Köln: „Hamlet“, Brett Dean

Premiere: 24.11.2019

Hamlet ganz pur

Hamlet ist sicherlich eins von Shakespeares berühmtesten Dramen, das auch immer wieder Komponisten veranlasst hat sich damit zu beschäftigen. Gerieten die Werke von uns heute kaum noch geläufigen Komponisten des Barock gänzlich in Vergessenheit, so schaffte es der „Hamlet“ von Ambroise Thomas immerhin noch gelegentlich auf die Spielpläne, modernere Adaptionen wie etwa die in ebenfalls in Köln aus der Taufe gehobene Adaption von Juraj Benes, die unter dem Titel „The Players“ wirklich keinerlei bleibende Eindrücke hinterließ, fristen ihr Dasein in den Notenarchiven. Nun zeigt man in Köln die Oper des australischen Komponisten Brett Dean, die erstmals beim Glyndebourne Festival 2018 zu sehen war und nun ihre deutsche Erstaufführung erlebt. Und was sich dem Zuschauer hier bietet sind rund drei Stunden modernes Musiktheater, das sein Publikum fesselt und am Ende zu Begeisterungsstürmen verleitet. Nun mag es zynisch klingen, wenn man anderen Opernuraufführungen unterstellt, sie seien kurz und ohne Pause, damit keiner gehen könne, oder sollte es doch eine Pause geben, dann seien die nach der Pause sichtlich geleerten Reihen ein Qualitätsindikator – nein, hier ist es anders und hier ist es auch zu Recht anders: Ein gebanntes Publikum folgt dem Werk, wie andernorts dem Kanon üblichen Repertoires.

Aber warum ist das so? Dean und sein Librettist Matthew Jocelyn, der auch für die Kölner Inszenierung verantwortlich zeichnet, begegnen dem Stoff mit einer unglaublichen erzählerischen Stringenz, einer packenden Dramaturgie. Beide erzählen das Stück ohne jegliche Zugaben, ohne zusätzliche Ebenen oder Deutungsversuche – sie erzählen einfach nur die Handlung und da tun beide auch sehr gut dran. Dieses Stück ist weder in seiner Anlage, noch in seiner Deutung intellektuell verkopft, sondern so pur, wie Shakespeare es niedergeschrieben hat.

Deans Musik ist gewaltig und ist in allen Facetten der Dramatik des Werks verpflichtet. In freier Tonalität überrascht Dean aber auch immer wieder durch harmonische, lyrische, romantische Wendungen und kreiert so eine emotionale und nachvollziehbare Musik. Gerade in den ersten Passagen ist die Klanglichkeit von einer großen Dichte und massiver Dynamik gekennzeichnet. Oft zeichnet Dean hier mit sehr dickem Pinsel. Aber dieser Eindruck verflüchtigt sich, je differenzierter die Szenerie wird. Fast mit kammermusikalischer Spannung entspinnen sich die kleinen, feinen Szenen, wie etwa zwischen Hamlet und Ophelia oder zwischen Hamlet und Getrud. Dabei legt sich Dean einen immensen musikalischen Apparat zurecht, den er auch über den ganzen Abend konsequent zu nutzen weiß: Neben einer großen Schar an Solisten ergänzen Chor, ein weiterer kleiner Geräuschchor, ein kleines Satellitenorchester, ein über die Bühne geisternder Akkordeonspieler und elektronische Klänge ein üppig besetztes Orchester.

Ob man das alles braucht, kann man getrost in Frage stellen, denn gerade der Geräuschchor, der in Köln neben dem Orchester gut sichtbar am Bühnenrand sitzt (und eigentlich vermutlich im Graben stehen sollte) ist doch arg viel beschäftigt und kann hin und wieder spannende Akzente setzen, aber eben nicht immer. Auch der Akkordeonspieler erzählt wenig und bleibt pittoresker Einfall. Das sind die wenigen schwachen Aspekte einer sonst hochkomplexen und spannenden Musik, die mit ihrer guten Effekthaftigkeit und Dramaturgie einen wirklich spannenden Opernabend generiert.

Regisseur Matthew Jocelyn gelingt es unglaublich konturierte Figuren zu zeichnen. Das gesamte Ensemble wirft sich mit einer Spielfreude in den Abend, dass man von der ersten bis zur letzten Minute gebannt auf die Bühne schaut. Bühnenbildner Alain Lagarde hat hier eine nüchterne Szenerie geschaffen, die den Figuren viel Raum für ihr Spiel lässt. Raffiniert öffnen sich aber immer wieder Luken und werden zu Gräbern, öffnen wisch Wassergräben – die Welt scheint nicht so stabil zu sein, wie man es denken möchte – hinter allem verbirgt sich etwas, gerät etwas ins Wanken – gleichsam der Welt, wie sie Hamlet sieht. Die Kostüme von Astrid Janson sind vielleicht einer der Schwachpunkte des Abends: Hier zeigt sich ein stoffgewordener Gemischtwarenladen, der alle Bereiche zwischen BWL-Student, Haute Couture und Elisabethanischem Kostümwucher auslotet, aber keine klare, stimmige Linie findet.

Was der Komponist seinen Sängern in dieser Oper abverlangt ist teilweise mörderisch. Gerade die Titelpartie des Hamlets ist ein Kraftakt, den David Butt Philipp absolut souverän stemmt. Mit ungeheurer Strahlkraft vermag er es immer wieder sich gegen den großen Orchesterapparat durchzusetzen, ist in allen Lagen seiner Stimme vortrefflich, nuanciert fein und verkörpert fast beängstigend gut die Raserei des Dänenprinzen. Ihm zur Seite als Ophelia präsentiert sich Gloria Rehm, die ihre Partie ebenfalls exzellent meistert. Im Spiel von Schmermut und Verzweiflung getrieben, zeigt sie ein beeindruckendes Rollenportrait. Andrew Schroeder als Claudius ist ein großartiger Gegner für Hamlet – zwischen Schuld und Machtgier hin- und hergerissen überzeugt er auch musikalisch auf ganzer Linie. Dalia Schaechter, mittlerweile ein Urgestein des Kölner Ensembles, hat mit der Rolle der Getrud etwas bekommen, was ihr scheinbar auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Ihre Stimme passt wunderbar in die Rolle der reifen Königin, sie spielt die Partie mit Noblesse, aber auch mit tiefer Sorge um Sohn und Königreich. John Heuzenröder als Polonius glänzt mit tenoralem Glanz und weiß auch szenisch durchaus zu überzeugen. Joshua Bloom, der neben den kleineren Partien als Player und Gravedigger vor allen Dingen in als Geist von Hamlets Vater, wie Fährmeister Charon auf einem kleinen Kahn daherkommend, begeistert mit einem sonoren, tiefgründigen Bass, der für diese Rolle einfach ideal ist. Dino Lüthy als Laertes singt die eher kleine Partie klangschön und beeindruckt im Finale der Oper mit einem angsteinflößenden Fechtkampf mit Hamlet, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Als Rosencrantz und Guildenstern stehen die beiden Countertenöre Patrick Terry und Cameron Shabazy auf der Bühne. Beide singen ihre Partien mit großer Akkuratesse, jedoch – und da kann man den beiden keinen Vorwurf machen – haben ihre wunderschönen, zarten Stimmen immer wieder Probleme gegen den monströs tobenden Orchesterapparat anzukommen. Als Player überzeugen Sergey Kaydalov, Jan Rusko und Samuel Levine, die mit der herrliche überzeichneten Theatervorstellung gekonnt auch einen humorvollen Akzent setzen. Insgesamt zeigt sich eine Ensembleleistung auf höchstem Niveau, die mit großer Emotionalität und mit sehr fein erarbeiteten Charakteren das Publikum wirklich fesselt.

Der von Rustan Samedov einstudierte Chor singt präzise und wohlklingend, zeigt aber auch immer wieder die vom Komponisten eingeforderte Schlagkraft. Das Rheinstimmen Ensemble übernimmt den Part des „Semi-Chorus“, und schafft mit seinen acht Sängern teils geräuschhafte Laute, teils Flüstern und Raunen die Musik und Szene eine weitere düster-unheimliche Ebene verleihen.

Der junge Dirigent Duncan Ward steuert den riesigen musikalischen Apparat, samt exzellent aufspielendem Gürzenich-Orchester durch die knifflige Partitur. Auch wenn dies vielleicht den nicht idealen Verhältnissen des Staatenhauses geschuldet sein mag, so wäre ein paar Korrekturen in der Lautstärke zugunsten der Sänger an einigen, wenigen Stellen wünschenswert.

Die Oper Köln präsentiert mit Brett Deans Hamlet einen modernen Musiktheaterabend, der sein Publikum gebannt fesselt und zeigt auf hohem künstlerischen Niveau, wie begeisternd und publikumsnah modernes Musiktheater sein kann.

Die Bilder stammen von © Paul Leclaire

Sebastian Jacobs, 25.11.2019