Sofia: „Tristan und Isolde“

WA am 10. Juli 2019

Völlige Einheit von Bild und Musik

Das Sommer-Wagner-Festival an der Sofia Opera and Ballet unter der Leitung von Prof. Plamen Kartaloff, dem großen Visionär und Initiator der Wagnerschen Spätwerke auf dem Balkan, ist dieses Jahr mit Wiederaufnahmen von „Tristan und Isolde“, zweimal, und „Parsifal“ in seine mittlerweile 7. Runde gegangen. Wieder kamen viele Gäste aus dem Ausland, so eine große Gruppe zum „Parsifal“ aus Großbritannien – noch besteht ja Reisefreiheit – und auch wieder das mittlerweile schon berühmte, überaus elegante Ehepaar aus New York, das auch beim Sofioter „Ring“ in Füssen war und ganz begeistert von den Inszenierungen Kartaloffs ist.

Dieser konnte den international bekannten Dirigenten Constantin Trinks für alle drei Abende gewinnen, einem Rat des 2017 leider verstorbenen großen Freundes Richard Trimborn folgend, der wesentlichen Anteil an der Vorbereitung der Wagnerschen Werke an der Sofia Opera hatte. Was deren Orchester, ohnehin schon seit Jahren mit der Musik Richard Wagners vertraut, an diesen beiden Abenden leistete, war das weitaus Beste, was ich hier in den letzten Jahren gehört habe. Trinks konnte das Orchester zu unglaublicher musikalischer Sensitivität und Transparenz animieren, bei einem praktisch fehlerfreien und äußerst engagierten Vortrag. Es begann im „Tristan“ schon mit einem fein ziseliert musizierten Vorspiel, in dessen Verlauf Trinks den Höhepunkt sorgsam und mit beeindruckender Einfühlsamkeit auf die einzelnen Musiker eingehend vorbereitete und das Vorspiel dann langsam wie in die Unendlichkeit der weiten See verklingen ließ.

Zuvor konnte man in einem schemenhaft im Dunkel angedeuteten Kampf Tristans mit Morold unter den Augen der beiden Könige und ihres Gefolges die Vorgeschichte sehen. Isolde, erkennt sogar die Scharte in Tristans Schwert! Als sie ihn daraufhin töten will, schreckt sie zurück, als er ihr „in die Augen sah…“, was man ja gleich darauf in ihrer Erzählung zu Brangäne hören wird. Eine beeindruckende Szene, die sich schließlich in mysteriös raunender und umnebelter Finsternis einer lange vergangen scheinenden Vorzeit auflöst… Regisseur Kartaloff liebt diese Zitate der Vorgeschichte, die er beispielsweise auch in der „Walküre“ seiner „Ring“-Inszenierung wirksam einbringt und die immer bereichernd in seine Dramaturgie passen.

Große Wirkung erzielte seine inszenatorische Optik. Mit seinem Bühnenbildner Miodrag Tabacki sowie dem Licht-Designer Andrei Hajdinjak, dem Multimedia-Designer Georgi Hristov und dem geschmacksicheren Kostümbildner Leo Kulas entsteht Wagners opus summum als Musikdrama im besten Sinne des von Wagner geschaffenen Begriffs des Gesamtkunstwerks. Man erlebt ein intensives thematisches Ineinanderwirken von Szene – besonders mit einem sehr variablen Bühnenbild – gesanglicher Gestaltungskraft und Musik. Kartaloff wählte diese Interpretation aus der Überzeugung heraus, dass Wagners „poetisches Meisterwerk“, wie er es nennt, in einer verständlichen, emotionalen, dynamischen und musikalisch expressiven Theatersprache zu gestalten sei.

Diese Sprache zeigt sich auch darin, dass immer nur ganz wenige Personen in enger Interaktion, auf der mit wenigen Requisiten und wenigen dominanten Farben ausgestatteten Bühne sind, allenfalls einige Statisten dazu in völliger Ruhe wie bei Isolde zu Beginn des 2. Aufzugs. Das erhöht sowohl die jeweilige dramaturgische als auch die dramatische Intensität und lenkt die Augen auf das Wesentliche.

So taucht auch der Seemannschor immer nur dann aus einem Spalt im dunklen Bühnenboden auf, wenn er zu singen hat, was ihn in seiner Aussage umso stärker erscheinen lässt. Er wirkt dabei wie eine Art Kassandra, die vor den realen Konsequenzen der sich anbahnenden Beziehung zwischen Tristan und Isolde warnt. Im Prinzip zeichnen sich aber fast alle Bilder, insbesondere im 2. Aufzug, durch ein hohes Maß an Poesie aus.

Als Tristan wuchs Martin Iliev mit seiner leicht depressiven Aura insbesondere im 3. Aufzug über sich hinaus. Er spielte nicht nur den Tristan, er w a r Tristan mit Leib und Seele. Dazu kam sein klangvoller, besonders für diese schwere Rolle geeigneter Heldentenor. Die eher jugendlich dramatische Sopranistin Radostina Nikolaeva sah als Isolde im 1. Aufzug ihre stimmlichen Grenzen, konnte aber im 2. und erst recht mit ihrem auch emotional beeindruckenden Finale weitgehend überzeugen. Jukka Rasilainen, bewährter Wagnersänger an fast allen großen Häusern, war eine Luxusbesetzung für den Kurwenal und dokumentierte hohe, über lange Jahre gewachsene Gesangskultur. Petar Butchkov war ein etwas zu rauer Marke und Cveta Sarambalieva eine etwas zu spröde klingende Brangäne.

Fotos: Svetoslav Nikolov

Klaus Billand, 16.8.2019