Oper Antwerpen: „Norma“, Vincenzo Bellini (konzertant)

Lieber Opernfreund-Freund,

ein wahres Festival der schönen Stimmen dufte ich gestern an der Opera Ballet Vlaanderen in Antwerpen in einer konzertanten Aufführung von Vincenzo Bellinis Norma erleben. Die außergewöhnliche Interpretation der Titelheldin von Anna Princeva macht dabei das Fehlen der Szenerie völlig vergessen. Und neben allerhand überzeugenden Rollendebuts war auch ein Stück von Richard Wagner, einem Glühenden Verehrer der Norma, zu hören.

© Tania Bonnet

Als Anna Princeva, Ensemblemitglied an der Oper Bonn, nach einem wunderbaren Casta Diva ihrem ohnehin schon kraftvollen Sopran eine satte Mittellage und fast gutturale Brusttöne beimischt, erinnert sie mich im ersten Moment an die Ausbrüche einer inbrünstigen Amneris. Doch durch diese zusätzlichen, mezzohaften Farben erweitert sie ihr Klangspektrum ungemein und so gelingt ihr eines der überzeugendsten Portraits dieser vielschichtigen Rolle, die ich in den letzten Jahren habe hören dürfen. Da fehlt die Szenerie keine Sekunde. Die russisch-italienische Sängerin legt so viel Seele in ihre Interpretation der Norma, dass mir allein bei der Erinnerung daran ein Schauer über den Rücken läuft.

Voller Begeisterung kann ich Ihnen, lieber Opernfreund-Freund, auch vom zweiten Rollendebüt des Abends berichten: dass Josy Santos die Adalgisa zum ersten Mal überhaupt interpretiert, mag man kaum glauben, so sehr verschmilzt die Brasilianerin mit der Rolle, zeichnet mit facettenreichem Mezzo die inneren Nöte ihrer Figur nach und macht Adalgisas Wandlung von der Nebenbuhlerin zur Freundin glaubhaft.

Dritter Rollendebütant und ebenfalls Mitglied im Club der Stimmgewaltigen ist der Koreaner Kyungho Kim, der mit strahlenden Höhen und nicht enden wollender Kraft einen vollends überzeugenden Pollione gibt und es schafft, der an sich unsympathischen Figur nicht erst in der letzten Szene viel Menschlichkeit und Seele zu verleihen.

Der Kroate Ante Jerkunica als Oroveso fasziniert mich mit seiner voluminösen Stimme, die den Saal scheinbar mühelos bis in den letzten Winkel füllt. „Ehrfurcht gebietend“ charakterisiert seinen Bass wohl am besten, wenn er die selten zu hörende, 1839 von Richard Wagner komponierte Arie Norma il predisse, o Druidi im zweiten Akt zum Besten gibt.

© OBV/Filip van Roe

Schon zum zweiten Mal in dieser Saison lässt mich der junge Hugo Kampschreur aufhorchen, der als Flavio seinen schlanken und klangschönen Tenor präsentieren darf. Reisha Adams, eigentlich Mitglied im Opernchor, komplettiert das sangesfreudige Solistenensemble in der Rolle der Clotilde. Der von Jan Schweiger betreute Chor überzeugt mich gestern nicht so ganz, gerade im ersten Akt kommt es da und dort zu deutlichen Wacklern und scheinbaren Abstimmungsschwierigkeiten.

Der argentinische Dirigent Alejandro Pérez hält am Pult die Fäden ansonsten fest zusammen, präsentiert eine ausgesprochen frische Version der Norma. Dabei schlägt er bisweilen atemberaubende Tempi an und das geht da und dort zu Lasten der Intensität der Musik. Doch das schmälert den Gesamtgenuss kaum, zu stark sind die Stimmen, zu intensiv die Interpretationen. Welche Wirkung entfalten Anna Princeva, Josy Santos, Kyungho Kim und Ante Jerkunica wohl erst, wenn sie ihre Rollen nicht nur singen, sondern in einer Inszenierung auch spielen dürfen? Ich würde in jedem Fall hingehen.

Ihr
Jochen Rüth, 27. Januar 2025


Norma
Oper von Vincenzo Bellini

Premiere: 26. Januar 2025

Musikalische Leitung: Alejo Pérez
Symfonisch Orkest Opera Ballet Vlaanderen