Ein Versöhnungsversuch des Regietheaters mit dem konventionellen Publikum
Unser Besuch der Premiere der neuen Leipziger „Meistersinger-Inszenierung“ war dem Chemnitzer „Tristan“ zum Opfer gefallen. Die zweite Vorstellung blockierte das „Schuch-Gedenkkonzert“ in Dresden. Aber die Fachkritik der Arbeit des Briten David Poutney war derart differenziert, zum Teil unsicher, dass letztlich die Neugier siegte, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen und die letzte Aufführung vor der neuerlichen Corona-Schließung zu besuchen.
Sollte am 26. März des kommenden Jahres die Lohengrin-Inszenierung der Katharina Wagner noch über die Bühne gehen, so verfügt die Oper Leipzig als eine der wenigen Häuser weltweit über den kompletten Reigen der Bühnenwerke Richard Wagners einschließlich der Frühwerke. Mithin bleibt der Oper Leipzig unbedingt auch die Aufführungskompetenz der Werke des Sohnes der Stadt.
Was bei den Regietheater-Aufführungen guter Häuser üblicherweise bleibt, ist der musikalische Eindruck. Die Musiker des Gewandhausorchesters waren vor allem professionell-souverän und das Dirigat Ulf Schirmers eben wie Ulf Schirmer, eben etwas direkt, Wohlmeinende sagen prägnant, und nicht immer bühnenfreundlich. Herausragendes boten die Holzbläser des Orchesters und über weite Strecken die beiden Chöre dank der Einstudierung en von Thomas Eitler-de Lint.
Den Hans Sachs sang mit seiner doch in allen Lagen prachtvollen Baritonstimme James Rutherford als einen eloquent, altersweisen, in sich ruhenden, geradlinigen Menschen und nicht den besserwissenden Künstler. Packend beeindruckte sein Fliedermonolog und der Wahn-Monolog. Die im Haus als Hochdramatische bewährte Elisabet Strid bewies, dass sie ihre enorme Stimme auch mädchenhafter, lyrisch-verhaltener, zerrissener einsetzen kann und damit die Eva bravourös überzeugend darbot. Die Magdalena der Haus-Mezzosopranistin Kathrin Göring fand ich charakteristisch gut spielend, vor allem spannend in den Szenen mit dem bravourös-balcantisch singenden David von Matthias Stier, einem ausgesprochenen Komödianten.
Mit seiner souveränen Strahlkraft und dem verführerisch-lockerem Spiel des Magnus Vigilius war ein passgenauer Walter von Stolzing aufgeboten, der letztlich alle Wünsche erfüllte.
Der stimmlich gewaltige Bassist Randall Jakobsh aus Kanada führte die Riege der Meistersinger als Veit Pogner eher unauffällig an. Die Gruppe mit Sven Hörleifsson als Kunz Vogelsang, Marek Reichert als als Konrad Nachtigall, Trick Vogel als Balthasar Zorn, Alvaro Zambrano als Ulrich Eißlinger, Paul Kaufmann als Augustin Moser, Franz Xaver Schlecht als Herrmann Ortel, Roman Astakhov als Hans Schwarz und Jean-Baptiste Mouret als Hans Foltz waren gesanglich und darstellerisch richtig in Ordnung, fielen vor allem durch ihre prachtvollen Gewänder von Marie Jeanne Lecca auf. Jedoch lediglich Tobias Schnabel konnte sich aus der Gruppe als Fritz Kortner profilieren.
Der Sixtus Beckmesser, dargestellt vom ausgezeichnet singenden Mathias Hausmann, gehört zwar auch, als der eigentlich gebildetere Stadtschreiber, zu den Meistersingern. Er war aber komplett in schwarz gekleidet und mit einem Käppchen ausgestattet. In den Premierenkritiken ist die zwielichtige Aufmachung des hervorragend agierenden Matthias Hausmann untergegangen, weil er da nur Playback agierte. Ein Ersatzmann sang und Hausmann begeisterte das Fachpublikum mit seiner pantomimischen Leistung. Er kann tatsächlich nicht nur singen, sondern auch Slapstick bieten.
Richtig gut besetzt auch war der Nachtwächter mit Sejong Chang
Bezüglich des Musikalischen war der Abend ein großer Gewinn.
Bleibt noch die Meinungsbildung zur Inszenierung von David Poutney:
Natürlich ist es bei der reichhaltigen Rezeptionsgeschichte der „Meistersinger“ inzwischen schwierig, etwas wirklich Neues auf die Bühne zu bringen. Das Stück auf die Dreiecksbeziehung und die Liebesgeschichten zu konzentrieren oder es als simple Volkskomödie zu inszenieren wagt heutzutage wohl kein Regisseur, der irgendwo noch weiter beschäftigt werden möchte.
Vor diesem Vorwurf hat der Brite Leslie Travers den Regisseur bewahrt, indem er parallel zur Handlung mit seinen Bühnenbauten eine Geschichte mit Episoden aus der deutschen Historie erzählt, (fast) ohne in die Handlung einzugreifen:
Im ersten Aufzug wurde uns ein Miniatur-Nürnberg als eine florierende mittelalterliche Stadt vorgestellt. Die einem Amphitheater nachempfundene Umrandung der Stadt wurde von Handwerkern weiter mit Patrizier-Häusern bebaut. Diese erwiesen sich dann allerdings als die Sitze der Meistersinger. Die Singenden und Spielenden mussten sich von einer recht geschickten Personenregie ohne rechte Not in den Gassen durchwursteln lassen, aber es passte schon.
Der zweite Aufzug erlaubte uns einen Blick aus dem Vorraum des Sachs´schen Hauses auf das Mini-Nürnberg. Die an das Nürnberger Reichsparteitagsgelände erinnernde Beton-Umrandung der Stadt wirkte mit ihrer Leere schon bedrohlich. Und tatsächlich stürzten vom rechten Treppenteil schwarzgekleidete Horden auf die vom linken Treppenteil stürmende rotgekleidete Gruppe und lieferten eine deftige „Prügelfuge“ ab, während das Nacht-gewandete Nürnberger Bürgertum von der mittleren Dammkrone, teils entsetzt, teils interessiert, zuschaute. Die Weimarer Demokratie war zerschlagen, und wer es noch nicht begriffen hatte, dem wurde ein Video vom zweiten Weltkrieg einschließlich des zerstörten Landes eingespielt.
Die Trümmer der Auseinandersetzung wurden am Beginn des Schlussbildes beseitigt und von fleißigen Handwerkern wurde eine Miniaturausführung des Berliner Reichstags, als Symbol der deutschen Wiedervereinigung in der Mitte der Festwiese aufgebaut.
Da beschlich mich sogar der Verdacht, ob bei der Betrachtung deutscher Geschichte durch die beiden britischen Herren nicht Margret Thatchers Misstrauen gegen ein einheitliches Deutschland unterschwellig zu deren Gedankengut gehört. Dieser Gedanke kam mir, als das Reichstagsmodell als Podest der Preislied-Sänger genutzt wurde und Walter von Stolzing beim Singen seines Triumphlieds auf
unserem Parlament herumtrampelte.
Eine Rezensentin der Premiere beklagte, dass der historische Kontext der Inszenierung vor dreißig Jahren abschloss und regte an, dass Poutney die Demokratiedefizite der Sachsen hätte reflektieren oder Beckmesser als Querdenker aufmarschieren lassen können.
Die „Schusterstube“ war als Kammerspiel, da wo von Wagner vorgesehen, zwischengeschaltet und mit den unumgänglichen Verfremdungen versehen, in dem der bis zu diesem Teil der Vorstellung in moderner Freizeitkleidung agierende Stolzing aus der Dusche des mittelalterlichen Hauses kam, sich die Haare trocknete und anschließend in Weiß gewandet wurde. Gleiches passierte auch David, der bis dahin mittelalterlich gekleidet war, und der Magdalena. Die Eva kam schon im Brautkleid auf die Szene, so dass das „Quintett“ nur Hans Sachs aus der „Orgie in Weiß“ ausschloss.
Im Finale erhielten auch die Gender-Feministen ihr Sahnehäubchen: als Stolzing nämlich doch noch die Macho-Meisterketteakzeptierte, verließ Eva, schon wieder zeitgemäß gekleidet, mit einer Gruppe junger Frauen fluchtartig die Szene.
Den Besuchern hat es offenbar gefallen. Selbst bekennende „Konservative“ äußerten sich begeistert.
Bei der Beschäftigung mit der Historie der Aufführungen des Wagners-Werkes in seiner Geburtsstadt, bin ich auf ein Zitat im Programmheft der „Meistersinger-Inszenierung“ der Oper Leipzig von Joachim Herz des Jahres 1960 gestoßen. Das war jene Inszenierung, mit der das Haus eingeweiht worden war. Es gab damals eine heftige Diskussion, ob bei der herrschenden Wohnungsnot ein Opernhausneubau dringlich wäre:
„Das Spiel von den Meistersingern und ihrer Zunft wurde von Wagner ersonnen, um im Gleichnis einer fernen Vergangenheit ein Ziel für die Zukunft abzustecken-ein Ziel, erträumt aus den Misshelligkeiten eines Künstlerlebens und den Stürmen der Jahre 1848; ein Ziel, das auch für uns als schönste und schwerste Aufgabe noch vor uns liegt: Künstler und Volk, Kunstwerk und Gemeinde, Produzierende und Aufzunehmende zu vereinen“.
Thomas Thielemann, 21.11.21
© Kirsten Nijhof