Oper Köln Staatenhaus Saal 1 am 28.03.2019
Johannes Martin Kränzle im Gespräch mit Georg Kehren
Die „Freunde der Kölner Oper“ nutzen die gute Gelegenheit. Johannes Martin Kränzle, der Sänger des Jahres 2018, gastierte in Köln als Pizarro in Beethovens Oper „Fidelio“. Da luden sie den auf allen Bühnen der Welt vor allem als Wagner-, aber auch Mozartsänger gefeierten Opernstar zum Gespräch ein, das Georg Kehren, der Chefdramaturg der Kölner Oper, kenntnis- und geistreich, humorvoll und witzig, eloquent und taktvoll über eineinhalb Stunden zu einer beeindruckenden und berührenden Begegnung mit einem Ausnahmekünstler machte.
Die Musik war Johannes Martin Kränzle gleichsam in die Wiege gelegt. Seine Mutter arbeitete als Schulmusikerin, mit fünf Jahren lernte der älteste ihrer drei Söhne bereits das Geigenspiel, Gesang spielte da noch gar keine Rolle, auch wenn Kränzle später im Knabenchor eines Gymnasiums in seiner Geburtsstadt Augsburg sang. „ Als Geiger war ich faul“, bekannte der illustre Gast, und als ihm ein Opernsänger bei seinem Aufenthalt in Hamburg anlässlich des Studiums der Musiktheaterregie jegliches sängerische Talent absprach, schien auch eine Sängerkarriere in weite Ferne gerückt. Erst der renommierte Musikpädagoge Martin Gründler erkannte das Talent des jungen Mannes, als er ihn bei einer Schulmusikaufnahmeprüfung beim Vortragen zweier Kunstlieder hörte.
Als Blaubart in Frankfurt
Und auch Edith Gabry, die Ehefrau des viel zu früh verstorbenen Kölner Generalmusikdirektors István Kertétzs, blieb bis zu ihrem Tod im Jahr 1973 eine große Förderin von Johannes Martin Kränzle. Es war eine bewegende Begegnung nach vielen Jahren – so Kränzle selbst-, als Edith Gabry, nun schon im Rollstuhl sitzend, ihren Schüler aus frühen Jahren im März 2010 in Köln wiedersah, als dieser an der dortigen Oper in Bartóks „Herzog Blaubart“ auftrat.
Begonnen hatte die Opernkarriere einst für den Knaben im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss , wo Kränzle den Moor spielen durfte und dafür die ungeheure Abendgage von acht DM bezog, davon eine DM für das Schwarzschminken. Nach der schicksalhaften Begegnung mit Gründler erklomm Johannes Martin Kränzle sehr schnell eine Stufe nach der anderen auf der Karriereleiter. Über Dortmund (1987 – 1991) und Hannover (1991 – 1997) sowie nach Engagements in Hamburg und München kam Kränzle an die Frankfurter Oper. Hier sang er ab 1998 ein vielfältiges Repertoire. Die feste Anstellung an einem Haus bietet nach Kränzles Auffassung die große Chance, auch im normalen Opernbetrieb eher randständige Partien verkörpern zu können. „Ich liebe es, wenn das Opernpublikum mich über viele Jahre hinweg kennt, begleitet und mir Sympathien entgegenbringt.“ Christoph Loys Inszenierung von Mozarts Oper „Cosi fan tutte“, die in großer Kargheit gleichsam eine Laborsituation geschaffen habe, in der es ganz auf die Körpersprache der Figuren angekommen sei, bleibe für ihn der Höhepunkt seiner Arbeit in Frankfurt.
In Frankfurt kam es auch zur ersten Begegnung mit seiner „Schicksalsrolle“, dem Sixtus Beckmesser in Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“, die er sich dann 2009 in Köln von Grund erneut erarbeitete. Das Jahr 2009/10 in Köln habe er, so Kränzle, als besonders beglückend und bereichernd empfunden. Mittlerweile ist der Sixtus Beckmesser Kränzles Paraderolle geworden. Er hat sie u.a. in Glyndebourne, an der Met und in Bayreuth gesungen. Und auch in Berlin an der dortigen Staatsoper wird er im April/Mai als Beckmesser zu erleben sein. „Ich singe diese Rolle immer wieder anders. Wichtig ist mir, aus Beckmesser keine Karikatur werden zu lassen. Er ist keine sympathische, aber er ist eine interessante und vielschichtige Figur, ein Antiheld mit Brüchen und Geheimnissen, der in vielem auch recht hat, der von Hans Sachs durch das ständige Unterbrechen völlig aus dem Konzept gebracht wird und deshalb auch unsere Nachsicht verdient.“ Die Zusammenarbeit mit Barry Kosky anlässlich der Bayreuther Festspiele 2017, die schon ein Jahr vor der Aufführung begonnen habe, habe ihm noch einmal eine ganz neue Dimension dieser Figur aufgezeigt. Beckmesser-Levi werde in die Rolle des jüdischen Außenseiters gedrängt. Das zeige z.B. die große Prügelszene zu Ende des 2. Aktes. Er lege sich in Bayreuth sogar Levis Rauschebart zu, um Koskys Interpretationsansatz auch physiognomisch zu unterstützen.
Was sind die Projekte der Zukunft für Johannes Martin Kränzle? „Ich bin demütig und bescheiden geworden, seitdem ich weiß, wie schnell sich das Leben von heute auf morgen verändern kann.“ Kränzle spricht über seine schwere Blutkrebserkrankung im Jahr 2015, die er nur durch eine Stammzellentransplantation überlebt hat. Erste Anzeichen bemerkte er bei Sekundenohnmachten während seiner Opernauftritte, schließlich verschlimmerten sich die Symptome rapide. Als er zu Hause ohnmächtig zusammenbrach und sofort ins Krankenhaus eingeliefert wurde, begann ein dramatischer Wettlauf mit der Zeit. Zwischenzeitlich konnte er nicht einmal mehr sprechen, geschweige denn singen. Mit großer Willensstärke, mit einem religiösen Urvertrauen und mit der Hilfe seiner Familie hat Kränzle den Kampf gegen den Blutkrebs gewonnen, auch wenn er unter der Empfängerkrankeit mit ihren belastenden Begleiterscheinungen leidet und jeden Morgen eine Fülle von Tabletten zu sich nehmen muss.
Als Johannes Martin Kränzle 2017 als Don Alfonso in London wieder die Bretter, die ihm die Welt bedeuten, betreten konnte, da war dies Comeback für seine Ärzte ein großes Wunder, für ihn selbst ein Moment tiefsten, zu Tränen rührenden Glücks und zugleich ein Moment größter Dankbarkeit für das neu geschenkte Künstlerleben. Die Zuhörer im Saal dankten Johannes Martin Kränzle und Georg Kehren für das intensive, bewegende Gespräch an diesem frühen Abend in der Kölner Oper mit lang anhaltendem Beifall.
Norbert Pabelick 31.03.2019
Foto (c) Oper Frankfurt / Runkel