Die letzte Premiere des Opernintendanten Ulf Schirmer, an der er aktiv nicht beteiligt ist, gilt Carl Nielsens selten gepielter Komischer Oper „Maskarade“ (dänische Schreibweise!), die er vor vielen Jahren bei der DECCA als Gesamtaufnahme eingespielt hatte. Carl Nielsen ist wohl der bedeutendste dänische Komponist und bei uns vor allem durch seine Sinfonien bekannt; doch auch „Maskarade“ taucht etwas häufiger in den Spielplänen auf, so an der Oper Frankfurt schon in dieser Saison. Oft wird das Werk als dänische Nationaloper bezeichnet, doch als typische Nationaloper kann man sie nicht bezeichnen, denn weder tümelt sie in der Musik typisch dänisch, noch hat die Handlung ein irgendwie patriotisches Thema; vielleicht sollte man sie einfach als die bekannteste dänische Oper nennen. Das gereimte Libretto der um 1906 komponierten Oper fußt auf eine Komödie des großen (dänischen!) Dichters Ludvig Holberg. Zwei ältere Hagestolze wollen ungefragt ihre Kinder verheiraten, die sich allerdings schon auf dem Maskenball ineinander verliebt haben. Alles strebt auf einen finalen Maskenball zu, auf den alle, bis auf den einen besonders renitenten Vater wollen, der prompt düpiert wird. Drei Dienstfiguren, wie aus der italienischen Commedia dell`arte, lassen aus dem „Jung gegen Alt“ auch ein Spiel zwischen den Sozialstrukturen werden. Die Handlung kommt also etwas harmlos daher, die Übersetzung wirkt manchmal recht bieder, manchmal jedoch auch entzückend schrullig voll altertümlicher Wendungen, und bringt bei guter Textverständlichkeit durchaus einige Lacher. Nielsen Musik fängt in ihrer Vielgestltigkeit das gesamte Spektrum des Komponisten ein, bezaubernd instrumentierte Spätromantik, trifft raffinerte Technik des Satzes, daneben fast allzu schlichte Melodik, moderne Konversationsszenen neben fast italienisch wirkender Ensemblekunst. Doch Alles insgesamt wirkt wie von leichter Hand mit grundsätzlicher Fröhlichkeit durchleuchtet. Vielleicht kein direktes „Meisterwerk“, doch absolut spielenswert.
Man hat sich an der Leipziger Oper für Cusch Jung als Regisseur entschieden, der sich vor allem als versierter Fachmann für das musikalische Unterhaltungstheater (Musical und Operette) ausgewiesen hat, einem Fach, das gerne mal unterschätzt wird. Die Rechnung geht auf; und Jung versucht nicht, das Ei neu zu erfinden, sondern das Werk mit seinen biederen Brüchen möglichst gut auf die Bühne zu stellen. Wichtigen Anteil daran hat die Ausstatterin Karin Fritz, die Bühnenbilder mit vielen Anspielungen an skandinavisches Design, durchaus modern, wie elegant, selbst die farbigen Schiffscontainer wirken so schön, das das finale Bild des Maskenballes mit den hinreißenden Fünfziger-Jahre-Kleidern einen verdienten Szenenapplaus bekommt; die Sauna des ersten Bildes finde ich persönlich mit ihrer an Alvar Aalto erinnernden Optik noch schöner, trotz des Kronleuchters des Balles, der aus 466 Flaschen besteht! Im Ballakt, aber auch vorher, wird durch den Choreographen Oliver Preiß sehr gelungen das nötige tänzerische Element involviert. Man hat dabei die Komödie, die eigentlich im Jahr 1723 spielt, behutsam an unsere Zeit gerückt.
Ja, wir haben auch immer noch Corona-Zeit, die ja in der Öffentlichkeit gerne vergessen wird, doch an den Theatern durch Umbesetzungen und Erkrankungen sehr präsent ist. Was tun , wenn bei einer solchen Opernrarität, zwei Tage vor der Premiere „der Tenor“ krank wird. Mit Glück einfach den wohl besten Interpreten der Partie an Land ziehen: Gert Henning Jensen hatte schon in Schirmers Aufnahme vor sehr vielen Jahren den jungen Tenorliebhaber Leander gesungen und macht den äußerst gelungenen Sprung, allerdings auf Dänisch. Jensen gelingt es auf der Bühne immer noch glaubhafte Jugendlichkeit zu versprühen und erfreut durch leuchtenden Tenorgesang und enorme Spielfreude. Die anderen Sänger sind ebenfalls hochmotivert und, was wirklich sehr auffällig ist, alle von hervorragender Textverständlichkeit (sogar das Dänisch des Einspringers kann man verstehen!), was auch einen Teil des Erfolgs ausmacht. Der oberbiestige Papa Jeronimus liegt in der sonoren Basskehle von Magnus Piontek gerade recht, wie seine Angetraute Magdelone mit dem samtigen Alt von Barbara Kozelij ausgestattet ist, bloß die ältliche Mutter nimmt man der attraktiven Sängerin schwerlich ab. Ein Kabinettstück in der Darstellung eines viel älteren Mannes gelingt Sven Hjörleifsen als lebensfroherer Papa Leonard, hier passend ein geschmeidiger Tenor.
Das Liebespaar zu komplettieren, gefällt Theresa Pilsl mit angenehm tremolierendem Sopran, die stimmlich wunderbar Gert Henning Jensens Tenor ergänzt. Musikalisch wichtig ist der Diener Henrik, ein wenig Mozarts Figaro nahegelegt, ist er mehr Leanders Freund, als angestellt. Marek Reichert singt ihn mit substanzreichem Bariton, bleibt aber als Figur etwas steif. Die kleinere Dienerrolle bietet Dan Karlström , sein Arv wirkt stimmlich und szenisch auf den Punkt. Dem Henrik zugesellt wird Leonores selbstbewußte Zofe Pernille, Sandra Janke weiß mit präsentem Mezzosopran für sich einzunehmen. Unter den vielen kleineren Gesangspartien sticht gesanglich und komödiantisch Fredrik Essunger als Maskenverkäufer heraus. Der Chor der Oper Leipzig zeigt seine Qualitäten szenisch, tänzerisch und gesanglich vor allem beim Maskenball. Stephan Zilias läßt das Gewandhausorchester schier aufleuchten, vor allem in der Ouvertüre und im Vorspiel zum zweiten Akten hört man Verzauberndes. Er sorgt aber auch für unglaubliche Durchhörbarkeit des Orchestersatzes, was ein Grund der beachtlichen Textverständlichkeit ist. Lediglich kleine Pausen zerreissen manchmal den Konversationsfluß auf der Bühne.
Von dieser Unterhaltungsnummer und der freundlichen Spätromantik Nielsens sichtlich überrascht, gab sich das Publikum gerne dem Verschnaufen des Alltags mit Krieg und Krankheit hin. Es wurde gekichert und gelacht und sich einfach mal erfreut. Die optische Schönheit der Ausstattung, nicht hoch genug zu veranschlagen dank Karin Fritz, tat das ihrige dazu. Großer und berechtigter Schlussjubel. Vielleicht ist „Maskarade“ nicht das Meisterwerk, auf das die Welt gewartet hat, aber die Produktion bringt die besten Seiten der Oper zum Funkeln. Eine Reise nach Leipzig lohnt sich.
Martin Freitag, 26.4.
Fotos von Kirsten Nijhof