Premiere am 5. Oktober 2019
Nachschlag: vierte Kritik
Eine musikalische Offenbarung
Schon das Vorspiel machte deutlich, wo die größte Stärke dieses Abends liegen würde – im Dirigat des Intendanten und GMD Ulf Schirmer, der mit dem Gewandhausorchester gleich zu Beginn einen majestätischen, breit fließenden Klang zauberte, der sich wesentlich von dem abhob, was man sonst im allgemeinen zu hören bekommt, auch wenn das schon gut ist. Diese höchste musikalische Qualität hielt im Laufe eines interessanten Abends an. Herrlich präzise und klar intonierten die Blechbläser, transparent ertönten die Streichersoli bei einem ansonsten satt klingenden Streicherteppich, der mit dem Holz stets perfekt harmonierte. Schirmer vermochte auf besondere Art und Weise die Chromatik, die Wagner im „Tristan“ zu Vervollkommnung führte, darzustellen und so auch klarzumachen, was mit der berühmten „unendlichen Melodie“ seines Oeuvres gemeint ist.
Es wurde ein musikalischer „Tristan“ der Extraklasse, diese Saisonpremiere der Oper Leipzig. Und er fand seine Entsprechung auch weitgehend auf der Bühne. Enrico Lübbe mit dramaturgischer Unterstützung von Nele Winter und Regie-Mitarbeit von Torsten Buß erzählt die Geschichte in einem die ganze Bühne umfassenden Lichtrahmen, der als Grenze zwischen Phantasie und Realität dient, wenn immer wieder Figuren aus ihm heraustreten. Zentrum des oft, aber stets dramaturgisch sinnvoll rotierenden Bühnenbildes von Étienne Pluss stellen durchaus eindrucksvolle aus Holz gezimmerte Schiffsaufbauten dar, mit klassizistischen Apercus und Treppenaufgängen ins Schiffsinnere, aus denen später das verhängnisvolle und von den Liebenden so gefürchtete Licht hervordringt. Im Laufe der drei Aufzüge verfallen diese Aufbauten immer mehr zu Wrackteilen, ähnlich wie in einer Inszenierung von Elisabeth Linton 2013 an der Finnischen Nationaloper Helsinki. Sie verdeutlichten somit optisch die immer unmöglicher werdende Liebe zwischen Tristan und Isolde in dieser gegenständlichen Welt.
Die österreichische Kostümbildnerin Linda Redlin schuf dazu geschmackvolle und passende Gewänder. Ein besonderes Lob sei der dramaturgisch exzellenten Lichtregie von Olaf Freese gezollt, der starke Stimmungsbilder schuf und insbesondere im 3. Aufzug mit einer dunkel dräuenden, ja fast depressiven Beleuchtung beeindruckte. Dazu kamen die wie immer sinnvoll und sich an der Handlung orientierenden Videos von fettFilm.
Das Regieteam zeigt eine facettenreiche und oft auch überraschende Personenregie, die aber fast immer Sinn macht. So stehen Tristan und Isolde beim Liebestrank zunächst ganz weit auseinander an den Bühnenpfosten. Dann fällt ein Zwischenvorhang, einer übrigens von zu vielen, hinter dem wohl der Liebestrank genossen wird. König Marke tritt am Schluss des 1. Aufzugs gleich mit Haus und Hof auf. Isolde muss im Laufschritt statt einer Leuchte im 2. Aufzug gleich ein halbes Dutzend von Teelichtern löschen. Seit langem sieht man mal wieder einen intensiven Kampf zwischen Tristan und Melot, der es schließlich schafft, dem Neffen des Königs das Messer in den Leib zu rammen.
Ebenso realistisch wird der Kampf am Ende des dritten Aufzugs gezeigt, offenbar professionell einstudiert, denn er wirkt ja meistens nur peinlich. Dass im dritten Aufzug dazu auf einmal dann sechs weitere mädchenhafte Isolden auftreten, kann wohl nur mit Tristans Fieberphantasien oder jenen des Regisseurs zu begründen sein. Denn sie hatten in dieser eher veristischen Ästhetik keinen sinnvollen Platz. Bewegend war hingegen, dass Gundel Jannemann-Fischer ihr Englischhorn-Solo auch mitgestaltend spielen konnte, denn es kam dabei zu einer zärtlichen Begegnung mit Tristan. Stimmig war auch die Überraschung, obwohl bei Wagner nicht vorgesehen, dass Tristan und Isolde sich nach den zuletzt immer wieder zu sehenden emotional-aseptischen Inszenierungen (besonders am Munt in Brüssel im Mai d. J.) endlich einmal berühren und gar streicheln durften. Er starb sogar liebevoll in ihren Armen…
Das passte aber auch zum gehaltvollen Dirigat Ulf Schirmers.
Bei den Sängern möchte ich mit denen beginnen, die mich besonders beeindruckten. Das ist als erste die Slowenin Barbara Kozelj, die mit der Brangäne ihr Rollendebut gab. Sie verfügt über einen charaktervollen leuchtenden Mezzo und scheint auch mit ihren darstellerischen Qualitäten eine erstklassige Besetzung für die Warnerin Isoldes zu sein. Herrlich auch ihre entsprechenden Rufe im 2. Aufzug, bei denen sie auch sichtbar war.
Jukka Rasilainen begeisterte wieder in seiner Glanzrolle als Kurwenal mit seinem prägnanten und kraftvollen Heldenbariton bei hervorragender Diktion und starker Rolleninterpretation. Der junge Chilene Alvaro Zambrano sang den Jungen Seemann aus den Off mit einem klangvollen Tenor, der auf größere Aufgaben hinweist. Auch Martin Petzold als Hirt konnte mit einem gefälligen Tenor überzeugen. Und sogar der von Wagner so kümmerlich behandelte Steuermann mit nur zwei Sätzen war mit Franz Xaver Schlecht alles andere als schlecht besetzt. Matthias Stier rundete mit seinem Melot die gute Besetzung der Nebenrollen ab.
Die US-amerikanische Sopranistin Meagan Miller sang in Leipzig ihre erste Isolde und konnte mit einem klaren, eher hellen jugendlich dramatischen Timbre mit manchmal leicht scharfen Spitzentönen weitgehend überzeugen, darstellerisch ohnehin. Mich berührte ihr stimmlicher Ausdruck emotional aber nicht, es fehlte mir einfach das Charakterhafte, das Tragische in der Stimme, auch etwas mehr Tiefe, oder konkreter gesagt, etwas von dem, was Waltraud Meier so unvergleichlich mit ihrem Mezzo in der Isolde zum Ausdruck brachte. Daniel Kirch gab einen darstellerisch gut artikulierten Tristan mit einem durchaus kraftvollen Tenor, der meines Erachtens aber zu sehr auf Kraft setzt. Die Stimme scheint nicht wirklich frei zu sein und lässt es somit an Wandlungsfähigkeit, Variationsreichtum und auch Resonanz vermissen. Das geht bisweilen auch zu Lasten der Wortdeutlichkeit. Kirch gab aber gerade im 3. Aufzug sein wirklich letztes, und das war nicht wenig. König Marke war mit dem erst 34-jährigen Sebastian Pilgrim nicht auf dem Niveau der übrigen Protagonisten besetzt. Sein durchaus voluminöser Bass klingt tönern und weist noch nicht die Stimmkultur auf, die er für eine solche Wagnerrolle haben sollte. Vielleicht sollte man dem jungen Sänger an einem Haus wie Leipzig noch etwas mehr Zeit geben, in solch große Rollen zu gehen. Thomas Eitler-de Lint hatte den
Chor der Oper Leipzig mit seinen wenigen Interventionen kraftvoll singend einstudiert.
Dieser „Tristan“ war ein gelungener Start der Oper Leipzig in die Saison 2019/20 auf ihrem Weg, alle 13 Wagner-Werke im Juni/Juli 2022 hintereinander aufzuführen. Weitere „Tristan“-Vorstellungen am 10.11.2019, und am 14.3. und 1.6.2020.
Klaus Billand, 20.10.2019
Fotos: Tom Schulze 1-5; K. Billand 6-7