Premiere: 09.06.2019, besuchte Vorstellung: 20.06.2019
Mit Offenbach in den Hambacher Forst
200 Jahre wäre der Komponist Jacques Offenbach am 20.06.2019 geworden, ein guter Grund um in der Kölner Oper die neue Produktion der „Großherzogin von Gerolstein“ zu besuchen. Die Kölner Oper erinnert erfreulicherweise nicht nur mit den Gassenhauern Offenbachs, wie „Hoffmann“ oder „Orpheus in der Unterwelt“ an den berühmten Sohn der Stadt, sondern eben mit weniger Bekanntem (was sich in der kommenden Spielzeit mit dem gänzlich in Vergessenheit geratenen „Barkouf“ auch noch fortsetzen wird). Schließlich öffnet auch das Opernhaus für eine „Offenbachiade“ unter dem Titel „Je suis Jacques“ die Pforten der ehemaligen Opernhauskantine und so sind nach langen Jahren des städtischen Totalversagens endlich wieder Töne in der Oper am Offenbachplatz zu hören. Aber zurück zur besuchten Aufführung.
Offenbachs Großherzogin trat nach einem veritablen Fehlstart 1867 und einer danach resultierenden Umarbeitung und Straffung durch den Komponisten letztendlich doch einen Siegeszug über die Bühnen an, erfreute sich aber im 20. Jahrhundert lange Zeit nur wenig Beachtung. Jetzt kommt das Werk aber wieder häufiger auf die Spielpläne (so unlängst auch in Aachen) und es bleibt zu hoffen, dass dies nicht nur ein Phänomen des Jubiläumsjahres ist. Die Großherzogin ist ein Werk, dass gerade auf der musikalischen Seite so viel zu bieten hat: Raffinierte Ensembles, Schmissiges, Eingängiges und Wunderschönes sind ein wahres musikalisches Feuerwerk, das übrigens in Köln, soviel sei an dieser Stelle schon verraten, mit all seinem Funkeln bestens gezündet wird.
Aber worum geht es bei der Herzogin? Offenbach und seine Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy legten eine amüsante Satire auf Militarismus, Kleinstaaterei und Postenschacherei an. Die Großherzogin besucht ihr Regiment, das vom altgedienten General Bumm verwaltet wird. Dem General ist der vorlaute Soldat Fritz ein Dorn im Auge und so versucht er ihn klein zu halten. Als die Großherzogin aber vor Ort ist, ist sie Feuer und Flamme für den flotten Fritz und macht ihm Avancen. Damit das standesgemäß abläuft und auch er sich für sie interessiert, wird er kurzerhand steil befördert und läuft General Bumm den Rang ab. Dieser, sowie der eigentlich für die Großherzogin vorgesehene Prinz Paul und der von den Exaltiertheiten seiner Herzogin schwer genervte Baron Puck werden so zu einem Trio an Widersachern, dass der Herzogin gar nach dem Leben trachtet und will, dass sich nichts im Herzogtum Gerolstein ändert. Die Verbindung zwischen Herzogin und Fritz scheitert letztendlich an dessen Liebe zum Bauernmädchen Wanda.
Die Inszenierung von Renaud Doucet verlegt die Handlung in das pseudomilitärische Camp von Öko-Aktivisten und verortet eine Nähe zum Hambacher Forst. General Bumm haust im Wohnwagen, seine Soldaten kämpfen… für was eigentlich? Und gegen wen? Man weiß es nicht. Das ist problematisch, denn das was hier gezeigt wird ist die romantisierende, bourgeoise Sicht auf ein Thema der Zeit, die den Kampf für Klima und Umwelt irgendwo zwischen zauseligem Hippietum und niedlichem 68er-Kommunentreiben verortet und das plakativ mit Schildern wie „Hambi muss bleiben“ garniert. Das ist fahrlässig und eigentlich auch ziemlich platt, wissen wir aus den Medien doch, dass gerade im Kampf um den Hambacher Forst Positionen eine Rolle spielen, die mit ein paar Blumen im Haar und Plumpskloromantik nicht einfach operettenselig zu beantworten sind. Die Realität spricht hier von Vertreibung von Menschen durch Braunkohleabbau, von Straftaten wie Landfriedensbruch und Körperverletzung von grundlegenden Themen der weltweiten Klimapolitik und und und. Warum die Regie nun genau diesen Hintergrund für die Satire wählt ist höchst fragwürdig und erzählt sich leider überhaupt nicht und wird besonders im ersten Akt allzu sehr überstrapaziert. Dies ändert sich in den übrigen Akten zwar deutlich und der Fokus richtet sich hier viel mehr auf Handlung und die Figuren – im ersten Akt ist dieses Thema aber wahrlich omnipräsent. Dabei ist das was auf der Bühne ansonsten zu sehen ist eigentlich charmant.
Die Regie zeigt im opulenten Bühnenbild und mit den detailverliebten Kostümen von André Barbe reichlich Einfallsreichtum und eine gute Personenführung. Ein spielfreudiges und bestens aufgelegtes Ensemble zeigt eine Leistung, die – blendet man den Hambacher Forst aus – Laune macht. Ein paar Wortwitze, ein paar Seitenhiebe auf die Kölner Politik, Satire auf Lobbyisten, Öko-Siegel (der goldene Frosch), political correctness und natürlich auch Klüngel – alles eigentlich nicht schlecht und auch amüsant. Vor dem Hintergrund der Aktivistenkommune werden die Figuren sauber und detailreich gezeichnet und das Publikum kichert und schmunzelt auch immer wieder vergnügt. Die schwungvollen und passenden Choreographien von Cécile Chaduteau lockern die Szenerie obendrein mit einem wunderbaren Tanzensemble auf.
Eine Seite des Abends die aber uneingeschränkt zu überzeugen vermag ist die der Musik. Allen voran sei Jennifer Larmore zu nennen, die in der Titelpartie voll und ganz überzeugt. Im Spiel mit viel Esprit und an den richtigen Stellen unglaublich witzig zeigt sie auch stimmlich, wie fein und raffiniert sie Offenbach musizieren kann. Ihr zur Seite steht als Fritz der Tenor Dino Lüthy der mit Bart und Langhaarperücke einen charmanten Hippie gibt und alle Tücken der Offenbachschen Musik exzellent meistert. Klangschön und präzise setzt er jeden Ton. Emily Hindrichs als Wanda ist hervorragend besetzt und meistert die Partie absolut souverän. Miljenko Turk als Baron Puck, herrlich schmierig im Anzug als Lobbyist, sorgt nicht nur für Lacher, sondern überzeugt mit großer Spielfreude auch stimmlich absolut. John Heuzenröder als langweiliger Prinz Paul – hier der Erbe einer Bäckereikette in einem witzigen Kostüm, das an goldbraun gebackene Brötchen erinnert – spielt seine Rolle souverän. Vincent le Texier als General Bumm verkörpert den militärischen Haudegen glaubwürdig. Der Chor der Kölner Oper überzeugt auch in dieser Produktion wieder voll und ganz. Am Ende der Spielzeit muss hier einmal gesagt werden, dass dieser so entscheidende Klangkörper in der auslaufenden Saison wirklich Überragendes geleistet hat und sich unter der Leitung von Rustam Samedov unglaublich positiv entwickelt hat: Bravo! Große Spielfreude, Engagement und vor allen Dingen ein wirklich so sauberer und wohl ausgewogener Klang überzeugen auf ganzer Linie.
Am Pult des hervorragend aufgelegten Gürzenich-Orchesters entfaltet GMD Francois-Xavier Roth den Zauber Offenbacher Musik – mal flott und rasant, mal mit viel Witz und Raffinesse. Gelegentlich dürfte es vielleicht ein bisschen leichter sein – aber sei es drum: Das, was da aus dem Graben tönt ist hervorragend.
Gegen Ende zieht sich der Abend leider dann aber doch ein bisschen. Ein paar behutsame Striche und etwas eingekürzte Dialoge hätten der Produktion sicherlich gutgetan. Unterm Strich bleibt aber ein vergnüglicher Offenbach-Abend, der trotz inszenatorischer Schwachstellen letztendlich beim Publikum sehr gut ankommt und zu reichlich und langanhaltendem Beifall führt.
Die Fotos stammen von © Bernd Uhlig
Sebastian Jacobs, 21.06.2019