Paris: „Don Giovanni“

am 21. März 2017

So findet das Werk wieder zurück zu seiner ursprünglichen „Jugend“

Zwei der schönsten Hofopern Europas, das romantische „Schlosstheater“ in Drottningholm und die prächtige „Opéra Royal“ in Versailles, organisieren zusammen einen Mozart/Da Ponte Zyklus, wobei das „ius primae noctis“ nach Stockholm geht, wo die weißen Sommernächte besonders schön sind. Im Winter wird in Versailles nachgespielt, mit gleichem Orchester und (fast) gleicher Besetzung, in einem ähnlichen Haus, das auch zu Mozarts Lebzeiten erbaut wurde. Wen mag es daher wundern, dass unter solchen Bedingungen wirklich hervorragende Vorstellungen entstehen.

Für den Mozart/Da Ponte Zyklus mit Marc Minkowski und seinen Musiciens du Louvre hat der Regisseur Ivan Alexandre ein Einheitsbühnenbild gewählt, das nichts mit dem seiner „Armide“ letzten Herbst in Wien zu tun hat. Im Gegensatz zu dem riesigen „kalten“ Stahlkasten und den modernen Kriegskostümen an der Staatsoper, entwarf der Ausstatter Antoine Fontaine eine kleine „warme“ Holzbühne und „alte“ historische Kostüme. Opernkenner erkennen sofort die Vorlage: die Wanderbühne von Giorgio Strehlers zeitlos schöner Inszenierung von „Arlecchino, Diener zweier Herren“, mit genau der gleichen Rampe und derselben Truhe davor. Diese romantische Wanderbühne passt wunderbar in die alten Schlosstheater und mit ihr können Alexandre und sein Team die Geschichte ohne viel Firlefanz erzählen. Alle Aufmerksamkeit gilt der Musik und der erfreulich jungen Besetzung. So findet das Werk wieder zu seiner ursprünglichen „Jugend“, denn bei der Uraufführung 1787 in Prag war Mozart 31 Jahre alt, Da Ponte 38 und ihr Don Giovanni gerade 21. Minkowski und Alexandre wählten die Prager Fassung mit der Begründung, dass Mozart dort „zum ersten und letzten Mal in seinem Leben genau das tun konnte, was er wollte“. Die Prager Fassung ist auch wesentlich kürzer als die Wiener Fassung aus 1788, die meistens gespielt wird. In unserer letzten Pariser „Don Giovanni“-Rezension gab es zwischen den in Wien zugefügten Arien „il mio tesoro“ von Don Ottavio und „mi tradi “ von Donna Elvira auch noch drei kleine Szenen mit Zerlina, Leporello, Masetto und zwei Bauern, die aus nicht geklärten Gründen in Wien nicht zur Aufführung kamen und danach aus der Partitur verschwanden. Diese wiedergefundenen Szenen sind sicher musikhistorisch interessant, jedoch szenisch oft etwas langwierig.

Nun verlief der Abend ohne jegliche Längen wie im Fluge und war ein volles Vergnügen für Aug und Ohr. Herausragend war das Dirigat von Marc Minkowski, der sich als hervorragender Mozart-Dirigent zeigte: feinfühlig, beschwingt aber doch nie oberflächig. Es ist das dritte Mal, dass wir ihn „Don Giovanni“ dirigieren hören, für unsere Ohren war es noch nie so gut: jugendlich und zugleich mit der nötigen Reife für dieses „dramma giocoso“. Als wir ihn anschließend darauf ansprachen, meinte er auch, dass er sich in diesem Werk noch nie so wohl gefühlt habe wie jetzt. Das lag auch an seinen Musiciens du Louvre: besondere Komplimente für den Konzertmeister Thibault Noally, Francesco Corti am Pianoforte und Florentino Calvo an der Mandoline, der sich mit vier anderen Musikern nicht davor scheute, aus dem Graben auf die Bühne zu klettern. Auch andere Musiker setzten sich während der Vorstellung um, damit zum Beispiel der Cello die Sängerin sehen kann, die er in dieser Szene begleitet. So entstand wirklich gemeinsames Musizieren, so wie wir es schon lange nicht mehr in einer Oper erlebt haben.

Jean-Sébastien Bou war ein eleganter Don Giovanni, so wie wir ihn schon oft gehört haben. Er hatte nur das Pech, neben einem absolut phänomenalen Leporello aufzutreten. Robert Gleadow hatte schon 2013 in der oben erwähnten Vorstellung den Don Giovanni von Markus Werba an die Wand gesungen und stellte diesmal die ganze Besetzung in seinen Schatten. Das lag an seiner betörenden Stimme – für Viele die schönste des Abends – und an seinem wahren „Bühnentier-Temperament“. Auch mit dem Rücken zum Publikum blieb er noch präsenter als alle seine Kollegen.

Der Regisseur nützte diese grenzen- und hemmungslose Spielfreude für eine Katalog-Szene, wie wir sie noch nie gesehen haben: anstatt in ein Buch hat Leporello diesmal die Namen der durch Don Giovanni verführten Frauen auf seine Haut geschrieben. Und da bei 1.800 Damen irgendwann Arme und Beine nicht mehr reichten, durfte sich Elvira auch noch seine gesamte mit Frauennamen vollgeschriebene Hinterseite ansehen. Das gab der oft etwas langen Szene eine unerwartete Erotik – so wie allen seinen folgenden Szenen mit Elvira, die er anscheinend mit viel Vergnügen verführte. Die andere große Sänger-Überraschung des Abends war Callum Thorpe als Masetto. Im Gegensatz zu dem, was heute üblich ist, folgten Minkowski und Alexandre dem, was Mozart bei der Uraufführung gewollt hat: Masetto und der Komtur wurden mit demselben Sänger besetzt. Das wertet die Rolle des Masetto ungemein auf. Von dem etwas dümmlichen Bauernjungen, den Zerlina ohne langes Zögern gerne gegen einen vornehmen Herren eintauschen will, wird ein echter Gegenpol zu Don Giovanni, dem er weder körperlich noch stimmlich unterlegen ist. Das gibt ihrer Konfrontation eine ganz andere Dimension! Natürlich hat ein solcher Bass-Bariton in der Schlussszene ein etwas kleineres Stimmvolumen als „commendatore“ – doch in so einem kleinen Saal (wie übrigens auch bei der Uraufführung) hat das niemand gehört/gestört.

Der Rest der Besetzung war überaus homogen, eben ein aufeinander eingespieltes Ensemble, wo die meisten den gesamten Da Ponte-Zyklus zusammen singen. Ana Maria Labin war dieses Mal Donna Anna, Marie-Adeline Henry Donna Elvira, Chiara Skerath Zerlina, und Fabio Trümpy Don Ottavio. Nächsten Sommer werden sie in Drottningholm in „Cosi fan tutte“ auftreten. Wir sind schon gespannt!

Fotos (c) Mats Bäcker / Drottningholms Slottsteater

Waldemar Kamer (Paris) 25.3.2017

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