Lüttich: „Rigoletto“

Premiere: 03.03.2022

Wie aus dem Bilderbuch

Lieber Opernfreund-Freund,

seit gestern ist an der Opéra Royal de Wallonie-Liège in Lüttich die Rigoletto-Produktion von John Turturro zu sehen, die bereits 2018 am Teatro Massimo in Palermo Premiere hatte. Der Italo-Amerikaner setzt damit die Opernabende traditioneller Lesart in Lüttich fort und kann sich dabei auf eine exzellente Sängerriege stützen.

John Turturro wurde vor über 30 Jahren selbst in Cannes als bester Darsteller für die Titelrolle in Barton Fink ausgezeichnet, kommt also vom Film und das merkt man seinem Opernregie-Debut auch an. Nebelschwaden und diffuses Licht von Alessandro Carletti schaffen mystisch-geheimnisvolle Stimmungen in diesem Rigoletto, die traditionellen Kostüme samt turmhoher Perücken, die Marco Piemontese gestaltet hat, sind fürs Auge der Zuschauer gemacht; die Bühnenaufbauten von Francesco Frigeri mit der Außenfassade des herzoglichen Palazzos, die irgendwie schon bessere Zeiten gesehen hat, Gildas erhabenem Schlafgemach und der abgeranzten Kaschemme im letzten Akt sind die passende Kulisse für Turturros Erzählung der Geschichte. An einer psychologischen Deutung ist ihm nicht gelegen, vielmehr nimmt er den Zuschauer mit auf eine Reise in menschliche Abgründe und blättert so im Verlauf der Geschichte eine Seite nach der anderen um.

Ausdrucksvolle Bilder sind die Stärke dieser Produktion, Turturros Personenführung ist es nicht immer. So sind die eingestreuten Balletteusen zu zahlreich, als dass es auf der Bühne mit komplettem Chor und Solisten nicht bald zu eng würde, doch die Botschaft des Regisseurs kommt trotzdem an: den Verfall der Sitten, der Gesellschaft will er zeigen, der dem kurzen Moment der Lust alles opfert – zuerst den Prunk, zuletzt auch Gilda, die so unschuldige wie unglücklich verliebte Tochter Rigolettos.

Der aus der Mongolei stammende Amartuvshin Enkhbat ist ein Rigoletto wie aus dem Bilderbuch, vorlaut und frech zu Beginn und wahnhaft verfolgt, spätestens seit der Verfluchung durch Montero, rührt er im zweiten Akt zu Tränen, ehe er im letzten Bild stimmgewaltig den Rächer gibt und an seinem Rachedurst zerbricht. Das passende Gefühl hat Enkhbat immer parat, tobt und wütet stimmgewaltig, um im nächsten Augenblick in Mitleid erregendem Piano um seine Tochter zu bitten. Das ist große Kunst, stimmlich wie darstellerisch.

Enkeleda Kamani ist eine liebreizende Gilda mit feinsten Höhenpiani und lieblichem Timbre und verkörpert überzeugend den Schmerz der unglücklich Verliebten. Iván Ayón Rivas mag man optisch den schurkenhaften Herzog gar nicht abnehmen. Das Spiel des Peruaners besticht durch Nonchalance, der strahlende, in der Höhe bombensichere Tenor glänzt ein ums andere Mal, im Vergleich zu seinen Kollegen bleibt dabei allerdings das Gefühl ein wenig auf der Strecke.

Sarah Laulan ist eine anbetungswürdig verdorbene Maddalena mit verheißungsvoll lockendem Mezzo, Rubén Amoretti zeigt als ihr Bruder Sparafucile seinen mysteriös klingen Bass. Überhaupt sind auch die kleineren Rollen vom Monterone von Patrick Bolleire, der mit profundem Bariton angsteinflößende Flüche ausstößt, bis zum Pagen von Louise Herman, die der Männerhorde tapfer Paroli bietet, exzellent besetzt. Gesanglich rund macht den Abend der präzise singende, von Denis Segond betreute Chor. Im Graben zeigt Daniel Oren einen espritgeladenen Rigoletto, überrascht immer wieder mit spannenden Tempowechseln und legt viel Seele in sein Dirigat.

Am Ende dieses lohnenden Abends ist die Begeisterung des Publikums völlig verständlich, lange anhaltenden Applaus für alle Beteiligten gibt’s auch von mir – und eine Empfehlung für Sie.

Ihr
Jochen Rüth

04.03.2022

Fotos © ORW-Liège – J. Berger