Leipzig, Ballett: „Paradise Lost“, Mario Schröder

Zum Ende dieser Spielzeit wird sich Mario Schröder als Ballettdirektor und Chefchoreograf des Leipziger Ballett verabschieden – nur zu verständlich, dass seine letzten Arbeiten für die Compagnie auf das besondere Interesse der Leipziger Ballettfreunde stoßen. So auch sein neuer Ballettabend Paradise Lost, für den er Joseph Haydns „Missa in Augustiis“ d-Moll, die „Nelson-Messe“, mit David Langs Komposition „The Little Match Girl Passion“ (nach dem Märchen „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von Hans Christian Andersen) verknüpfte. Zwei musikalische Welten von extremen Kontrasten trafen hier aufeinander – Haydns gloriose Messe mit ihrem Jubel, ihrem reichem Melos, den gewaltigen Chören und Langs minimalistische Klangfetzen mit gestammelten, abgehackten Silben von stupider Monotonie.

(c) Ida Zenna

Es wundert nicht, dass Schröder zur Klangfolie des 1957 geborenen Amerikaners keine memorablen choreografischen Einfälle gefunden hat. Diese beschränken sich hier auf solistische Parts und intime Pas de deux, welche die von Schröder erfundenen Titel der einzelnen Musikteile – von Enge, Leere und Kälte über Wärme, Beklemmung und Utopie bis zu Zukunft, Erlösung und Liebe – zeigen sollen. Man sieht ein Frauenpaar in kurzen grünen Kleidchen (Kostüme: Verena Hemmerlein),das Schutz sucht, ein expressives Solo, welches das Aufbäumen gegen das Schicksal ausdrückt, einen Pas de deux von inniger Zuwendung und andere private Szenen,  aber von wirklich hinreißendem Format sind allein die Gruppentänze auf die Musik Haydns. Hier zeigt sich Schröder als würdiger Erbe und Nachfolger von Uwe Scholz. Die Tänzerinnen und Tänzer in schwarzen Anzügen sind von solcher Vitalität, Dynamik und Energie, dabei stupender Synchronität, dass diese Auftritte den Abend prägen. Getragen werden sie musikalisch vom Chor der Oper Leipzig sowie dem Kinder-und Jugendchor des Hauses (Einstudierung: Thomas Eitler-de Lint/Gregor Meyer und Sophie Bauer) und dem Gewandhausorchester unter Matthias Foremny. Aus dem Solistenquartett ragen Ilse Eerens mit leuchtendem, innigem Sopran und Nora Steuerwald mit kultiviertem Mezzo heraus. Unauffällig blieb der Tenor Sebastian Seibert, während Yorck Felix Speer mit verquollenem Bass enttäuschte.

(c) Ida Zenna

Der Dirigent inspirierte die grandios singenden Chöre (links und rechts am Proszenium sowie auf der Hinterbühne) und das straff und akzentuiert spielende Orchester im Graben zu herrlichen Klangwelten, gipfelnd im „Agnus Dei“ und „Dona nobis pacem“. Die Tänzerinnen und Tänzer liegen hier am Boden, suchen Nähe und fügen sich schließlich zu einer Gruppe. Die schwarz ausgeschlagene Bühne von Andreas Auerbach zeigt im Hintergrund Leuchtstäbe, welche sich zu einem Haus fügen, und einen Flaschengarten mit rankenden Blattpflanzen und einem blühenden Krokus in der Mitte. Es ist dies ein Bild der Hoffnung, denn das Stück endet so traurig, wie es begonnen hat – mit einer Tänzerin, die auf dem Boden sitzt und Streichhölzer entzündet, die kurz aufflackern und verglühen.

Nach der umjubelten Premiere am 17. November 2023 war auch diese dritte Aufführung am 25. November ausverkauft und ein riesiger Erfolg.

Bernd Hoppe, 29. November 2023


Paradise Lost
Joseph Haydn/David Lang

Leipziger Ballett im Opernhaus Leipzig

3. Aufführung am 25. November 2023
Premiere am 17. November 2023

Choreografie: Mario Schröder
Musikalische Leitung: Matthias Foremny
Gewandhausorchester Leipzig