Leipzig: „Tristan und Isolde“

(Premiere am 05.10.19)

Und weil Wagnerianer nie genug kriegen können – hier die fünfte Kritik:

Tristan und Isolde und Melot

Einen durchaus sehens -wie hörenswerten "Tristan" gibt es jetzt an der Oper Leipzig zu erleben, ich muss mich im Vorhinein allerdings für meine Meckerei entschuldigen, denn es geht dabei meistens um Kleinigkeiten, die so gehäuft den durchaus positiven Eindruck, den ich von der Vorstellung hatte, schmälern. Zunächst ist es für jedes Haus ein Wagnis, diese Oper auf den Spielplan zu setzen; ob man die passende Besetzung hat, was macht die Regie mit dieser äußerlich so minimalen Dramatik, dann natürlich die besondere Konzentration , die das Werk von allen Beteiligten verlangt.All diese Komponenten machen die Aufführung eines "Tristan" immer wieder zu etwas Besonderem.

Die Szene: Enrico Lübbe (Co.Regie Torsten Buß) inszeniert sehr reduziert, für mich oft zu reduziert, denn die Protagonisten stehen oft recht unbeteiligt zueinander, öfters mit Blick auf den Dirigenten, auf der Bühne, das ist auch bei dieser verinnerlichten Handlung einfach zu wenig Personenregie mit den Sängern. Es gibt zwei Ausnahmen: zum einen, wenn das Liebespaar nach dem Genuss des Liebestrankes schier aus dem (Neon-)bühnenrahmen fallen, zum anderen bei jedem Auftritt des Melot, denn Matthias Stier wuchert in der kleinen Partie nicht nur stimmlich, sondern spielt mit einer wirklich atemberaubend Präsenz. Den szenischen Rest fängt das grandiose Bühnenbild von Etienne Pluss auf: verrottete Architekturelemente auf der Drehbühne, erinnern manchmal an melancholische Palazzi in Venedig (Palazzo Vedramin!), Olaf Freeses magische Beleuchtungen vermischt mit Bühnennebel und den angenehm zurückhaltenden Videos von fettfilm, entfremden dazu den realen Bezug zur Realität und unterstreichen Wagners geniale Musik. Linda Redlins Kostüme zeigen moderne Menschen, Isolde hat dabei etwas wahrhaftig Königliches in ihrer Erscheinung.

Musikalisch kann man in Leipzig sehr zufrieden sein, selbst in einer eingeschränkten Aufführung, in der sich die Isolde zum zweiten Akt als indisponiert ansagen lässt. Ulf Schirmer geht am Pult des Gewandhausorchesters sofort auf die gegebenen Umstände ein und nimmt den Klang in der Lautstärke in zweiten Akt zurück, was sogar dem Gesamten etwas sehr Positives bringt, denn das Liebesduett wird auf diese Weise zu einer wundervoll intimen Szene voller Pianoschmelz. Im dritten zu den Fieberextasen zieht er den dramatischen Ausdruck wieder an.

Die Oper lebt natürlich von der Besetzung des Titelpaares: Meagan Miller muss zudem mit ihrer Indisposition beurteilt werden, im ersten Akt gefielen mir ihren wirklich "bombigen", leuchtenden Höhen, nach der Ansage nahm sie sich im zweiten Akt folgerichtig zurück, um die Oper dann mit einem ausgesungenem und intim gestalteten Liebestod zu krönen. Ich kann mir vorstellen, das die Sopranistin in gesundem Zustand eine wirklich ausgezeichnete Isolde ist, ebenso wie Daniel Kirch ein hervorragender Tristan. Verbesserung könnten manchmal beim Legatogesang sein, denn der Tenor neigt ein bißchen zum "Belfern", also etwas mehr Belcanto wäre schön. Sehr überzeugend die konditionell fordernden Fieberextasen des dritten Aktes, hier kommt der baritonal klingende Sänger mit guten Höhen zur besten Geltung. Mathias Hausmanns Kurwenal kommt sicher und solide daher, Barbara Kozeljs Brangäne kommt in ersten Akt an etwas klirrende Höhengrenzen, punktet dann aber in den Wachgesängen. Sebastian Pilgrim bringt als König Marke gewaltiges Bassmaterial mit, doch mir persönlich gefällt seine Art zu singen nicht, da wird Volumen mit viel Druck angegangen, das Legato zu wenig beachtet, die Töne oft von unten "anchromatisiert", was man bei einigen Stellen bei Wagner durchaus machen kann, doch nicht durchgängig. Pilgrim ist für mich ein großes, doch noch etwas ungeschliffenes Talent. Matthias Stier hinterläßt, wie bereits gesagt, als Melot einen sehr starken Eindruck. Martin Petzold (Hirt), Franz Xaver Schlecht (Steuermann) und Patrick Vogel (junger Seemann) komplettieren auf ansprechendem Niveau. Die Chorherren der Oper Leipzig ebenfalls. Besondere Erwähnung verdient das traumhaft vorgetragene Englischhornsolo von Gundel Jannemann-Fischer, die als szenisch gewordene Melodie von der Bühne spielt.

Insgesamt ein sehr hörenswerter "Tristan" mit grandiosem Dekor, dem jedoch oft eine szenische Intensität fehlt. Allen beteiligten muss allerdings noch eine hervorragende Textarbeit attestiert werden, was bei den großen Wagneropern keine kleine Leistung ist.

Martin Freitag, 19.11.2019