Lüttich: „Le comte Ory“, Gioachino Rossini

Besuchte Vorstellung: 23.Dezember 2018

Rossinis letzte komische Oper hat es schwer auf den Bühnen. In Deutschland, ja selbst in Italien, wird sie in der laufenden Saison nicht gespielt. An der Opera Royal Wallonie im belgischen Liege ist das flotte Stück jetzt in einer Koproduktion mit der Pariser Opera Comique zu sehen.

Bei dieser Oper kann man nur staunen, was sich die beiden Librettisten Eugène Scribe und Charles Gaspard Delestre-Poirson im Jahr 1828 für eine wüste Sex-Geschichte ausgedacht haben, und dass diese Oper aufgeführt werden durfte: Weil die Männer auf dem Kreuzzug im Heiligen Land sind, herrscht bei den Frauen sexueller Notstand. Graf Ory macht sich das zu Nutze und versucht , als Priester verkleidet, die Gräfin Adele zu verführen. Hilfe leistet sein Freund Raimbaud. Der Gouverneur, der Erzieher des Grafen, versucht das Schlimmste zu verhindern. Rivale des Grafen ist sein eigener Page Isolier.

Im zweiten Akt versucht der Graf mit seinem Gefolge erneut das erotische Glück, diesmal als Nonnen verkleidet. Höhepunkt der Geschlechts- und Sexualverwirrungen ist das Terzett, in dem die Gräfin Adele gleichzeitig von dem als Nonne verkleideten Grafen und dessen Pagen, bei dem es sich um eine Hosenrolle handelt, bedrängt oder beglückt wird, je nachdem was dem Regisseur gerade einfällt.

Regisseur dieser Produktion, die bereits im Dezember 2017 an der Opera Comique herauskam, ist Denis Podalydes von der Comedie Francaise. Er verlegt die Geschichte vom Mittelalter in die Entstehungszeit der Oper, als Frankreich begann Algerien zu kolonisieren. Anfangs glaubt man, dies könnte eine kritische Auseinandersetzung mit der französischen Geschichte sein. Dies ist aber nicht der Fall, denn der Krieg spielt auf der Bühne keine Rolle, außer vielleicht, dass man die Lehre ziehen kann: „Wenn die Männer als Soldaten in den Krieg ziehen, gehen die Frauen fremd!“ Ansonsten inszeniert Podalydes komödiantisch realistisch, manchmal aber auch etwas brav.

Die Kostüme von Star-Modemacher Christian Lacroix siedeln die Oper in ihrer Entstehungszeit an, fallen aber sonst nicht weiter auf. Bühnenbildner Eric Ruf stellt einen großen Saal eines säkularisierten Klosters auf die Bühne. Im ersten Akt sind dort Beichtstuhl, Kanzel und zwei Schränke zusammengestellt, im zweiten Akt sehen wir den leeren Saal, der außer dem Altar, das zum Bert umfunktioniert wird, wenig eigenen Charakter besitzt.

Musikalisch biete die Opera Royal eine starke Aufführung: Am Pult des Orchesters steht Jordi Bernàcer, der einen flott-spritzigen Rossini dirigiert. Der ganze Irrwitz und Humor der Musik mit ihren rhythmischen Finessen und Crescendi wird perfekt und ohne jeden Leerlauf zum Klingen gebracht.

In der Titelrolle glänzt Antonino Siragusa mit einer schönen und leichten Tenorstimme, die mühelos alle Spitzentöne meistert. Auf dem Weg in die Höhe gibt es bei ihm keine Registerbrüche, und zudem verfügt er über ein blumiges Piano. Im ersten Akt bietet er mit unter den Talar geschnallten Säcken und einer künstlichen Nase eine flotte Priesterparodie. Ein Grund für die seltenen Aufführungen dieses Stückes ist wohl auch die Schwierigkeit der passenden Besetzung der Hauptrollen.

Das gilt auch die Comtesse Adele, die Jodie Devos mit funkelndem Sopran durch alle virtuosen Koloraturen hindurch brillant singt. Die permanente sexuelle Zweideutigkeit ihrer Rolle gestaltet sie mit viel Witz, ohne dabei je platt zu werden.

Mit großem und klarem Mezzo singt Josè Maria Lo Monaco den Pagen Isolier. In der Rolle des Raimbaud gefällt Enrico Marabelli mit seinem frischen Bariton, der Rossinis Musik mit der nötigen Geläufigkeit umsetzt.

Insgesamt gelingt der Opera Royal eine musikalisch starke Aufführung, verschenkt szenisch aber einige Möglichkeiten dieses Stückes über religiöse Heuchelei und sexuelle Doppelmoral. Bis zum 2. Januar ist Le Comte Ory“ noch in Liege zu sehen. Als nächste Produktion folgt vom 23. Januar bis 2. Februar 2019 der „Faust“ von Gounod in einer bildstarken Inszenierung von Stefano Poda, die bereits in Tel Avis und Lausanne zu sehen war und später auch nach Turin exportiert wird.

Fotos © Opéra Royal de Wallonie-Liège

Rudolf Hermes 24.12.2018