Leipzig: „Lohengrin“ als Kammerspiel

Nach der Absage von Katharina Wagner für die Neuinszenierung von Richard Wagners Lohengrin am Opernhaus Leipzig fiel es dessen Künstlerischem Produktionsleiter Patrick Bialdyga zu, in kürzester Frist für einen Ersatz zu sorgen. Er nutzte seine Kurzfassung des Werkes von 2020, die Corona bedingt ohne Chor auskommen musste, für eine Überarbeitung – diesmal mit dem Chor, der im Hintergrund in einem zweistöckigen Bühnenaufbau (Norman Heinrich) positioniert ist und zumeist im Dunkel bleibt. Immerhin sind der Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig (Thomas Eitler-de Lint) wenigstens akustisch deutlich vernehmbar und glänzen in den großen Chorszenen mit Kraft und Wohllaut.

Die Idee des Regisseurs, die Romantische Oper als Kammerspiel zu inszenieren, mutet seltsam an. Er verzichtet auf große Tableaus und Aufmärsche, konzentriert das Geschehen in einem halbhohen grauen Raum, dessen hintere Wand fünf schmale Öffnungen aufweist und der mit langen Tischen und Stühlen ausgestattet ist. Pausenlos wird das Mobiliar zu verschiedenen Schauplätzen geordnet – zum Kampfplatz für das Duell zwischen Lohengrin und Telramund, das Duett zwischen Elsa und Ortrud, das Brautbett und ein Podest für Lohengrins Abschied. Darüber hinaus gibt es merkwürdige Einfälle – so Telramund als Blinden zu zeichnen, der noch dazu an einem Schachbrett sitzt und durch seine Behinderung im Kampf mit dem Schwanenritter von vornherein benachteiligt ist. Ungewöhnlich geführt ist auch der Heerrufer (Martin Häßler mit jugendlichem Bariton) im Business-Anzug (Roy Böser & Jennifer Knothe), mit dem Ortrud ein Verhältnis hat, wovon mehrere Verführungsszenen zeugen. Am Ende des 2. Aufzuges eskaliert die Situation, wenn der Heerrufer eine Pistole auf Lohengrin richtet, der ihn entwaffnet und auch Ortrud vor dem Suizid bewahrt. Wenn am Ende der vermisste Gottfried unter einem Haufen von Schwanenfedern hervor kriecht und Ortrud den Heerrufer anstachelt, den Knaben zu erschießen, richtet dieser die Waffe auf Ortrud selbst. Sonst erschöpft sich die Inszenierung in Arrangements an der Rampe, in willkürlichen Auftritten und Abgängen sowie abgegriffenen Bildern wie einem Sektkübel im Brautgemach.

Auch für den Stargast des Abends, Klaus Florian Vogt in der Titelpartie, fand die Regie keine attraktiven Auftritte. Im grauen Pullover kommt er wie beiläufig von links herein, im Arm eine Glaskugel mit einem weißen Schwan. Zunächst hört man seinen knabenhaften, anämischen Tenor, der erst später an Kontur gewinnt. In der Höhe verfügt die Stimme inzwischen an metallischer Durchschlagskraft. Im Brautgemach trägt er einen Gehrock, klingt anfangs keusch und bar jeder Sinnlichkeit. Die Gralserzählung absolviert er souverän und stattet sie mit überirdischen Tönen aus.

Elsa in Gestalt von Gabriela Scherer wird schon im Vorspiel in einem Spot gezeigt, wo sie von Ortrud Gottfrieds Kleidungsstücke erhält. Die Stimme der jugendlich-dramatischen Sopranistin ist warm und empfindsam, darüber hinaus vorbildlich in der Artikulation. Und sie verfügt auch über die Kondition zur Bewältigung der ausgedehnten Brautgemach-Szene. Kathrin Göring als blonde Gegenspielerin Ortrud im blauen Hosenanzug beherrscht die Bühne durch ihre enorme Präsenz. Dem hellen Mezzo fehlt es vielleicht an interessanter Farbe, nicht aber an Kraft und Charakter. Fulminant gerät die Götteranrufung, brutal attackiert sie danach Elsa in beider Duett, um ihr danach beim Brautchor heuchlerische Komplimente zu machen. Tuomas Pursio brauchte als Telramund einen ganzen Aufzug, um seinen tremolierenden, verquollenen Bariton in Form zu bringen. Im 2. Aufzug gab es dann imponierende Ausbrüche von grimmigem Ausdruck. Randall Jakobsh muss als König Heinrich ständig eine Papp- mit der goldenen Krone wechseln. Der Bass klingt dumpf und brüchig, dazu limitiert in der Höhe.

Christoph Gedschold hält mit dem Gewandhausorchester Bühne und Graben souverän zusammen. Dem ersten Vorspiel fehlt es noch an ätherischem Zauber, aber die düstere Stimmung der Einleitung zum 2. Aufzug trifft der Dirigent genau. Beeindruckend geformt sind die großen Ensembles der Aktschlüsse, betörend ist der Streicherglanz im Duett Elsa/Ortrud. Nach der 2. Aufführung der Neuinszenierung am 3. 4. 2022 spendete das Publikum reichen Beifall. Wagner 22 in Leipzig ist nun komplett und kann im Rahmen der Festtage im Juni/Juli als geschlossener Zyklus mit 13 Werken gezeigt werden.

Bernd Hoppe, 5-4-2022

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