Typen darstellen. Ja, und dann verirrte sich noch ein waschechter Wiener nach Boliguay. Bereits bei der Grazer Erstaufführung hatte man die komische Figur des Berliners Gustav Kasulke eingewienert. Nun irrt der wirklich komische Gerald Pichowetz aus Kaisermühlen durch Boliguay und will Mr. Potterton das Patent für seine Erfindung (eine Schlafmaschine!) andrehen. Die Lacher sind ihm dafür gewiss. Martin Fournier in mehreren Rollen, sowie viele Solisten aus dem Chor sind in kleineren Partien (köstlich: Markus Murke, Daniel Käsmann und Richard Jähnig als „Herren im Domino“) mit viel Spielfreude bei der Sache. Der Chor und das Ballett der Grazer Oper tragen ebenso zum großen Erfolg des Abends bei wie die Grazer Philharmoniker, die unter dem Dirigenten Marius Burkert mal so richtig swingen durften.

Am Ende wurden alle Beteiligten gebühren gefeiert. Der Jubel konzentrierte sich natürlich auf die wundervolle Sieglinde Feldhofer und ganz besonders herzlich auf die beiden Juans: Matthias Koziorowski und Florian Kutej. Möge sich der Tenor bald von seiner Verletzung erholen und wieder uneingeschränkt auf der Bühne stehen.

Walter Nowotny 20.11.2021

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Sieglinde Feldhofer (c) Photowerk