Antwerpen: „Die Perlenfischer“, Georges Bizet

Lieber Opernfreund-Freund,

seit gestern sind Bizets vergleichsweise selten gespielte Perlenfischer in der atemberaubenden Produktion, die das Künstlerkollektiv FC Bergmann 2018 auf die Bretter der Vlaamse Opera gebracht hatte, erneut in Antwerpen zu erleben. Dabei hat die erste Opernregiearbeit der vier Künstler Stef Aerts, Joé Agemans, Thomas Verstraeten und Marie Vinck nichts von ihrer Faszination verloren. Zudem können Sie sich auf eine exquisite Sängerriege freuen.

© Annemie Augustijns

Die Pêcheurs de perles erzählen die Geschichte von Zurga und Nadir, die sich in die gleiche Frau verlieben, sich aber versprechen, beide auf sie zu verzichten, um ihre Freundschaft nicht zu gefährden. Nadir jedoch bricht den Schwur und er und Leïla kommen sich näher. Als die drei sich später erneut begegnen, wiederholt sich die Geschichte – Leïla und Nadir können nicht voneinander lassen und ihnen droht der Tod, weil Leïla gelobt hatte, keusch zu bleiben und für die unversehrte Wiederkehr der Perlenfischer zu beten. Doch Zurga, mittlerweile Stammesvorstand geworden, hadert mit dem Todesurteil und will die Freundschaft mit Nadir über das Fatum stellen. Als er zudem entdeckt, dass Leïla ihm selbst einmal das Leben gerettet hatte, verhilft er den beiden zur Flucht in eine gemeinsame Zukunft.

© Annemie Augustijns

In der nun in Antwerpen und im Januar in Gent gezeigten Version von FC Bergman liegen zwischen den beiden Aufeinandertreffen des Trios nicht nur wenige Monate, sondern viele Jahrzehnte. Die beiden Freunde begegnen sich im tristen Seniorenheim wieder, in dem der Tod allgegenwärtig ist. Als neue Bewohnerin zieht bald auch Leïla ein. Alle drei erkennen, dass sie den wie auch immer gearteten Gefühlen für die jeweils anderen nicht entkommen können. Die Sängerinnen und Sänger stecken dabei gewissermaßen in alten Versionen von sich selbst. Zudem zeigt die Regie Rückblenden in imposanten Szenen, die wie eingefroren wirken und in denen jüngere Ausgaben der Protagonisten agieren. Dabei kann der Zuschauer oft nur mit offenem Mund staunen und nicht immer erkennen, ob es sich um Erinnerungen und Träume handelt. FC Bergman erzählen in hypnotisierenden Bildern die Geschichte einer lebenslang dauernden Freundschaft und Liebe.

Gesungen wird dazu ganz fantastisch: die russische Sopranistin Elena Tsallagova war schon vor fünf Jahren die Leïla in dieser Produktion, präsentiert deren atemberaubende Koloraturen mit einer unglaublichen Leichtigkeit und stattet zudem die lyrischen Melodien, die sie singen darf, mit höchster Emotion aus. Der belgische Tenor Marc Laho hat den Nadir unter anderem schon in Liège gesungen und beeindruckt mich mit viriler Kraft, tenoralem Glanz und immensem Gefühl. Zum ersten Mal den Zurga gibt gestern Kartal Karagedik, der seit 2015/16 Resident Artist an der Staatsoper Hamburg und immer wieder gern gesehener Gast in Flandern ist. Der aus der Türkei stammende Sänger stattet seinen eindrucksvollen Bariton mit einer selten gehörten Mischung aus Kraft und Eleganz aus und so gelingt ihm schon bei seinem gestrigen Debüt ein überzeugendes Rollenportrait. Der Norweger Jacob Abel komplettiert die Sängerschar als Oberpriester Nourabad, der in der Lesart von FC Bergman zur jungen Version von Zurga wird, mit dunklem eindrucksvollen Bass.

© Annemie Augustijns

Die Damen und Herren des Chores laufen unter der Leitung von Jan Schweiger zu Höchstform auf, während im Graben der junge Karel Deseure die Fäden zusammen hält und die von Orientalismen und hinreißenden Melodien durchzogene Partitur Bizet frisch und mit all ihren funkelnden Farben präsentiert. Das Publikum im ausverkauften Haus hält es am Ende der gut 100 Minuten dauernden Oper nicht mehr auf den Sitzen. Standing ovations sind der verdiente Lohn für alle Beteiligten. Die flandrischen Städte Antwerpen und Gent sind ja immer eine Reise wert, noch bis Ende Januar gibt es einen weiteren Grund, sie zu besuchen.

Ihr Jochen Rüth, 16. Dezember 2023


Les Pêcheurs de Perles
Georges Bizet

Vlaamse Opera, Antwerpen

Premiere: 14. Dezember
Wiederaufnahmepremiere: 15. Dezember 2023

Inszenierung: FC Bergman
Musikalische Leitung: Karel Deseure
Symfonisch Orkest Opera Bellet Vlaanderen

weitere Termine: 19., 21., 23., 27., 29. und 31. Dezember in Antwerpen und 12., 14., 17., 19., 21. und 23. Januar in Gent

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