Antwerpen: „Simone Boccanegra“

21.2.2017

Verdis „schwärzeste Oper“ – mal ohne Mafia inszeniert

Giuseppe Verdi bezeichnete „Simone Boccanegra“ als sein „Leidenskind“ und seine „schwärzeste Oper“. Die Uraufführungen 1857 in Venedig und 1859 in Mailand gerieten zum vollen Fiasko, was wahrscheinlich hauptsächlich an dem schaurig-schwierigen Libretto von Francesco Maria Piave lag. Dieses fußte auf einem spanischen Haudegen-Theaterstück von Antonio Gutierrez, bei dem sich Verdi schon „El Trovador“ ausgeborgt hatte – auch eine recht verworrene Geschichte für eine Oper. Zwanzig Jahre später hat Verdi „Simone Boccanegra“ mit seinem neuen Librettisten Arrigo Boito gründlich überarbeitet und selbst einige politischen Szenen hinzugefügt, so wie die berühmte „Ratsszene“ im Dogenpalast. Inzwischen war die durch Verdi heraufbeschworene Einheit Italiens endlich erfolgt und hatte er die Politik als Senator von 1874-79 aus nächster Nähe erlebt. So wurde aus dem ursprünglichen „Risorgimento-Ruf“ nach Bruderschaft zwischen den Patriziern und Plebejern und nach Versöhnung zwischen den rivalisierenden Großmächten Genua und Venedig in der zweiten Fassung aus 1881 eine pessimistische Oper, beherrscht durch tiefe, böse Männerstimmen und endend mit einem üblen Giftmord.

Bei der heutigen Faszination vieler Opernregisseure für brutale Gewalt wird „Simone Boccanegra“ in letzter Zeit oft im Mafia-Milieu inszeniert, mit viel Theaterblut und knallenden Plastikpistolen. Davon werden wir jetzt in Antwerpen zum Glück verschont, denn der schon öfters von uns gelobte Regisseur David Herrmann und sein Team versuchen der Gaunergeschichte eine tiefere Dimension zu geben. Boccanegra trägt den ganzen Abend als weltfremder Einzelgänger stets denselben (wörtlich etwas zu großen) blauen Politiker Anzug. Seine Gegenspieler treten hingegen in Kostümen aus variierenden Epochen auf (interessante Kostüme von Christof Hetzer). Der Adelige Jacopo Fiesco, dem Simon 25 Jahre zuvor die inzwischen verstorbene Tochter raubte, erscheint anfangs mit einer Franz Hals-Krause. Anschließend ist er ein als armer Fischer verkleideter Flüchtling (Migrant?), dann wieder ein eleganter Bösewicht am Dogenhof. Diese Zeitverschiebungen kulminieren in der großen „Ratsszene“, die frei nach Leonardo Da Vincis „Letzten Abendmahl“ inszeniert wird. Der Verräter Paolo Albiani mutiert hier zum Judas, der sich vor Volk und Hof selbst verflucht. Im Hintergrund steht die von allen geliebte Amelia Grimaldi als Schmerzensmadonna im blauen Mantel mit gespreizten Armen – ihr Taufname war ja Maria.

Alle diese verschiedenen Bilder fließen nahtlos ineinander über, denn der österreichische Bühnen- und Kostümbildner Christof Hetzer – der letzten Sommer einen besonders schönen „Tristan“ in Paris ausgestattet hat (siehe Merker VI/2016) – baute hier einen elegant vergammelten Genueser Palast auf einer Drehbühne, die sich sehr gut bespielen läßt, die nicht piept und akustisch besonders sängerfreundlich ist. So kann der Abend anfangen mit einem „che dicesti / altro proponi“ in einem piano wie wir es schon lange nicht mehr in einer Verdi-Oper gehört haben. Der exzellent durch Luigi Petroziello geleitete Koor Opera Vlaanderen singt fein und transparent bei seinem Auftritt. Das ist in diesem Fall besonders wichtig, denn alle sieben Solisten geben in diesem „Simone Boccanegra“ ihr Rollendebüt. Der bulgarische Bariton Kiril Manolov hat sich bis jetzt vor allem als Falstaff einen Namen gemacht, für den er nicht nur die Stimme, sondern auch die gebührende Körperfülle mitbringt. Doppelt so groß und doppelt so breit, wie seine Gegenspieler, beherrscht er als „capitano del popolo“, der durch das Volk zum Dogen ernannte Simone Boccanegra, auf ganz natürliche Weise die Bühne. Najmiddin Mavlyanov und Gezim Myshketa überzeugen als die intriganten „kingmakers“ Gabriele Adorno und Paolo Albiani, mit Mithilfe von Evgeny Solodonikov und Raehann Bryce-Davis, denen man nicht in keiner Weise anhört oder ansieht, dass sie dem sogenannten „jungen Ensemble der Oper“ angehören (Komplimente!). Der chinesische Bass Liang Li, vor vielen Jahren ein unvergessener Gewinner des Wettbewerbes „Neue Stimmen“, dem wir seitdem vor allem als König Marke begegnet sind, gibt ein fulminantes Rollendebüt als Jacopo Fiesco. Die Rolle ist nicht leicht, denn so wie Boccanegra und die anderen Bösewichte auf der Bühne, hat Fiesco keine eigene Arie. Ausserdem ist die Geschichte so verworren, dass man nie weiß welcher Fiesco nun singt: der unversöhnliche Vater (beinahe ein commendatore), der als armer Fischer verkleidete Großvater oder der als „Pater Andrea“ verkleidete Bösewicht am Dogenhof. Doch Liang Li weiß all diese verschiedenen Aspekte zu einer Figur zu verschmelzen und sein „Piango, perchè mi parla in te del ciel la voce“ in der letzten Szene war der musikalische Höhepunkt des Abends.

Die Griechin Myrto Papatanasiu ist in Wien vor allem bekannt als „Traviata“ und Donna Anna. Kurz vor ihrem Debüt als Alcina im Oktober erzählte sie dem Merker, dass für sie „Händel wie Honig, Mozart wie Wasser und Verdi wie die Natur schlechthin“ sei und sie sich sehr auf ihr Rollendebüt als Amelia Grimaldi freue. Leider hat ihr der sonst so erfahrene Dirigent Alexander Joel in ihrer Auftrittsarie nicht sonderlich geholfen. In dem berühmten Vorspiel, das Meeresrauschen symbolisieren soll, schleppten die Holzbläser des sonst exzellent spielenden Symfonisch Orkest Opera Vlaanderen und das Tempo wurde immer langsamer, so dass die Sängerin teilweise in Atemnot kam. An anderen Stellen sang sie fulminant – „she has it all“, sowie es der Merker in Wien schrieb – aber die neue Rolle lag ihr noch nicht ganz in der Kehle. So war sie auch die Einzige, die regelmäßig zum Dirigenten schielte und dabei – sei es nur für Sekunden – ihre Bühnenfigur verließ. Doch das wird sich sicher geben, wenn diese Produktion in Karlsruhe, Luxemburg und Montpellier wieder aufgenommen werden wird. Eine Inszenierung mit neuen Ideen und neuen Sängern – das ist immer interessant!

Fotos (c) Annemie Augustijns / Opera Vlaanderen

Waldemar Kamer 28.2.2017

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online

Nach der rezensierten, letzten Vorstellung in Antwerpen, noch vom 1. bis 9. März in Gent,

Opera Vlaanderen Antwerpen-Gent, Info: www.operaballet.be