Besuchte Vorstellung am 01. Februar 2020
Neuproduktion an Opéra du Rhin Straßburg,
Die Neu-Inszenierung des „Parsifal“ von Amon Miyamoto geht den Fragen nach, wie die Geschichte auf ein Kind wirkt und was Parsifal mit der heutigen Welt zu tun haben könnte.
Bereits im Vorspiel ist ein Junge mit seiner Mutter zu sehen. Der Junge ist wie der später auftretende Parsifal gekleidet und begleitet diesen durch die Handlung. Er beobachtet, wie seine Mutter sich vor einem Spiegel selbst befriedigt und reagiert darauf traumatisiert. Ein Sinnbild für Beziehungen, die sich verändern.
In dem Museum „Geschichte der Menschheit“ spielt die Rahmenhandlung. Gurnemanz und dessen Knappen wirken in ihren altertümlichen Tuniken den zahlreichen historischen Altarmalereien entsprungen, die es dann auch zahlreich auf der Bühne zu betrachten gibt. Die Passion Christi wird auf den Bildtafeln abgebildet, Synonym für das Leiden des Amfortas und auch für die Erzählung Kundrys.
Parsifal wirkt wild, unbeherrscht. Die Welt der Gralsritter ist finster. Die Ritterschaft trägt unterschiedliche Kampfkostüme aus verschiedenen Zeitepochen. Titurel steht drohend und mahnend, als lebende Körperwelt-Skulptur, allgegenwärtig hinter seinem Sohn. Immer wieder gelingen hier magische Bildmomente. Blautöne dominieren und plötzlich segeln langsam vereinzelte Schwanenfedern, perfekt als Flammen ausgeleuchtet, zu Boden.
In Pink- und Violett, als übergroße Orchidee ist dann das Labyrinth von Klingsor gehalten, der seinen Zaubergarten als Überwachungsstaat führt und das Museum überwacht. Am Ende des zweiten Aufzuges stirbt das Kind (der „kleine Parsifal“…). Parsifal wird es am Ende des Werkes wieder aufleben lassen. Und….es gibt einen Affen auf der Bühne als hinduistisches Symbol Hanuman, in welchem der Affe als der Sohn der Gottheit Shiva gilt.
Miyamoto bietet unendlich viele Bildeindrücke, die der Musik allerdings immer wieder die Aufmerksamkeit streitig machen. Er zeigt viele Erzählstränge, die sich nicht immer schlüssig erklären. Seine Inszenierung bleibt mehr eine bunt wilde Assoziation mit letztlich zu vielen Erzählsträngen, die nicht zu Ende geführt werden. Auch stört die Unsitte, Vorspiele zu inszenieren, empfindlich das musikalische Geschehen. Somit ist es eine rätselhafte Inszenierung für dieses nicht so leicht zu entschlüsselnde Werk.
Es ist vor allem ein „Parsifal“ der starken Bilder, woran Boris Kudlicka (Bühnenbild), Kaspar Glarner (Kostüme), Felice Ross (Licht) und Bartek Macias (Video) großen Anteil haben.
Ein großes Lob an die Bühnentechnik des Theaters, die die ständigen Bildwechsel perfekt realisierten. Ebenso überzeugte die Qualität der Beleuchtung und der Videoeinspielungen.
Die musikalische Realisierung war als Gesamteindruck eine ambivalente Erfahrung.
Herausragend bei den Solisten war die ausgezeichnete Textverständlichkeit. Selten ist in einer Parsifal-Produktion nahezu jedes Wort zu verstehen. In dieser Produktion wurde diese herausragende Qualität gewährleistet.
Als Kundry war Christianne Stotijn zu erleben. Mit dunkler Mezzostimme bot sie viele klangliche Facetten. Sie spürte jeder Textnuance nach und es war immer zu spüren, dass ihr die Aussage wichtig war. Nur leider wurde der zweite Aufzug ein stimmlicher Offenbarungseid! So viele Mezzosoprane sind mit den Höhen überfordert. Und so war es auch hier. Am Beginn des Duettes mit Parsifal irritierte ein gewaltiges Tremolo im Ausruf „Parsifal“. Immer wieder verengte sich die Stimme in der Höhe, klang z.T. schrill. Das hohe h bei „und lachte“ wurde von ihr kurz angesungen. Aber am Ende des Aufzuges, musste sie bei „Irre, irre“ die tiefe Variante singen und das abschließende hohe h bei „Geleit“ blieb sie schuldig. Es ist hoch bedauerlich, dass ihr derart stimmliche Grenzen gesetzt waren, denn ihre Textbehandlung und ihr Ausdruck gerieten vorbildlich.
Den Parsifal an ihrer Seite gab Thomas Blondelle. Darstellerisch sehr präsent stürzte er sich mit Übereifer in seine Rolle, so dass manche Szenen etwas überdreht wirkten. Stimmlich ist der Parsifal für ihn als lyrischer Tenor eine Grenzpartie. Er erreichte alle Töne, wenngleich bei den wenigen Spitzentönen, die Stimme etwas ihren Fokus verlor. Dazu musste er sich sichtbar sehr anstrengen. Sein Forcieren war m. E. nicht notwendig, denn die Stimme trug gut im Opernhaus. Und es wäre traurig, wenn dieser so intelligente Sänger früh Schaden an seiner Stimme nehmen würde. Denn auch für ihn gilt, was seine Partnerin auszeichnete: jederzeit wusste er, was er sang und wie er seine superbe Textverständlichkeit für klare Ausdrucksmomente nutzte. So wurde sein Entwicklungsprozess überdeutlich erlebbar und dadurch entsprechend berührend.
Prägende Gestalt war der Gurnemanz von Ante Jerkunica. Mit bester Textverständlichkeit spürte auch er jeder Nuance nach und machte die langen Erzählungen zum Hörerlebnis. Dazu wirkte die Stimme im Volumen völlig unbegrenzt und autoritär. Lediglich mancher Ton in der Höhe wirkte noch etwas erkämpft. Aber diese Partie ist ohnehin eine Lebensaufgabe und Jerkunica muss bereits jetzt zu den ersten Rollenvertretern gezählt werden. Spannend waren auch seine mimischen Reaktionen und seine hohe Präsenz auf der Bühne.
Zwiespältig geriet der Amfortas von Markus Marquardt. Zwar konnte er alle Töne bis zum hohen g abrufen. Allerdings war seine Intonation mitunter etwas abenteuerlich, die Töne wirkten zuweilen von unten angesungen. In den großen Ausbrüchen „Erbarmen“ reichte die stimmliche Energie nicht aus, um die Erschütterung zu artikulieren. Zu kurz gesungen und zu wenig stimmliche Expansion war hier zu vernehmen.
Charakteristisch agierte Simon Bailey als Klingsor, nur das Dämonische ging ihm völlig ab. Sein Gesang wirkte sehr schneidig und war immer sehr gut zu verstehen.
Prachtvoll in der bassigen Dominanz zeigte sich Konstantin Gorny als Titurel. Ausgezeichnet waren die Nebenrollen besetzt.
Die vereinigten Chöre der Opéra du Rhin und der Opéra Dijon hatte Chordirektor Alessandro Zuppardo sehr gut auf ihre komplexe Aufgabe vorbereitet. Sauber in der Intonation und klar in der Textverständlichkeit. Lediglich der Damenchor klang zuweilen etwas dünn und inhomogen im Klang.Völlig begeistern konnte hingegen der Kinderchor in der Einstudierung von Luciano Bibiloni.
Musikdirektor Marko Letonja hat bereits einige Erfahrung mit dem Werk Richard Wagners. Unlängst leitete er komplette „Ring“-Zyklen am königlichen Opernhaus Stockholm. Nun also sein Debüt mit Wagners Schwanengesang „Parsifal“. In Straßburg muss Letonja Kompromisse hinnehmen. Der Orchestergraben ist zu klein und so kann diese Einstudierung nur mit einer kleinen Streicherbesetzung gespielt werden.
Letonja ist ein Dirigent, den es erkennbar nach vorne drängt. Völlig souverän war er der ruhende Pol des Abends. Vorbildlich seine Zeichensetzung, die nicht nur den Sängern jeden Einsatz gab, sondern auch den Chor großartig abphrasierte. So waren dann die Endsilben immer synchron zu vernehmen.
Das Weihevolle trat bei seinem Dirigat hingegen völlig in den Hintergrund. Somit stand sein Dirigat eher der Lesart nahe, wie es die Parsifal Dirigenten Herbert Kegel und Rafael Kubelik formulierten. Seine Tempi waren zumeist flott, jedoch niemals überhetzt, der Orchesterklang war erkennbar sehr auf Transparenz bedacht. Selbst in den Verwandlungsmusiken scheute Letonja das große Auftrumpfen. Somit fehlten dann dieser Interpretation aber zu deutlich das Kantige und Schroffe. Zu berücksichtigen ist dabei aber auch die begrenzte Kapazität des Orchestergrabens. Die Orchestermitglieder sitzten darin sehr beengt. Manchmal mögen es auch solche Beweggründe sein, die einen klanglichen Kompromiss notwendig machen.
Somit war alles erkennbar dem Wohlklang verpflichtet. Die dynamische Balance war dafür ausgezeichnet, so dass die Sänger immer gut zu hören waren.
Aber dennoch: es war ein Dirigat, dem die klanglichen Konturen, die Ecken und Kanten abgingen. Somit ordnete sich die musikalische Leitung zu sehr dem szenischen Konzept unter, was sehr bedauerlich war. Es wäre spannend, Letonjas Dirigat unter akustisch günstigeren Bedingungen zu erleben
Das Orchestre Philharmonique de Straßburg hat seit der Amtszeit von Letonja zu einer hohen Spielkultur gefunden. Selten dürfte es heutzutage einen Orchesterklang in der Wagner Interpretation geben, der derart Hand in Hand mit den Sängern geht. Das Orchester achtete hörbar auf die Sänger. Zudem agierte es äußerst kultiviert und ausdauernd. Die Intonation war tadellos und vor allem die zahlreichen Soli, z.B. die Trompete im Vorspiel, gerieten berührend. Hier war auch bei dem gelungenen, heiklen Unisono Beginn der Streicher zu spüren, wie gut das Orchester aufeinander hörte.
Das Publikum folgte mit Spannung und spürbarer Anteilnahme der Vorstellung. Am Ende gab es reichen Beifall für alle Beteiligten.
Dirk Schauß, 3. Februar 2020
Bilder (c) ONdR