Lieber Opernfreund-Freund,
der Todestag von Giacomo Puccini jährt sich in diesem Jahr zum 100. Mal und die zahlreichen Aufführungen, die anlässlich dessen des Maestros aus Lucca gedenken, starten für mich in dem Land, in dem der weltberühmte Komponist am 29. November 1924 gestorben ist – in Belgien, wo Puccini in Brüssel wenige Tage nach einer Halsoperation wegen Kehlkopfkrebs verstarb. Die Opera Royal de Wallonie-Liège beginnt das Gedenkjahr mit Puccinis Anfängen und präsentiert am gestern zwei seiner Jugendwerke im Rahmen eines Konzertabends: die 1880 als Abschlussarbeit am Mailänder Konservatorium entstandene Messa di Gloria und seinen rund vier Jahre später komponierten Opernerstling Le Villi.
Die Messa di Gloria weist in Aufbau und Stil schon die Richtung, in die das Schaffen des seinerzeit 22jährigen Puccini einmal gehen wird, kommt sie doch vergleichsweise opernhaft daher, lässt den religiösen Pathos eines sakralen Werkes ebenso vermissen wie auch nur die geringste Spur von der besinnlichen Zurückhaltung. Nahezu jeder Satz endet hymnengleich und man kann sich leicht vorstellen, wie zu diesen Klängen der Tenor die Arme opernhaft nach oben reißen und vor ausladender Kulisse eine Opernarie beenden könnte. Dies führt dann auch zum einen oder anderen, bei hier freilich völlig unüblichen Zwischenapplaus, den Giampaolo Bisanti souverän übergeht. Der aus Mailand stammende Dirigent versucht erst gar nicht, der Puccini-Messe etwas Religiöses abzugewinnen, sondern präsentiert die beinahe feurige Musik engagiert und zupackend. Gerade in den ausufernden orchestralen Passagen der Villi wird er dann in der zweiten Hälfte des Abends die einzelnen Stimmen in bemerkenswerter Klarheit herausarbeiten, ohne dabei die klangliche Einheit zu verlieren. Damit meistert er eine anspruchsvolle Gratwanderung und gewinnt Puccinis erster Oper neue Facetten ab.
Puccinis Messa di Gloria ist auch eines der wenigen ausgesprochenen Chorwerke Puccinis. Zwar hat er in seinen Opern immer wieder ausufernde Chorszenen eingebaut, angefangen bei den gestern zu hörenden Le Villi über seinen ersten Welterfolg Manon Lescaut, dem Finale des 1. Akts in Tosca oder den Mondbesingungen und Kaiserhuldigungen in Turandot. Doch Hauptdarsteller dürfen die Choristen bei ihm selten sein. Denis Segond hat die Damen und Herren vorzüglich auf ihre wichtige Aufgabe am gestrigen Abend vorbereitet, die Stimmen fein austariert und sie so zum heimlichen Star des Abends gemacht.
Vor so viel Orchester- und Chorglanz treten die Solisten beinahe in den Hintergrund. Dabei strahlen ihre Stimmen doch herrlich: Matteo Lippi verfügt über einen jugendlich gefärbten Tenor mit heldenhaften Anklängen und ist somit die Idealbesetzung für den Haudegen Roberto, der den Verführungen der Großstadt verfällt und darüber seine Verlobte Anna vergisst. Mit einer Mischung aus tenoraler Wucht und samtenem Schmelz läuft er im zweiten Teil des Abends zu Höchstform auf, präsentiert zuvor den Tenorpart der Messa ebenso opernhaft mit strahlender Höhe und scheinbar mühelos. Der hoch gewachsene Bariton Claudio Sgura differenziert da schon ein wenig mehr: in der Oper gibt er den Ehrfurcht gebietenden Vater, der über den Tod seiner Tochter verzweifelt und Rache will, facettenreich und mit eindrucksvoller Kraft. In seinem kurzen Part in der Messa hatte er seinem klangschönen Bariton noch etwas zaghaft-besinnliches mitgegeben. Nur in der Oper tritt die Italienerin Maria Teresa Leva auf. Ihre Anna ist eine energische junge Frau, selbstbewusst und willensstark. Das zeigt die aus Reggio Calabria stammende Sängerin mit farbenreichem Sopran, beeindruckendem Atem und hinreißenden Piani und macht damit die eindrucksvolle Sängerriege komplett.
Wie schade, dass diese so selten zu erlebenden Werke nur ein einziges Mal gezeigt wurde, sonst hätte ich Sie, lieber Opernfreund-Freund, glatt nach Lüttich geschickt.
Ihr
Jochen Rüth
4. Februar 2024
Messa di Gloria
Le Villi (konzertant)
Giacomo Puccini
Lüttich, Opera Royal de Wallonie-Liège
Aufführung: 3. Februar 2024
Chorleitung: Denis Segond
Musikalische Leitung: Giampaolo Bisanti
Chorus und Orchestre d’Opéra Royal de Wallonie-Liège