Vorstellung am 10.7.2022 (Premiere am 30.4.2016)
Eine durchwachsene Aufführung
Die vom Tanz kommende Regisseurin Rosamund Gilmore blieb ihrem Konzept treu, indem sie das Bühnengeschehen durch Tänzer und Statisten aufmotzte. Ob als Ross Grane, oder als die beiden Raben von Wotan, Hugin und Munin, ob als Kammermädchen mit Widderhörnern bzw. Kellner in Livree, die mythischen Figuren sind omnipräsent. Das Einheitsbühnenbild Carl Friedrich Oberle stellte eine graue Halle mit fünf Säulen dar, aus der die germanischen Hauptgötter Wotan, Donner, Froh, Fricka und Freia von Zeit zu Zeit erscheinen und hilfesuchend nach oben stieren. Michael Rögers Lichtregie ermöglicht es den Zuschauern, dabei, abgegrenzte Schauplätze zu erkennen. Im Hintergrund gibt eine riesige Glasfassade den Blick auf den Rhein frei. Die drei Nornen lösen sich aus einer Gruppe mythischer Figuren und knüpfen mit Unterstützung dieser das Seil um zwei Säulen. Die Edda verrät uns ihre Namen, die im Personal der Götterdämmerung nur durchnummeriert werden. Es handelt sich um Urð, Verðandi und Skuld, deren Namen auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft verweisen und im Vorspiel erzählen sie auch, was bisher geschah und noch geschieht. Die dritte Norn schließlich erschaut dann das Ende der Götter im brennenden Walhall. Doch die Visionen verschwimmen und das Seil reißt, womit ewiges Wissen für immer endet!
Die zweite Szene des Vorspiels spielt auf einem Balkon, der den Felsen Brünnhildes symbolisieren soll. Im ersten Akt rollen dann Tänzer einen weißen Konzertflügel im Zeitlupentempo in die Gibichungenhalle. Dieser fungiert dann im dritten Aufzug als Aufbahrungspodest für Siegfried und später als Scheiterhaufen, den Brünnhilde in ihrem Schlussgesang besteigt. Für den Speerschwur im zweiten Akt muss ein Stilett herhalten, das Hagen wie selbstverständlich bei sich im Gewand trägt. Mit diesem ersticht er dann auch Siegfried im dritten Aufzug, der auf einem Hirschkadaver liegend von der Bühne gezogen wird. Die beige gekleideten uniformierten Mannen Hagens tragen alle, mit Ausnahme eines, ein Barrett und rufen so Assoziationen an dunkle SA-schwangere Zeiten hervor. Nachdem Hagen auf der Szene erscheint, fand der ohne Kappe singende Chorist noch rasch Gelegenheit seine Mütze aufzusetzen. Dieser humorvolle Fauxpas erinnerte mich an die Gegenwart, wo manchen Menschen gar nicht bewusst ist, dass sie keinen Mund-Nasen-Schutz tragen. Am Ende der Oper versinkt der feuerrot leuchtende Flügel, auf dem Siegfried und Brünnhilde liegen, zusammen mit dem gesamten Personal, während schwarze Tücher vom Schnürboden fallen. Die Rheintöchter freuen sich über den wiedergewonnenen Ring und reißen Hagen mit sich in die Tiefen des Rheins.
Ulf Schirmer leitete das Gewandhausorchester umsichtig und mit äußerster Präzision. An einigen Stellen gelang es dem Orchester unter seiner Stabsführung spannende Bögen voller Expressivität aufzubauen, andere Passagen wiederum erklingen fast kammermusikalisch intim. Über kleinere Mängel bei den Blechbläsern und bei den auf der Bühne zum Einsatz gebrachten und extra für diese Aufführung angefertigten Stierhörner, die an Alphörner erinnern, die aber nach unten nicht gebogen sind und deshalb waagrecht geblasen werden müssen. Dazu sind pro Horn zwei Mann nötig. Sie verstärken die Basstuba im Orchestergraben kann man bei diesem Ringmarathon wohlwollend hinwegsehen. Stefan Vinke als Siegfried gab einen Helden mit strahlender Leuchtkraft seines höhensicheren Tenors. Auch darstellerisch überzeugte er als etwas dümmlicher, leicht verführbarer Wälsungenspross. Die Götterdämmerung-Brünnhilde gehört zu den wohl schwierigsten Partien im hochdramatischen Fach. Der Sopran von Lise Lindstrom als Brünnhilde hörte sich über weite Strecken gequält an. Ihre flackernde Stimme wirkte oft ermüdet, was an ihrer wackligen Intonation hörbar war.
Kathrin Göring sorgte als Waltraute für den gesanglichen und darstellerischen Höhepunkt im ersten Akt. Kaum zu verstehen, dass sie bei ihrem eindringlichen und fordernden Mezzosopran den Ring für die Rheintöchter nicht zurückgewinnen konnte. Der finnische Bassbariton Tuomas Pursio sang mit markanter, gewohnt rauer Stimme einen koksenden Gunther mit Sauerberkeitswahn. Imposant von der Statur wie von der Stimme war der ukrainische Bass Taras Shtonda als Hagen. Aufmerksam lauerte der intrigante Nibelungensohn mit dämonischer Heimtücke auf die passende Gelegenheit, seinen Halbbruder Gunther und dessen Schwester Gutrune für das verhängnisvolle Ränkespiel um die Gunst Siegfrieds und die Eroberung Brünnhildes zu verführen. Als Gutrune gab es ein freudiges Wiedersehen mit der US-amerikanischen Sopranistin Emily Magee. Die von allen gedemütigte und wie eine Ware in einer Vitrine ausgestellte Gibichungentochter wird zum willigen Spielball ihre Brüder. Am Ende ist sie völlig gebrochen als der tote Siegfried vorgeführt wird und kurz darauf ihr Bruder Gunther von Hagen getötet wird. Erst jetzt durchschaut sie die Täuschungen ihres Halbbruders Hagen und schreitet resigniert nach dem Bühnenhintergrund zu. Christiane Döcker sang die erste Norn, Karin Lovelius die 2. Norn, beide mit herrlichem Mezzosopran. Magdalena Hinterdobler ergänzte dieses Terzett als 3. Norn mit glockenhellem Sopran. Das Trio der Rheintöchter mit Olga Jelínková, Sandra Maxheimer und Sandra Janke sang ausgewogen ohne hörbare Abstriche. Der Belgier Werner Van Mechelen gefiel als der von seinem Sohn Hagen im Halbschlaf hinters Licht geführte Schwarzalberich mit erdigem Bassbariton. Der Männerchor der Oper Leipzig war von Thomas Eitler-de Lint bestens einstudiert. Einziger Wermutstropfen dieser Götterdämmerung blieb das häufige Rampenstehen der Sänger. Falls von der Regisseurin so verordnet, bleibt es der künstlerischen Freiheit der Sängerinnen und Sänger überlassen, hier eine bessere Interpretation zu finden. Manchmal würde das dieser „Inszenierung“ schon zugutekommen! Begeisterter Applaus beendete diesen Ringmarathon, zu dem auch das gesamte Orchester auf der Bühne erschien.
Harald Lacina / 12.7.22
Fotos: Tom Schulze