Antwerpen: „Parsifal“

Premiere am 26. März 2013

Wiederaufnahme: 18. März 2018

Besuchte Vorstellung: 24. März 2018

Tatjana Gürbacas Antwerpener „Parsifal“ aus dem Jahr wurde gleich zweimal ausgezeichnet. Die Zeitschrift „Opernwelt“ kürte die Produktion zur „Inszenierung des Jahres“ und als weiteren Preis gab es in London den International Opera Award. Die flämische Oper nimmt die Produktion jetzt in komplett neuer Besetzung auf und bietet somit die Möglichkeit zu überprüfen, ob das Lob gerechtfertigt war?

Im leeren und weißen Halbrund das Hendrik Ahr entworfen hat, konzentriert sich Tatjana Gürbaca vor allem auf die Personen und ihre Gefühle und beweist, dass eine tolle Inszenierung gar kein großes Bühnenbild braucht. So lebendig und detailgetreu hat man dieses Stück selten erlebt.

Zentraler Gedanke ihrer Inszenierung ist, dass sich Grals- und Klingsorwelt in der Krise befinden, weil sie sich hermetisch abtrennen. Die Gralsritter und die Blumenmädchen können nicht zusammenkommen und so sind beide Welten vom Aussterben bedroht.

Dieser Ansatz führt dann aber zu der einzigen peinlichen Szene der Inszenierung: Statt Amfortas Bad im heiligen See gibt es im ersten Akt eine Szene, in der die Gralsritter einer Gruppe halbbekleideter Jungen die Arme waschen. Unklar bleibt, woher diese Kinder kommen, ob sie entführt oder geklont wurden, um das Bestehen der Gralsgemeinschaft zu sichern.

Das Motiv der Waschung und Reinigung wird auch in den anderen Akten aufgegriffen: Im zweiten Akt will Parsifal Kundry Blut aus dem Gesicht waschen, um sie zu entsühnen. Die Fußwaschung im dritten Akt vermeidet Gürbaca, und Kundry wischt nur den Boden vor Parsifal.

Ein zentrales Bildmotiv sind die Blutbahnen, die auf der weißen Rückwand hinabfließen. Dieses Bild wird aber nicht konsequent umgesetzt. Während des Orchestervorspiel gibt es eine Szene, in der das Blut zu fließen beginnt, als sich Amfortas und Kundry küssen. Das Blut signalisiert hier: „Achtung! Sünde!“. Wenn während der Gralsfeier die Knabenchöre ihr „Nehmet hin, mein Blut“ singen, fließt das Blut wieder und symbolisiert nun die Hoffnung auf Erlösung.

Ganz großartig formt Tatjana Gürbaca die Chorszenen: Wie hier die Gralsritter als Gruppe verzweifelter Individuen gezeigt werden und wie verspielt und überdreht die Blumenmädchen Parsifal umgarnen – selten hat man Chöre so differenziert agieren gesehen. Zudem singen die Damen und Herren des Opernchores, der von Jan Schweiger einstudiert wurde, mit wunderbarer Klangpracht und Deutlichkeit.

Alle Hauptrollen sind nicht nur neu, sondern auch mit Rollendebütanten besetzt, die sich jedoch fast durchweg bereits einen Namen als Wagner-Sänger gemacht haben: Erin Caves kennt man vom Gelsenkirchener Musiktheater als Bariton. Im Weimar hat er einen Fachwechsel zum Heldentenor durchgeführt, und heute singt er dieses Fach an der Stuttgarter Staatsoper: Er verkörpert den Parsifal mit klarer und kräftiger Stimme. Tanja Ariane Baumgartner kennt man von der Frankfurter Oper. Sie singt die Kundry mit drahtig-intensivem Sopran, welcher die Sinnlichkeit der Figur etwas unterschlägt. Gleichzeitig ist sie eine konzentrierte Darstellerin.

Christoph Pohl von der Dresdner Semperoper ist ein farbenreicher Amfortas. Bariton Kay Stieferman war lange Jahre eine feste Größe an der Wuppertaler Oper. Sein Klingsor ist weniger der dämonische Bösewicht, sondern eher ein Besessener, den er mit heller und klarer Stimme singt. Im deutschen Raum eher unbekannt ist der slowakische Bass Stefan Kocan. Er begeistert als Gurnemanz mit perfekter Textverständlichkeit und seiner runden und kernigen Stimme.

Eine starke Leistung bietet auch das Symfonisch Orkest Opera Vlanderen und dem Dirigat des zukünftigen Stuttgarter Generalmusikdirektors Cornelius Meister. Für den ersten Akt benötigt er eine Stunde und 45 Minuten, er bewegt sich somit im mittleren Tempobereich. Er zerdehnt die Musik nicht und überhastet auch nicht. Den Sängerinnen und Sängern ist er ein sehr guter Begleiter und gleichzeitig arbeitet er die orchestralen Höhepunkte eindrucksvoll heraus.

Trotz kleiner Schwächen ist Tatjana Gürbaca und ihrem Team hier ein bildstarker und berührender „Parsifal“ gelungen. Dass diese Inszenierung von keinem der deutschen Opernhäuser, die sonst sehr koproduktionsfreundlich sind, übernommen wurde, ist unverständlich.

Rudolf Hermes 27.3.2018

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