Chemnitz: „Der Teufel auf Erden“

Besuchte Premiere am 27.04.19

„Work in progress“

Nicht nur der große Jaques Offenbach hat zweihundertstes Geburtstagsjubiläum, sondern ebenfalls der Begründer der Wiener Operette: Franz von Suppè (1819-1895). Sein „Boccaccio“ gehörte einst zum eisernen Operettenrepertoire, wird heute leider nur sehr selten aufgeführt, dabei findet sich hier musikalische Spielopernqualität auf ein reizvolles Libretto nach Boccaccios „Dekamerone“. Um so spannender die Zusammenarbeit des Theater Chemnitz mit der Volksoper Wien mit „Der Teufel auf Erden“, der aus dem zeitlichen Umfeld von Suppès großen Erfolgen stammt. Die Handlung ist sehr revueartig: dem aus seiner Heimat entwichenen Höllenfürsten Satan wird ein kleiner Höllenknecht Ruprecht hinterhergeschickt, der ihn auf der Erde aufspüren soll, wo er sich, in menschlicher Gestalt verborgen, hinbewegt hat. In der ersten Station begegnet dem naiven Teufel ein ebenso naiver Engel, Rupert, der sich als ungewollter Helfer bei den Abenteuern an die Fersen heftet.

Im Kloster des siebzehnten Jahrhunderts findet sich in der Hauptverdächtigen, Äbtissin Aglaia, lediglich Satans Tochter. Im neunzehnten Jahrhundert in einer Kaserne können sie dann den Leibhaftigen leibhaftig aufspüren, doch er entkommt ihnen. Stets begegnen ihnen dabei natürlich zwei „Liebespaare“ in verschiedenen Ausführungen. Im dritten Akt kommt dann die Neubearbeitung von Alexander Kuchinka zum tragen, wir befinden uns um unserer Zeit in einer Tanzschule bei den Vorbereitungen zum Opernball, der sowohl in Chemnitz, wie natürlich erst recht in Wien, ein gesellschaftliches Ereignis bedeutet. „Coole“, gelangweilte Handy-Benutzer und hysterische Event-Typen halten unserer Gesellschaft einen Spiegel vor, der Teufel hat sich in unserem Leben eingenistet, ohne das wir ihn immer spüren. Eigentlich eine reizvolle Idee, schöner wäre es elegant satirischer ohne den großen, erhobenen Zeigefinger.

Suppès Musik ist dabei gut gemachte Gebrauchsmusik ihrer Zeit, einzelne Nummern stechen qualitativ heraus, doch versteht man hinterher, warum die großen Erfolge von Suppè eben „Die schöne Galathee“, „Boccaccio“ oder auch „Fatinitza“ hießen. Es ist jedenfalls kein unbekanntes Meisterwerk, doch immer wieder reizvoll etwas unbekanntes erleben zu dürfen, wie wollte man es sonst auch beurteilen, also muss man sich bei den Verantwortlichen für die Möglichkeit bedanken.

Beide Häuser haben anscheinend einen ordentlichen Ausstattungsetat für die Produktion locker gemacht, wie es sich für ein „Schaustück“ auch gehört. Engagiert wurde mit Hinrich Horstkotte in Personalunion als Regisseur und Ausstatter jemand , der so etwas auch kann, der Schauwert ist sehr opulent mit richtig schönen, gemalten Hängekulissen, was sich heutzutage ja fast niemand mehr traut. Das Höllenbild erinnert in roter Phantasie an tschechische Märchenfilme, das Kloster zitiert historische Bühnenbilder von Meyerbeers „Robert der Teufel“, was der nüchterneren Szene der Kaserne und der Tanzschule entspricht wird jeweils durch die Kostüme und Aktion wieder aufgefangen, grandios das Finale mit dem „teuflischen“ Opernball.

Auch die Regie kommt inspiriert und munter daher, doch meines Erachtens fehlen noch zwei Wochen Probenzeit, denn die so wichtigen Tempi stimmen noch nicht, die etwas langschweifigen Sprechtexte bedürfen noch einer Ausdünnung und Straffung. Das ist meinerseits Mosern auf hohem Niveau, denn wer sich im Theater auskennt, sieht wieviel Feinarbeit schon im Vorhandenen steckt, doch gerade das Komische benötigt einen ungeheuren Schliff. Horstkotte kann das, was ich schon in anderen Produktionen von ihm erlebt habe.

Auch musikalisch erleben wir in der Premiere noch einigen Unsicherheiten zwischen Graben und Bühne. Jakob Brenner macht am Pult der Robert-Schumann-Philharmonie, die wirklich inspiriert aufspielt, gute Figur und entfacht das italienische Feuer von Suppès Ideen, wie er auch den gemütvollen Wiener Schmäh der Operette herauskitzelt, doch zwischen ihm und den Sängen entstehen immer wieder Unsicherheiten, die noch zu Wacklern führen. Das Ensemble setzt sich, völlig richtig, aus Sängern und singenden Schauspielern zusammen. Gesanglich gefällt das Quartett der Liebespaare, wie in „Cosi fan tutte“ mit Tenor, Sopran, Bariton und Mezzosopran besetzt. Reto Rosin schmeißt sich mit furioser Tenorpose in die irrwitzigen Aufgaben mit leichten Höhengrenzen, Franziska Krötenheerdt ist eine filigrane Edelsoubrette voll Beweglichkeit, Andreas Beinhauer gefällt mit leuchtendem Liebhaberbariton und Sylvia Rena Ziegler mit glutvollem Mezzo, alle szenisch prima, die Damen vielleicht noch etwas „primaer“.

Die beiden Hauptrollen jedoch sind Teufel und Engel, entsprungen aus dem Wiener Volkstheater, gerade Alexander Kuchinka (Textfassung) fehlt es noch am rechten Timing, obwohl der Knecht Ruprecht ein sauberes Teufelchen ist, ein reines Entzücken der Engel Rupert in seiner grundgütigen Naivität von Matthias Winter. Eine höllische Abtissin Aglaia mit profunder Präsenz findet sich in Dagmar Schellenberger. Gerhard Ernst vollbringt in drei verschiedenen Partien ein kleines Wandlungswunder und schafft durch superbe Bühnenausstrahlung seine leichten stimmlichen Anstrengungen vergessen zu lassen. Auch Matthias Otte erweist sich in zwei Rollen als enorm wandlungsfähig. Dazu gibt es eine hübsche Choreographie von Sabrina Sadowska mit Balletteleven und Tänzer/innen. Selbst der Intendant hat in den Reihen der Kleindarsteller seinen Auftritt, die Chöre zeigen sich musikalisch wie szenisch von temperamentvoll engagierter Seite.

Das Premierenpublikum zeigte sich uneingeschränkt begeistert von der Welt des opulenten , bunten Operettenzaubers. Meines Erachtens hätte es noch zwei Probenwochen mehr gebraucht, damit aus dem Schuh ein richtig guter Schuh wird. Bis zur Premiere an der Wiener Volksoper ist ja noch etwas Zeit. Für die Liebhaber der raren Operette sei die Aufführung trotzdem ein Muss, wer weiß, wann wir dieses Stück je wieder erleben dürfen.

Martin Freitag 2.5.2019

Fotos (c) Nasser Hashemi