Leipzig: „Das Rheingold“

7.7.2022 (Premiere am 4.5.2013)

Ein musikalischer Hochgenuss in szenisch nahezu perfekter Umsetzung

Den „legendären“ Herz-Ring aus DDR-Zeiten, von dem der Chefdramaturg der Oper Leipzig, Christian Geltinger, in seinem Einführungsvortrag gesprochen hat, habe ich leider nie gesehen und muss daher auch nicht das rituelle Bekenntnis zum Antifaschismus der damaligen Zeit an dieser Stelle reflektieren. Die englische Choreografin und Regisseurin Rosamund Gilmore (1.6.1955*) setzt Wagners Opus Magnum mit den Stilmitteln des Tanzes auf handwerklich faszinierende Weise um, indem sie die Handlung durch zwölf Tänzer als sogenannte „Mythische Elemente“ kommentierend umsetzen lässt und ebenso die Umbauten anstelle von Bühnenarbeitern durch sie bewerkstelligen lässt. Das mag zwar an manchen Stellen komisch wirken, aber ein bisschen mehr an Humor hat Wagner noch nie schaden können und immerhin dem Großteil des Publikums hat es auch an diesem Abend sehr gefallen! Alle vier Szenen des Vorspiels zeigen ein einheitliches romantisierendes Bühnenbild von Carl Friedrich Oberle mit einem riesigen Entrée, das an den Seiten von zwei Wänden begrenzt wird.

In der Mitte befindet sich noch eine geschwungene Treppe. In der Mitte der Bühne befindet sich ein etwa 80 cm hohes Podest, welches im ersten Bild als riesengroßes Wasserbecken den Rhein symbolisieren soll. Ein Sofa und ein Bett auf den von den Tänzern inzwischen trocken gewischten Beckenboden lässt Wotans Wohnzimmer erahnen. Die Götter erscheinen in eleganten Kleidern um 1900, die Riesen in englischem Tweed und hohem Top hat, und Loge erinnert in Kostüm und Bewegung an Charly Chaplin als Tramp (Kostüme: Nicola Reichert). Und durch eine Bodenluke steigen dann Wotan und Loge nach Nibelheim hinab. Im vierten Bild erscheint dann Erda in Begleitung der drei Nornen, die sie an den Schicksalsfäden mit sich zieht. Am Ende der Oper erscheint die Glasdecke des Raumes in den Regenbogenfarben, die in den vorhergehenden Szenen blau, weiß und rot beleuchtet war, die Götter steigen die Wendeltreppe empor während die Rheintöchter den Verlust ihres Goldes betrauern. Das Gewandhaus Orchester unter Ulf Schirmer bot ein Vorspiel vom Feinsten. Flotte Tempi kennzeichneten sein Dirigat und er scheute auch nicht davor zurück, an den passenden Stellen geradezu pathetisch aufspielen zu lassen. Die Blechbläser ließen einen imposanten Festungsbau erahnen, während die Holzbläser die Freude der Rheintöchter an ihrem Gold hörbar unterstrichen. Das tiefe Es in den Kontrabässen deutete gemeinsam mit den Pauken bereits eindrucksvoll das unheilvolle Ende der Tetralogie an. Michael Volle bestach als Wotan mit kräftigem Bariton. Er ist ein würdevoller Göttervater, nach dessen Gebot sich scheinbar noch alle richten. Aber die Stimmung ist am Kippen, das lässt seine beginnende Entfremdung zu Fricka bereits hier erahnen. Thomas Mohr als Loge gab ein Kabinettstück eines listigen, spitzbübischen Loge. Mit seinem beweglichen Tenor charakterisierte er diesen schleimigen Halbgott als raffinierten Gauner, dem niemand schaden kann, da alle auf die Kraft des Feuers angewiesen sind. Der in Kaliforniern geborene Bariton Anooshah Golesorkhi war ein polternder Donner mit gewaltiger Röhre und aufbrausendem Temperament. Der isländische Tenor Sven Hjörleifsson unterlegte mit seinem eher hellen Tenor einen gutaussehenden Gott Froh. Friedemann Röhlig war ein stimmgewaltiger Fasolt mit exzellent geführtem Bass während der ukrainische Bass Taras Shtonda als dessen Bruder Fafner zunächst im Hintergrund blieb, bevor er sich seines Bruders durch Mord entledigt hatte. Danach hatte er auch Zeit für ein witziges Zwischenspiel mit Fricka, die begehrlich ihre Finger nach dem Gold ausstreckte, um sich doch noch ein Stück davon zu ergattern. Werner Van Mechtelen war für den erkrankten Markus Brück als Alberich eingesprungen.

Ein großer Gewinn für diesen Abend, denn hier zeigte sich ein Sänger stimmlich von seiner besten Seite und darstellerisch als sadistischer Tyrann, der seine Nibelungen und seinen Bruder Mime auspeitscht, der jedoch durch seinen Größenwahn auch leicht zu überlisten ist und schließlich in der Gestalt einer Kröte von Wotan und Loge gefangengenommen werden kann. Der finnische Tenor Dan Karlström gefiel als geschundener Mime in seinem kurzen Auftritt. Marina Prudenskaya hatte einen eindrucksvollen Auftritt gemeinsam mit den drei Nornen und ihrer hypnotisierenden Mezzostimme. Ein solcher Mahnruf an Wotan konnte von diesem gar nicht unerhört bleiben… Wotans Göttergattin Fricka war in der Kahle von Mezzosopranistin Kathrin Göring stimmlich bestens aufgehoben. Darstellerisch war sie sehr kokett, obwohl sie bereits jetzt ahnte, von ihrem Gatten betrogen zu werden. Ihre Schwester Freia wurde von Gabriele Scherer mit hellem Sopran dargeboten und spielfreudig wie sexy interpretiert. Sie hütet in ihrem Nebenberuf als Gärtnerin gleich den antiken Hesperiden das verjüngende Obst. Von den drei Rheintöchtern überzeugten Olga Jelínková als Woglinde und Sandra Maxheimer als Wellgunde mit gut geführtem Sopran bzw Mezzosopran. Einziger Wermutstropfen blieb die soubrettenhafte Stimme von Sandra Fechner, die für die erkrankte Sandra Janke eingesprungen war. Immerhin war der Abend aber dadurch gerettet, sodass man ihr kleinere Unsauberkeiten gerne nachsehen wird.

Ein Übel gibt es dennoch anzumerken: Wer während des Rheingolds auf Grund seiner/ihrer schwachen Blase auf die Toilette gehen muss, sollte der Vorstellung fernbleiben bzw. vorher nichts trinken. An der Wiener Staatsoper können sie zwar die Vorstellung verlassen, danach aber nicht mehr an ihren Sitz zurückkehren. In Bayreuth werden die Türen überhaupt versperrt. Diesfalls empfehle ich eine medizinische Leibwäsche zu tragen! Abgesehen von diesen Unterbrechungen im Parterre war die Vorstellung ein voller Erfolg und man erwartet die übrigen Teile mit größter Spannung!

Harald Lacina, 9.7.

Fotos: Tom Schulze