Antwerpen: „Cardillac“

Paul Hindemith

Premiere: 3. Februar 2019

Besuchte Vorstellung 12. Februar 2019

Die einzige Möglichkeit in dieser Saison Paul Hindemiths „Cardillac“ zu sehen gibt es in dieser Saison an der Flämischen Oper in Antwerpen und Gent. Die Regie führt Guy Joosten, der sich von dem Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ inspirieren lässt.

Die Eröffnungsszene gerät furios, und schon glaubt man, einem großartigen Theaterabend beizuwohnen. Joosten siedelt die 1926 uraufgeführte Oper in der Filmwelt ihrer Entstehungszeit an. Im Eröffnungschor tobt der furios singende und spielende Chor (Einstudierung: Jef Smits) über die Bühne. Ausstatterin Katrin Nottrodt kleidet den Chor in dunklen Farben im Stile der 1920er. Zudem mischt sich das reale Geschehen auf der Bühne mit Chorszenen, die auf den Portalschleier projiziert werden, sodass Bewegungen noch weiter intensiviert werden.

Eine gute Idee ist es auch, dass die Solisten im gleichen Stil gekleidet sind, jedoch durch die Farbigkeit ihrer Kostüme hervorstechen. Auch die kippbare Schräge der Ausstatterin ermöglicht gute Raumlösungen, um Innenräume zu bilden oder Figuren in eine erhöhte Position zu bringen.

Nach dem starken Beginn begibt sich die Regie aber auf einen Irrflug, wenn Guy Joosten versucht die Motivation des mordenden Goldschmiedes Cardillac zu analysieren. In E.T.A. Hoffmanns „Das Fräulein von Scuderi“ und Ferdinand Lions Libretto ist es die Sucht und Gier nach den hergestellten Artefakten, die ihn dazu treibt die Käufer zu ermorden. Bei Joosten wird Cardillac zum Transgender-Goldfetischisten. Nachdem er den Kavalier und die Dame ermordet hat, kleidet er sich die Robe der Dame und setzt sich sogar deren Perücke auf.

Doch dieser Ansatz wird nicht konsequent und glaubhaft durchgearbeitet. Außerdem sind Offizier und Kavalier Nazis, wodurch der Mörder Cardillac hier sogar noch zum Widerstandskämpfer hochstilisiert wird. Die nächste verwirrende Regie-Fährte ist, dass Cardillac wie ein absolutistischer König mit Hermelinmantel und Krone gekleidet ist. Da fragt man sich, ob er vielleicht ein verrückter mordender König ist. Wenn man all diese Regieeinfälle versucht zu Ende zu denken, ergeben sie aber weder für sich genommen noch in der Kombination einen Sinn.

Der nächste Transgender-Einfall ist, dass Cardillacs Tochter in ihrer ersten Szene Männerkleidung trägt, weshalb man sich fragt, ob sie lesbisch sein soll, oder von der Regie als Hosenrolle gedacht ist? Soll die Tochter hier ein junger Mann sein, der sich als Frau verkleidet, um die Nazis in die Falle zu locken?

Die Darstellung des Goldhändlers als Klischeejude würde in Deutschland bestimmt als antisemitisch gelten. In Antwerpen regt darüber aber offensichtlich niemand darüber auf, weil die Juweliere, die ihre Geschäfte im Umfeld der Antwerpener Oper haben, tatsächlich so aussehen.

Dirigent der Aufführung ist Vladimir Jurowski, der die kraftvolle Polyphonie der Oper stark herausarbeitet, so dass der Hörer von der Musik geradezu überrumpelt wird. Die gut anderthalb Stunden Musik entfalten in Antwerpen eine starke Sogwirkung und Faszination, so dass man sich wundert, dass diese Oper nicht häufiger auf deutschen Spielplänen zu finden ist.

Mit großem Elan stürzt sich Simon Neal in die Titelrolle und macht hier auch alle Mätzchen der Regie mit. Stimmlich trumpft er mit markantem Bariton auf, den er groß strömen lässt. An seiner Textverständlichkeit müsste er aber noch arbeiten.

Auch die beiden großen Frauenrollen sind gut besetzt. Als Tochter gefällt Betsy Horne mit ihrem leichtend-klaren Sopran. Theresa Kronthaler singt die Dame mit wohltönendem Mezzo und mischt gut die lyrischen und dramatischen Anteile ihrer Partie.

Ein musikalischer Schwachpunkt sind die Tenöre: Ferdinand von Bothmer singt den Offizier mit schneidig-farbenreicher Stimme. Jedoch fehlt ihm die heldentenorale Kraft, die für diese Partie benötigt wird. Sam Furness verfügt als Kavalier über einen quirligen Spieltenor, der allerdings in der Höhe eng und grell wird.

Schön, dass man diese starke Hindemith-Oper wiedersehen kann! Schade, dass die Inszenierung so verworren ausfällt!

Rudolf Hermes 198.2.2019

Bilder (c) Annemie Augustijns