Lüttich: „La favorite“

Premiere: 16.11.17

Futuristische „Favorite“ in Lüttich

Lieber Opernfreund-Freund,

gestern hatte an der Opéra Royal de Wallonie-Liège Gaetano Donizettis „La Favorite“ Premiere, 1840 entstanden und heutzutage eine Rarität auf den Opernbühnen. Das für seine werkgetreuen Inszenierungen bekannte Haus hat sich erfrischenderweise einmal für eine moderne Lesart entschieden – ob das allerdings dem Werk einen Mehrwert bringt, ist nach dem gestrigen Abend fraglich.

Donizettis „La Favorite“ ist ein reiferes Werk des aus Bergamo stammenden Komponisten, es ist abgesehen von der unvollendeten „Duc d’ Albe“, der gerade an der flämischen Oper in Gent zu sehen ist, die letzte Oper des Belcantomeisters, die in Paris entstand. In diesem Werk ist seine Musik von unveränderter Eingängigkeit, wirkt aber tiefgründiger und weniger leichtfüßig und verlangt dem Sängerpersonal weit mehr als stimmliche Beweglichkeit ab. Erzählt wird in dieser Umarbeitung seiner 1839 entstandenen Oper „L’ange de Nisida“ die Geschichte von Léonor de Guzman. Der angehende Mönch Fernand verliebt sich in sie, nicht ahnend, dass sie die Geliebte von König Alphonse ist. Der wiederum will seine Frau für Léonor verlassen, doch die gesteht ihm ihre Liebe zu Fernand. Auch ihn will sie vor der Hochzeit über ihre Vergangenheit aufklären, doch ihre Gefährtin Ines als Botin ihrer Vorgeschichte wird von des Königs Häscher Don Gaspar abgefangen. Vor dem Altar unvermittelt mit der Wahrheit konfrontiert, geht Fernand zurück ins Kloster und legt sein endgültiges Gelübde ab. Léonor schleppt sich, dem Tode nah, zum Kloster und stirbt, nachdem Fernand ihr vergeben hat, in dessen Armen.

Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ist für die italienische Regisseurin Rosetta Cucchi Ausgangspunkt ihrer Interpretation, die im vergangenen Jahr bereits am venzianischen Opernhaus La Fenice zu sehen war. Gezeigt wird eine Welt, in der Frauen der Männerwelt zur Verfügung zu stehen haben, sei es dem Klerus oder dem weltlichen Patriarchat. Verlegt hat sie die Handlung in die Zukunft, in eine künstliche, von Plastik durchzogene Welt, in der im Kloster Pflanzen wie Reliquien aus einer vergangenen Zeit in einer Mischung aus Tresor und Tabernakel konserviert werden.

Ebenso werden Frauen in einer Art überdimensionalen Luftpolsterfolie konserviert und den Männern verfügbar gehalten. Sie erscheinen nixenhaft in ihren Wallegewändern (futuristisch-uniformartige Kostüme von Claudia Pernigotti) und mit ihrem platinblonden Haar. Die unwirklich erscheinende Kulisse stammt von Massimo Checchetto, der aus Unmengen Folie eine transparente und doch einengende Welt für die Frauen, ebenfalls beklemmende Enge vermittelnde Tresorwände für das Kloster und für den König einen Thron gebaut hat, der nicht erst, als Léonor sich nixengleich darauf niederlässt, an den Loreleyfelsen erinnert.

Die stimmungsgebenden Videoeinspielungen von Sergio Metalli versetzen uns im zweiten und dritten Akt in eine Pseudowelt, die die eingesperrten Frauen nur durch die Folie wahrnehmen, eine Wirklichkeit, die nur vorgegaukelt wird und unwirklich bleibt. Das komplett gegebene Ballett wird auf zwei Tänzerinnen reduziert, die in der Choreografie von Luisa Baldinetti packend das Schicksal der Frauen erzählt. Das mag zusammen für eine schöne Bilderschau taugen, für eine überzeugende Botschaft reicht es nicht. Mit „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ kommt mir da schon die zweite Loreley-Assoziation. Rosetta Cucchi hat mit ihrer Lesart wahrscheinlich mehr für die Polyethylenindustrie als für Donizettis vernachlässigtes Werk getan.

Gesungen wird, wie in Lüttich üblich, weit mehr als passabel. Allen voran glänzt Sonia Ganassi als Léonor, lässt ihren Mezzo in den unglaublichsten Farben schimmern und zeigt ein einfühlsames Psychogramm der Titelfigur. Die Italienerin verfügt über ein unheimliches musikalisches Gespür und eine einnehmende Aura. Aus dem uniformierten Chor der Damen sticht sie allein durch ihr Charisma hervor. Wunderbar! Celso Albelo gibt den Fernand engagiert und mit metallisch-klarem Timbre, arbeitet aber da und dort mit ein wenig viel Druck – das ist aber bei dieser kräftezehrenden Tenorpartie, die sich nur in den höchsten Lagen zu bewegen scheint, auch kein Wunder. Mario Cassi verfügt an sich über einen wunderschönen Bariton voll balsamischem Schmelz, hat aber in der ersten Häfte des Abends hörbar Intonationsprobleme. Die sind nach der Pause verschwunden, dafür forciert der Italiener da recht stark, bleibt also vergleichsweise blass. Ugo Guagliardo gibt ein überzeugendes Hausdebüt an der Maas als Prior Balthazar und zeigt seinen imposanten Bass, Cécile Lastchenko als Inès ist eine wunderbare Vertraute und Matteo Roma, der hier als Don Gaspar mit fein timbriertem, ausdrucksvollem Tenor glänzt, sollte man unbedingt im Auge behalten. Kaum zu glauben, dass der junge Italiener erst im vergangenen Jahr sein Operndebüt gab, so präsent ist er auf der Bühne. Die Damen under Herren des Chores unter der Leitung von Pierre Iodice sind gewohnt gründlich vorbereitet, haben aber aufgrund der dürftigen Personeneregie in den Massenszenen im Wesentlichen in Gruppen herum zu stehen.

Luciano Acocella fühlt sich im Belcanto zuhause – und das hört man. Leichtfüssig tänzelt er durch die heiteren Passagen des Werks, fügt da und dort eine Prise Dramatik, Schwermut oder Schmelz bei, behält dabei aber immer das rechte Maß. Die Musikerinnen und Musiker des Orchesters folgen ihm genau und sind so, neben Sonia Ganassi, die eigentlichen Stars des Abends.

Das Publikum im ausverkauften Haus ist voller Begeisterung, als der Vorhang nach dreieinhalb Stunden fällt. Enthusiastische Bravo-Rufe begleiten alle Protagonisten. Der Applaus wird spürbar verhaltener, als das Regieteam sich zeigt. So hart will ich aber nicht sein, denn schön anzuschauen war es ja – und wenn die Bilder dazu beitragen, dass dieses wunderbare Werk wieder in die Öffentlichkeit getragen wird, gibt es ja bald hier oder dort eine schlüssigere szenische Umsetzung.

Ihr Jochen Rüth 17.11.17

Die Fotos stammen von Lorraine Wouters/ORW.

P.S. !

Lieber Sänger,

es ist schön, wenn einem die eigene Gattin auch noch nach Jahren tiefe Liebe entgegen bringt und das, was man tut, zumindest ein Stück weit bewundert. Weisen Sie sie aber bitte beim nächsten Mal darauf hin, dass auch Angehörige an das Fotografier- und Filmverbot während der Aufführungen gebunden sind. Das verstösst nicht nur gegen das Urheberrecht, sondern das dabei entstehende Licht ist auch extrem störend.

Es ist bitter, wenn die eigene Tochter samt Freund mit dem Beruf des Vaters so gar nichts anzufangen weiß. Empfehlen Sie ihr beim nächsten Mal doch bitte einen Besuch eines nahen Cafes, statt sie in die Aufführung zu bitten. Dort kann sie ungestört plaudern, mit dem Handy Spiele spielen, Whatsapp schreiben oder mit ihrem Freund plaudern.

Ich werde es Ihnen danken. Und sicher ein gutes Dutzend Zuschauer rundherum auch, die sich von der Show des Trios, das man im Parkett in Reihe H postiert hatte, dem ständigen Geblinke und dem unaufhörlichen Redeschwall so gestört gefühlt hat, dass es IHRER Leistung gar nicht hat konzentriert folgen können – und um die wäre es ja gestern Abend eigentlich gegangen.

Ihr
Jochen Rüth