Straßburg: „Rigoletto“

Premiere am 08.12.2013, (Premiere in Aix-en-Provence am 04.07.13)

Die Schau muss weitergehen

Die Opéra National du Rhin präsentiert im Verdi-Jahr 2013 eines seiner beliebtesten Werke in Koproduktion mit dem Festival von Aix-en-Provence, de Munt/la Monnaie in Brüssel, dem Bolschoi-Theater und dem Grand Théâtre de Genève. Regie führt der viel gefragte kanadische Regisseur Robert Carsen, der die Rigoletto-Handlung in einem Zirkus ansiedelt. Warum eigentlich nicht, fragt man sich nach den ersten szenischen Einwürfen. Ein buckliger Narr ist ja nicht weit von einem Clown entfernt; ein „Herzog“ wird dann zu einem Zirkusdirektor. Der Chor wird zu den Zuschauern auf den Tribünen – klassisch! Und man hat jede Menge Möglichkeiten die Szene aufzumischen, z.B. mit knackigen Tänzerinnen oder artistischen Einlagen. Theater auf dem Theater ist sicher eines der Lieblingsthemen von Carsen, hier als Zirkus umgesetzt. Insgesamt passt das alles recht gut, die Summe der neuartigen Regieeinfälle ist diesem Umfeld ist enorm. Da kann man selbst als Purist über einige Reibungen mit dem Text oder Ungereimtheiten der Dramaturgie hinwegsehen. Eine von vorn bis hinten interessante Regiearbeit, die die üblichen Dimensionen des beliebten Regiekonzepts „Theater (hier Zirkus) auf dem Theater“ weit hinter sich lässt, soziokulturelle Aspekte der Gegenwart hineinprojiziert und das psychologische Beziehungsgeflecht schärft, ohne es zum alleinigen Thema der Oper zu machen.

Rigoletto, Monterone

Während der spannungsgeladenen Ouvertüre schleift der Clown Rigoletto einen Sack vor den Hauptvorgang. Zu den unheilverkündenden Posaunenklängen schwant einem Böses: wird die Oper von hinten erzählt? Aber nein! Aus dem Sack kommt die Gummipuppe eines weiblichen Körpers, wie man sie wohl bei Beate Uhse bestellen kann. Fröhlich mit ihr spielend schlüpft Rigoletto durch den sich öffnenden Vorhang und gesellt sich zu der frivolen Gesellschaft des Herzogs. Der residiert als Zirkusdirektor in glänzender roter Jacke mit breitem Revers in der Loge des Zirkus über dem Haupttor zwischen den zu beiden Seiten im Halbrund ansteigenden Tribünen. Da singt er sein „Questa o quella per me pari sono“ (früher schamhaft auf Deutsch: Freundlich blick ich auf diese und jene). Überaus detailfreudig hat Radu Boruzescu dieses Bühnenbild entworfen: stark abgenutzt ist schon die Zirkusausstattung. Dass man damit so viel Geld verdienen kann, dass der Herzog damit herumschmeißen kann, ist zunächst nicht glaubhaft. Überaus gut aussehende und geformte Damen in gewagten Kostümen werden von peitscheschwingenden Männern auf Zirkushockern gezähmt: eine Art Gesellschaftsspiel für den Zirkusdirektor/Herzog. Dazu die wogende Ballmusik. (Choreographie: Philippe Giraudeau).

Sparafucile, Monterone

Rigoletto ist dann auf Weg nach Hause und damit in seine zweite Rolle, die des lebenden und wachsamen Vaters. Er zieht sich erst mal in ein ärmliches und schmuddeliges Zivil um. Zu Hause ist, man ahnt es schon, wieder in der Zirkusmanege, in die inzwischen ein kleiner Zirkuswagen gezogen worden ist. Dessen Wände klappen herunter, man erblickt wie in einem zu kleinen Kinderzimmer Gilda, die in einem Buch liest. Als sie den Vater kommen hört, versteckt sie es unter dem Kopfkissen. Sicher ist das nicht die Bibel, und Rigoletto erlaubt seiner Tochter nicht viel, eigentlich gar nichts, was letztlich die Tragödie und ihren ihren Ausgang herbeiführt; nicht Monterones Fluch, wie Rigoletto und Musik es immer wieder behaupten. Und es ist eine echte Tragödie: Seine Tochter Gilda, sein Ein und Alles, das er beschützen will, kommt durch sein Tun zu Tode.

Rigoletto, Herzog, Gräfin Ceprano

Sehr wirkungsvoll sind die Abläufe um Rigolettos Behausung in Szene gesetzt. Der Student Gualtier Maldé, eingekleidet, als ob er wirklich auf einem Campus unterwegs wäre (Kostüme: Miruna Boruzescu), schleicht durch die Ränge, um einen günstigen Moment abzuwarten. Die Höflinge kommen; eine akrobatische Szene an der Leiter, die Rigoletto hält, sorgt für Abwechslung; die Höflinge ziehen gleich den ganzen Zirkuswagen fort, um Gilda zu entführen. Der zweite Akt läuft ganz zwanglos wieder in und vor der großen Zirkusloge um das Manegenrund ab. Zum szenischen Glanzpunkt gerät der dritte Akt. Plötzlich ist nicht mehr der Herzog Chef im Zirkus, sondern Sparafucile betreibt hier eine Art Straßenstrich. Er ist der Zuhälter seiner eigenen Schwester. immer treiben sich die einen oder anderen auf den Rängen herum. Sehr naturalistisch zuckt das Licht der Blitze auf die Zeltwand (Licht: Robert Carsen und Peter van Praet). Vor dem Mord an Gilda fällt der Vorhang. Der Sack, den man schon ganz am Anfang gesehen hat, wird unter dem Vorhang durchgeschoben. Aber diesmal ist keine Gummipuppe von Beate Uhse drin. Man glaubt, so schließe sich der Kreis. Aber der Regisseur verfremdet das letzte Ende noch mit einem Schuss Zynismus. Der Vorhang geht wieder auf. Gilda und der Vater singen von der Mutter im Himmel, während eine halbnackte Akrobatin an einem hängenden Seil einen Balancetanz vorführt: The show must go on! Aber erst einmal hat Carsen eine hochinteressante Inszenierung abgeliefert, die streckenweise unter die Haut geht, ohne jeden Rührkitsch und auch jede Dekonstruktion des Stoffs.

Herzog, Gilda

Verdis Rigoletto-Musik bietet eine große Bandbreite von theatralisch wirksamer Dramatik, feingliedrigen und gefühlsbetonten Elementen und einfach geschriebenen und instrumentierten, schmissigen Begleitmusiken. Die Vokalpassagen reichen von den überkommenen Belcanto-Arien zum strophischen Lied und den dramatischen unisono-Chören. Das Orchestre philharmonique de Strasbourg musizierte unter der Leitung von Paolo Carignani, der sich einem gefragten Interpreten italienischer Oper entwickelt hat. Er wird allen Facetten der Partitur gerecht. Düster und schauerlich gestaltet er die kurze Ouvertüre: mit den dunklen, auf einem Ton pochenden Posaunenklängen, dem Fluchmotiv, das in ein dräuendes Streichercrescendo übergeht. Die dramatischen Schärfungen kulminieren im dritten Akt bei der Gewittermusik, mit überwältigender Plastizität und enormer klanglicher Energiefreisetzung gestaltet. Man wusste nicht, ob der spontane Beifall dem Orchester oder den gleichzeigen Lichteffekten galt. In der Dynamik war Carignani nicht immer sängerfreundlich. Aber da waren ja auch die kantablen Celli und die feinen Tupfer der Holzbläser am anderen Ende der Skala und der inspirierte Schwung der einfacheren Begleitpassagen. Bestens einstudiert und präzise eingebunden war auch der Opernchor (Chorleitung: Michel Capperon), den die Regie zudem sehr wirksam zu bewegen verstand.

Rigoletto, Gilda

Bei den Gesangssolisten war George Petean in der Titelrolle die beherrschende Figur des Abends. Er verfügt über gerade die richtige Statur und konnte den Rigoletto mit überwältigendem Spiel gestalten. Mit seinem warmen kultivierten Bariton konnte er dieser zwiespältigen Person auch stimmlich Format verleihen. Dazu verfügte er auch über großes, wohltönendes und quasi müheloses Volumen, so dass er sich anscheinend völlig unangestrengt der Interpretation widmen konnte. Ein großer, bewegender Rigoletto! Dmytro Popov als Herzog gefiel mit klaren kräftigen Höhen und guter Fokussierung seines mittelhellen Tenors. Wohl muttersprachlich bedingt blieb indessen seine Farbgebung der Vokale eindimensional. Italienisch könnte noch schöner klingen! Vom Spiel her war er sehr lebendig und gebrauchte keine abgenutzten Tenor-Posen. Wenn die Gilda-Rolle nur aus innigen Passagen in der Mittellage bestünde, hätte man mit Nathalie Manfrino sehr zufrieden sein können. Zudem gefiel sie durch ihre anmutig Bühnenpräsenz, die das Mädchen Gilda überzeugend darstellte. Aber die Rolle besteht auch aus fordernden hohen Passagen; da zeigte Frau Manfrino bei einiger Enge nicht die beste Intonation; zudem stießen sich Atemtechnik und Phrasierung. Dass sie bei ihrem „Caro nome“ auf einem Trapez-Sitz in schwindelnde Höhen gezogen wurde und dort schaukelte, machte ihr die Aufgabe nicht leichter.

The Show must go on

Prächtig wirkte in der Rolle des Sparafucile Konstantin Gorny mit kernigem durchschlagsfähigem schwarzem Bass bei etwas kehliger Härte. Als seine Schwester Maddalena überzeugte Sara Fulgoni überzeugte mit koketter Gestalt und erotisierendem Alt. Alle kleinen Rollen waren ebenfalls überzeugend besetzt: Mit mächtigem Bass war Scott Wilde als Monterone eingesprungen; Manuel Betancourt zeigte als Marullo einen sehr geschmeidigen Bariton und Anna Maistru gefiel als kecke widerborstige Gräfin Ceprano. Tadellos auch Nadia Bieber als Giovanna.

Den Rigoletto haben wir schon zig Mal gesehen. Aber hier gab es doch wieder viel Neues, für das sich das Premierenpublikum im ausverkauften Haus mit großem lang anhaltendem Beifall an alle Mitwirkenden bedankte. Weitere Termine am 14., 16., 19., 21. und 23.12. in Straßburg; dann geht die Produktion für zwei Vorstellungen am 8. und 10.01.14 nach Mülhausen in die Filature. Im Mai 2014 kommt die Produktion in Brüssel heraus. Dann kommen Genf und Moskau.

Manfred Langer, 09.10.13
Fotos: Alain Kaiser