Leipzig: „Siegfried“

9.7.2022 (Premiere am 12.4.2015)

Ein kurzweiliger Abend

Man kann darüber streiten, ob „Siegfried“ der schwächste Teil der Tetralogie ist, muss aber bedenken, dass Wagner das Modell der Tetralogie auf den vorhandenen altgriechischen Dramen von Aischylos, Sophokles und Euripides aufbaute und ein Teil daher folgerichtig als Satyrspiel fungiert. Bei Richard Wagner ist es der ursprünglich „Der junge Siegfried“ genannte 3. Teil. Dieser war zunächst wesentlich kürzer war. Durch Einfügung der Wissenswette im ersten Aufzug hat der Komponist aber das Werk „gestreckt“. Psychologisch betrachtet handelt es sich um eine „Initiationsgeschichte“ (so der Dramaturg Christian Geltinger) eines jungen, elternlosen Helden auf der Suche nach seiner Identität, zugleich aber auch eine „groteske Satire auf das Streben des Menschen nach Macht und Besitz.“

Die Diskrepanz zwischen Macht und Liebe scheint In der Begegnung von Siegfried und Brünnhilde für einen kurzen Moment aufgehoben zu sein und die „Utopie einer besseren Welt“ aufzuleuchten. Während es bei Tristan und Isolde „O sinke nieder Nacht der Liebe“ heißt, beleuchtet das strahlende, blendende Licht der Sonne diese aufkeimende Liebe. Die Regisseurin und Choreografin Rosamund Gilmore bleibt ihrem Stil treu und versucht mit Brachialgewalt diese an sich handlungsarme Oper mit ihren Tänzern zu beleben. Das Bühnenbild von Carl Friedrich Oberle bestand im ersten Akt aus drei großen Betonelemente mit Öffnungen. Siegfried tritt mit Latzhose auf, um dem Publikum „Jugend“ vorzugaukeln. Der Bär, den er mit sich führt, erweist sich als Tänzer, der sein Kostüm schließlich Mime aushändigt. Die übrigen Tänzer schossen während der Rätselsszene wie Würmer aus einer grünen Wiese, die sich hinter der angeramschten Behausung von Mime befindet. Eine gewollte Bebilderung der Rätsel konnte ich beim besten Willen darin nicht erkennen. Mime bricht auf einem Damenfahrrad mit Siegfried nach Fafners Höhle auf. Im zweiten Aufzug stehen nur mehr zwei Betonelemente auf der Bühne, verbunden mit einer efeuumrankten Brücke. Szenischer Höhepunkt des zweiten Aufzugs war der Auftritt Fafners in der überlebensgroßen Puppe eines Bankiers, gekleidet im englischen Tweed mit Top Hat wie im ersten Akt auf einem riesigen roten Samtsofa.

Um ihn herum wuseln viele kleine Fafner-Bankiers wie Klone und bilden so den Leib des Wurms. Der Waldvogel wird, wie allgemeiner Usus in vielen Inszenierungen der Gegenwart, von einer tanzenden Ballerina im Federkleid (Sandra Lommerzheim) dargestellt und hinter der Bühne gesungen. Im dritten Aufzug sitzt der Wanderer auf den Stufen einer verkohlten Turmruine aus deren Fundament Erda in Begleitung der drei Nornen herauskriecht. Nachdem Siegfried den Speer seines Großvaters Wotan zerspellt hat, dreht sich die Bühne und wir erblicken wieder den Brünnhildenfelsen, der durch eine Plattform angedeutet wird und die dreistöckige geneigte Wand aus dem Ende der Walküre, welche dem neoklassizistischen Palazzo della Civiltà Italiana nachempfunden ist. Siegfried erweckt Brünnhilde durch einen Kuss aus ihrem komatösen Schlaf und stellt dabei völlig überrascht fest, dass diese „kein Mann“ ist! Diese Szene barg für mich schon immer den größten Humor, zu dem Wagner, abgesehen vom „Liebesverbot“, überhaupt fähig war. Das finale Duett wird von einem als Grane verkleideten Tänzer begleitet, während Tänzer mit ekstatischen Bewegungen das Liebespaar umrunden. Das Dirigat von Ulf Schirmer ist durchwachsen. Epische Breite beherrscht große Teile des ersten und zweiten Aktes. Erst im dritten Akt blüht das Gewandhausorchester unter seinem Dirigat zu einem spannenden Furioso auf. Weiche Streicherpassagen wechselten einander gekonnt mit den tiefen Blechbläsern, die Fafner ankündigen, ab. Dem 1962 geborenen US-amerikanischen Tenor Stephen Gould gelang es darstellerisch halbwegs einen jugendlichen, sich im Selbstfindungsprozess befindlichen Knaben darzustellen. Mit seinem Heldentenor konnte er noch immer manch schöne Passage singen, wenngleich er die Spitzentöne fallweise schon stemmen musste. Sein Ziehvater Mime wurde von Dan Karlström als Kabinettsstück eines intriganten und berechnenden Zwerges angelegt. Während Siegfried aus den Trümmern des Schwertes seines Vaters Siegmund das Schwert Nothung neu schmiedet, bereitet dieser Spiegeleier vor und nimmt einen vergifteten Sud in einer Thermoskanne mit sich auf der Radfahrt zur Neidhöhle Fafners.

Seine Verschlagenheit äußert sich musikalisch in den Bratschen. Mit Michael Volle stand an diesem Abend ein Wanderer der absoluten Weltklasse mit seinem unvergleichlichen Bariton auf der Bühne. Der finnische Bass-Bariton Tuomas Pursio zeigte sich gesanglich besonders eloquent in der Auseinandersetzung mit Wotan und später mit Mime. Die Stimmen beider Sänger harmonierten aufs Beste! Für die Rolle des zum Wurm gewandelten Riesen Fafner ließ der kanadische Bass Randall Jakobsh seine furchteinflößende Tiefe aus dem Off ertönen. Aus der Tiefe auf seinem Samtsofa emporsteigend erstrahlte sein Bass dann vollends in seiner natürlichen Schönheit. Als Waldvogel gab es ein Wiederhören mit dem gleichfalls aus dem Off singenden Wiener Publikumsliebling Daniela Fally mit ihrem glockenhellen Sopran. Mit Marina Prudenskaya als Erde gab es wieder einen der Höhepunkte im tiefen Register der Frauenstimmen. Ihr abgedunkelter Mezzosopran strömte markant voller Akkuratesse. Und schließlich Daniela Köhler als stimmstarke Brünnhilde. Eine Sängerin mit Ausstrahlungskraft, die auch alle gefürchteten finalen Spitzentöne ohne Schwierigkeiten meisterte. Obwohl einige Plätze im Haus leer geblieben waren zeigte sich das anwesende Publikum von den Darbietungen an diesem Abend angetan und spendete begeistert Applaus, in den sich auch so manche Bravo-Rufe mischten.

Harald Lacina, 11.7.

Fotocredits: Tom Schulze