Lüttich: „I Capuleti e i Montecchi“, Vincenzo Bellini

Lieber Opernfreund-Freund,

das Opernhaus in Liège erfreut Opernliebhaber immer wieder mit sehr klassisch angelegten Operninszenierungen. Dabei schafft man an der Opèra Royal de Wallonie-Liège oft das Kunststück, dass in traditionellem Gewand äußerst spannende Opernabende gelingen. Bei den seit Sonntag zu sehenden, vergleichsweise selten gespielten I Capuleti e i Montecchi von Vincenzo Bellini ist das leider nicht der Fall. Die Ideen des brasilianischen Regisseurs Allex Aguilera erschöpfen sich in ermüdendem Stehtheater und bescheren mir den langweiligsten Opernabend seit langem.

© ORW-Liège/J.Berge

I Capuleti e i Montecchi sind gewissermaßen eine der ersten Opernversionen von Romeo und Julia. Auch wenn Shakespeare’s weltberühmtes Liebesdrama zur Entstehungszeit der Oper in Italien nahezu unbekannt war, geht das Libretto von Bellinis Oper auf die gleiche Vorlage zurück wie Shakespeares Meisterwerk: La sfortunata morte di due infelicissimi amanti (Der tragische Tod zweier unglücklicher Liebender) von Matteo Bandello, einem italienischen Dichter des 16. Jahrhunderts. In seiner sechsten Oper, die 1830 uraufgeführt wurde, recycelte Bellini weite Teile seiner Zaira aus dem Jahr zuvor, die bei der Premiere durchgefallen war, und auch die bekannteste Arie aus I Capuleti e i Montecchi, O quante volte, ist keine Originalkomposition, sondern eine umgearbeitete Version von Dopo l‘oscuro nembo aus Bellinis Opernerstling Adelson e Salvini. Und doch überzeugt I Capuleti e Montecchi unsere Ohren durch Originalität und Melodienreichtum.

Dass Allex Aguilera daraus so wenig macht, ist beinahe schon tragisch. Er lässt die Handlung auf einer Insel spielen, hat dazu die Bühne des Lütticher Opernhauses zu einem Drittel geflutet und auf dem Rest eine trist wirkende, schiefe Spielfläche gebaut, auf der aber im Wesentlichen herumgestanden wird. Ein drehbarer Kubus, der dann und wann mit Videos von Arnaud Pottier angestrahlt oder dem Zuschauer als Julias Gemach zugewandt wird, ist das, was sich am Premierenabend am meisten bewegt.

© ORW-Liège/J.Berge

Augenscheinlich hat sich der Regisseur auch bewusst dazu entschieden, keine Requisiten zu verwenden – und damit auch dazu, keine Waffen auf der Bühne zu zeigen. So gerät die Duellszene zwischen Romeo und Tebaldo dann zur wortreichen Diskussion und Aguilera vergibt darüber hinaus auch die Chance, die Szene durch Kampf- und Massenszenen zu beleben, die er allesamt unsichtbar im Hintergrund ablaufen lässt. Übrig bleiben eine konzertante Aufführung in den wunderbaren, der Originalzeit entlehnten Kostüme von Françoise Raybaud und eine szenische Langeweile, die glücklicherweise der überzeugenden musikalischen Seite des Abends nichts anhaben kann.

Hier glänzen Rosa Feola und Raffaella Lupinacci als unglückliches Liebespaar. Rosa Feola zeigt als Giulietta hinreißende Höhenpiani voller Gefühl, während Raffalla Lupinacci als Romeo mit ihrem satten Mezzo die Zerrissenheit ihrer Figur glaubhaft auf die Bühne bringt. Die Duette der beiden Sängerinnen werden so zu den musikalischen Höhepunkten des Abends. Aber auch die Herren müssen sich nicht verstecken: Maxim Mironov stattet Romeos Widersacher Tebaldo mit höhensicherem Tenor voll metallischer Klangfarbe aus, Roberto Lorenzi formt Giuliettas Vater Capellio mit nobel klingendem Bass-Bariton, während Adolfo Corrado einem die Auftritte von Lorenzo als viel zu kurz erscheinen lässt, so klangschön und voll ist sein eindrucksvoller Bass.    

© ORW-Liège/J.Berge

Die Herren des von Denis Segond betreuten Chores sind bestens disponiert, während ein Experte fürs italienische Fach im Graben die Musikerinnen und Musiker zu Höchstleistungen anspornt: Maurizio Benini. Sein zupackendes Dirigat lässt bei allem Feuer genug Raum für die gefühlvollen Momente in Bellinis Partitur und macht so die musikalische Seite des Abends perfekt, auch wenn die Inszenierung so scheintot daherkommt, wie Giulietta im letzten Bild der Oper.

Ihr Jochen Rüth, 20. Mai 2024


I Capuleti e i Montecchi
Oper von Vincenzo Bellini

Opéra Royal de Wallonie-Liège, Lüttich

Premiere: 19. Mai 2024

Regie: Allex Aguilera
Musikalische Leitung: Maurizio Benini
Orchestre d’Opéra Royal de Wallonie-Liège

weitere Vorstellungen: 21., 23., 25. und 28. Mai