Premiere am 05. Oktober 2019
Brangäne und Marke…
so hätte der Titel des Werkes lauten müssen, wenn es nach den besten Sängerleistungen dieser Neuproduktion zu urteilen gälte!
Im Zuge seiner Pflege der Werke Richard Wagners präsentierte die Oper Leipzig eine Neuproduktion des Musikdramas „Tristan und Isolde“. Eine sehenswerte Produktion, die vor allem durch ein spektakuläres Bühnenbild und eine der Musik folgende Inszenierung zu überzeugen weiß.
Regisseur Enrico Lübbe erzählt, gemeinsam mit seinem Co-Regisseur Torsten Buß die Handlung, ohne große Verfremdung oder Aktualisierung. Lübbe gelingen immer wieder überzeugende Bildwirkungen, weil er der Musik vertraut und somit werden auch die Vorspiele nicht inszeniert. Welch ein Glück! Die konkrete Handlung spielt auf einer Drehbühne mit diversen Schiffsüberresten. Das Bühnenportal wird von einem Lichtrahmen eingerahmt. Durch diesen schreiten Tristan und Isolde in ihre imaginäre Welt. Manche Ideen geraten dabei manchmal zu dekorativ, etwa wenn im zweiten Aufzug ständig ein Gazeschleier hoch- und runterfährt, um beide Spielflächen von einander abzugrenzen. Es gab auch lange Leerläufe, wie etwa im stark gekürzten Liebesduett im zweiten Aufzug. Hier standen Tristan und Isolde mit unbeweglicher Miene am Portal und sangen schlicht nach vorne und damit aneinander vorbei. Plötzlich wirkte dieser Teil wie ein Auszug aus einer konzertanten Aufführung. Auch die diversen Verdopplungen von Tristan und Isolde wirkten entbehrlich. Allein sieben Isolde Doubles werden aufgewendet, um Tristans Vision von Isolde im 3. Aufzug zu beglaubigen. Tristan stirbt dann auch nicht, sondern wird von Isolde zum Leben wiedererweckt und wartet dann vor dem Lichtrahmen auf Isolde, die ihm nach dem Liebestod einen langen Kuss gibt. Dann schreiten die Liebenden auf ein goldenes Licht zu. Tristan und Isolde sind in einer besseren Welt. Ein starkes Bild! Zuvor darf die Solistin des Englischhorn-Solos (wunderbar musiziert von Gundel Jannemann-Fischer) die Musik verkörpern, was zu poetischen Momenten zwischen Tristan und der Instrumentalistin führt.
Der einheitliche Bühnenraum von Étienne Plus zeigt auf einer Drehbühne einen Schiffsfriedhof. Diese Konstruktion wirkt als Labyrinth ebenso überzeugend wie als Schauplatz, welcher leicht verändert werden kann und somit immer wieder neue Einblicke ermöglichte. Der Tod ist gegenwärtig, Gestrandete also, ein Bild des Stillstandes. Fabelhafte Bildeindrücke, die Olaf Freese ausgezeichnet beleuchtet hat. Dezent und stimmungsvoll die Videoeinspielungen von fettfilm, die den Bühnenraum z.T. unendlich weiten oder surreal erscheinen lassen.
Linda Redlin hatte kleidsame Kostüme für die Protagonisten entworfen.
Bleibt also eine Inszenierung, die durch ihre ästhetischen Bildwirkungen für sich einnehmen kann und in der Personenführung eher dezent und meistens schlüssig bleibt. Enrico Lübbe ist besonders für sein Bemühen zu loben, die Geschichte des Werkes zu erzählen. Eine große Seltenheit heutzutage, da Regisseure zu häufig sich auf Kosten eines Werkes selbst inszenieren!
Natürlich stehen bei einer solchen Produktion die musikalischen Akteure im Mittelpunkt des Interesses. Intendant Ulf Schirmer entschied sich für lyrische Stimmen für die Titelpartien. Um diese zu schonen, verwendete er leider den großen sog. „Tag-Strich“ im zweiten Aufzug und zahlreiche Retuschen an der Partitur. Somit trug der musikalische Teil des Abends zu dominant das Signum der Grenzwertigkeit in der musikalischen Gestaltung. Keiner der Protagonisten sollte zu Schaden kommen, was durchaus löblich ist. Allerdings fehlte so dieser Tristan Interpretation jedwede musikalische Überwältigung und die akustische Übervorsicht nahm der Musik dann doch zu viel an Wirkung.
Erstmals als Isolde präsentierte sich Meagan Miller in ihrem Rollendebüt. Eine solche gewaltige Rolle ist und bleibt eine Lebensaufgabe. Zu groß, zu umfangreich und zu komplex sind die Anforderungen. Miller ist eine eher lyrische Isolde, die dann auch vor allem in den weniger dramatischen Abschnitten deutlich überzeugen konnte. Sobald Dramatik gefordert war, wie etwa beim Löschen der Fackel oder bei der Totenklage geriet die Stimme noch an Grenzen, da die Stimme eher schlank als üppig strömte. Sie erreichte gut alle Töne und sang auch mühelos bis zum hohen C hinauf. Was ihr derzeit vor allem noch fehlt, ist ein gestalteter Charakter. Der Text wirkte zuweilen buchstabiert und noch zu wenig erlebt. Ein anrührender Liebestod und so manch eigene Textbetonung offenbarten ihr Entwicklungspotential. Darstellerisch wirkte sie beteiligt und engagiert, mit der Rolle innerlich verbunden. Nur sollte sie derzeit diese Partie nicht zu oft singen. Es ist eine jugendlich dramatische Stimme, die eher bei einer Tannhäuser Elisabeth zu Hause ist als bei Isolde.
Als Tristan zeigte Daniel Kirch eine problematische Leistung. Auch er ist kein dramatischer Sänger oder Heldentenor. Sein Stimmvolumen ist sehr begrenzt und lässt eher an eine Tenorstimme für die mittleren Partien Wagners denken, wie z.B. Erik oder der Max in Webers Freischütz. Seine zuweilen verquollene, dumpfe Tongebung beraubte seiner Stimme die Tragfähigkeit. Sein Vortrag wirkte eintönig, dynamisch unzureichend und im Text kaum gestaltet. Erstaunlich oft diffus in der Artikulation wirkten seine verwaschenen Konsonanten. Nahezu alles klang gleich, ohne Unterschied in der Dynamik oder im Text. Lediglich zwei bis drei Versuche, die Stimme unterhalb eines Forte zu bewegen genügen nicht, um einen Rollencharakter klanglich zu realisieren. Somit klang der todkranke Tristan genauso „gesund“, wie bei seinem ersten Auftritt im ersten Aufzug. Zunehmende Schwierigkeiten mit der korrekten Intonation zeigten, wie deutlich diese Partie über seine Möglichkeiten geht. Von ihm ging zudem als Rollencharakter keine Faszination aus. Er sollte sich einmal große Kollegen anhören, um zu begreifen, welche Farben in dieser vielschichtigen Partie stecken und wie diese in eine sinngebende, bannende Textgestaltung umgesetzt wurden. Somit fehlte dem Abend leider ein starker Gestalter.
Als Brangäne begeisterte hingegen Barbara Kozelj mit klangstarkem, sauber intoniertem Mezzosopran. Engagiert im Spiel war sie ein deutlicher Aktivposten. Selten ist die Anteilnahme, die szenische Interaktion in dieser Rolle derart glaubhaft und gekonnt zu erleben. Sauber in der Intonation erklangen die „Wacht“-Gesänge. Dazu erlebte sie den Text deutlich und intensiv, dass es eine Freude war. Eine ausgezeichnete Leistung!
Solide agierte der bewährte Kurwenal in der Gestalt von Jukka Rasilainen, der für den unpässlichen Mathias Hausmann eingesprungen war. Kernig in der Stimme und weithin sicher, wirkte seine Textverständlichkeit zuweilen verwaschen.
Dem König Marke gab Sebastian Pilgrim seine ganze Autorität und die Wucht seines voluminösen Basses. Stimmlich blieb er seiner Partie nichts schuldig und begeisterte durch große Autorität in Stimme und Spiel. Vorbildlich seine dynamische Bandbreite und seine Textgestaltung. Pilgrim zeigte äußerst eindrucksvoll, wie stark diese Komposition wirken kann, wenn passende Stimmgröße und gestalterische Intelligenz aufeinander treffen. Mit jeder Silbe seines wissenden Gesangs veränderte sich die Atmosphäre der Vorstellung. Plötzlich war ein gestaltender Mittelpunkt erlebbar. Ein großartig gesungenes und gestaltetes Rollenportrait!
Matthias Stier war ein eiskalter Melot, der gefährlich wirkte und seinen Auftritt pointiert nutzte, um sich stimmlich gut in Szene zu setzen. Ansprechende Leistungen zeigten auch die beiden Tenöre Martin Petzhold als Hirte und Alvaro Zambrano als junger Seemann. Kernig der kurze Einwurf des Steuermanns von Franz Xaver Schlecht.
Thomas Eitler-de Lint hatte den Herrenchor der Oper Leipzig stimmsicher und kompakt im Klang einstudiert. Sehr bedauerlich nur, dass die fabelhaften Sänger beim Auftritt König Markes hinter der Bühne singen mussten!
Seine musikalische Kompetenz als Wagner-Dirigent demonstrierte GMD/Intendant Ulf Schirmer. Seine Interpretation geriet dabei nicht aufwühlend oder aufschäumend. Schirmer suchte vor allem die lyrischen Momente der Partitur und nahm so das Orchester in seiner Dynamik weit zurück, so dass die Sänger auch in der Lage waren, so weit gegeben, Pianofärbungen in ihrem Gesang zu ermöglichen. Schirmer übernahm in seiner Einstudierung die Retuschen des Dirigenten der Ur-Aufführung, Hans von Bülow, eine ambivalente Entscheidung. Die Sänger mussten zwar nie forcieren, allerdings fehlte dadurch diesem Tristan-Dirigat eine ganze Dimension. Das Orchester musste mit angezogener Handbremse musizieren. Somit fehlte das Überwältigende, Narkotisierende der Musik, weil Schirmer allzu viel Vorsicht walten ließ.
Sehr gut hingegen die Entscheidung, dass die komplette Bühnenmusik live gespielt wurde, was heute keine Selbstverständlichkeit ist.
Eines lässt sich bereits jetzt sagen: diese „Tristan“-Produktion wird entscheidend durch das überragende Orchesterspiel des Gewandhausorchesters geprägt. Die stilistische Bandbreite dieses so wunderbaren Orchesters erscheint grenzenlos, ist es doch in der Oper ebenso zu Hause wie im symphonischen Repertoire. Konzentriert und ausdauernd zeigte das Orchester hohe Klangkultur. Wunderbare Soli, wie z.B. im langen elegischen Englischhorn-Solo des dritten Aufzuges, standen kompakte Tutti-Wirkungen gegenüber.
Das Publikum war hörbar angetan von der Produktion und feierte alle Mitwirkenden ausgiebig, lediglich schüchterne Ablehnungsversuche beim Team der Inszenierung.
Dirk Schauß, 7. Oktober 2019