Zürich: „Il trovatore“

Vorstellung am 24.10.2021

"Die Hölle liess, mir zum Unheil, ihre Beute wieder frei (A danno mio rinunzia le prede sue l’inferno!)", singt Graf Luna im Finale des zweiten Teils von Verdis IL TROVATORE. Ja, die Ereignisse im TROVATORE sind wahrlich die Hölle auf Erden für die vier Protagonisten der Oper – und diese Hölle wird bildgewaltig auf die Bühne des Opernhauses Zürich gebracht. Die Flammen und die Ausgeburten der Hölle reissen uns mit soghafter Kraft mit in den Abyss.

In der Ausstattung von Annemarie Woods lässt die Regisseurin Adele Thomas den teuflischen Bilderreigen auf die Zuschauer los. Das beginnt schon mit dem Zwischenvorhang, der eine ziemlich genaue Replika des Filmplakats von Roger Cormans B-Horror Movie AUSGEBURT DER HÖLLE (THE BEAST WITH A MILLION EYES) zeigt. Das Biest öffnet seinen Rachen nach unten und oben und zieht uns in die acht Tableaux rein, auf welche Verdi und seine Librettisten die aus dem Spanien des Mittelalters entnommene Handlung verteilt haben. Diese blockartige Anlage haben Bühnengestalterin und Regisseurin in einen Bilderrahmen gesetzt, auf dem die Inschrift "Mi vendica" prangt. Der Bilderrahmen ist dreifach auf der Bühne zu sehen und verleiht dieser so eine optische Tiefe. Die Spielfläche besteht aus einer gigantischen Treppe, der eine kleine Rampe hinunter zum Souffleurkasten vorgelagert ist. Auf dieser Treppe nun entwickeln sich die horrenden Tableaux. Dies kommt der sprunghaften Anlage der Oper sehr entgegen, sind so doch keine verzögernden Bühnenumbauten nötig. Der Zug ins Groteske des medivialen Ambientes bekommt etwas Comicartiges durch die fantasievollen Kostüme von Annemarie Woods. Unterstützt wird die gewaltige Kraft der Bilder durch fünf diabolische Tänzer, die mit ihrer dämonischen Akrobatik und ihrer grandiosen teuflischen Geschmeidigkeit die Personenarrangements auf der Treppe unheimlich stringent aufmischen (Manuel von Arx, Martin Durrmann, Steven Forster, Francesco Guglielmino und Tomasz Robak).

Diabolisch ist auch die Figur des Ferrando angelegt, der zu Beginn der Oper die fürchterliche Vorgeschichte erzählt und seine Soldaten in Angst und Schrecken versetzt. Dieser Ferrando scheint eine geradezu teuflische Freude an der grausamen Ausschmückung seines Vortrags zu haben, nicht umsonst hat ihn das Regieteam mit "Teufelstritt" Schuhwerk ausgestattet. Robert Pomakov singt diese wunderbare Basspartie mit profundem, agilem Bass und spürbar diabolischer Freude. Herrlich!

Enrico Caruso soll einmal gesagt haben, man brauche bloss die vier besten Sänger der Welt, um den TROVATORE zu besetzen. Nun, diesem Anspruch ist das Opernhaus Zürich mit der Premierenbesetzung nahe, sehr nahe gekommen – näher geht wohl kaum. Und dies gleich mit zwei Rollendebüts, denn sowohl Marina Rebeka als auch der Zürich seit so langer Zeit verbundene Startenor Piotr Beczala singen in Zürich die Leonora, respektive den Manrico zum ersten Mal. Marina Rebeka nimmt bereits mit ihrer Auftrittskavatine Tacea la notte placida für sich ein. Das warme Timbre, die organische entwickelten Crescendi, die leicht und sauber hingetupften Staccati berühren und begeistern. Wunderbar gestaltet sie auch die Klosterszene, mit dem stockenden Atem beim überraschenden Auftauchen des totgeglaubten Manrico. Mit der fantastisch vorgetragenen Arie D’amor sull’ali rosee steigt sie definitiv in den Spinto-Himmel auf, in einer von Verdis genialsten Szenen in diesem Werk mit dem Raumklang des Miserere des Chors aus dem Off, der Klage Manricos aus dem Kerker (ebenfalls im Off). Die nachfolgende Kabaletta mag kompositorisch nicht mehr das Niveau der vorangehenden Szene erreichen, "geil" anzuhören ist sie allemal, denn Marina Rebeka füllt sie mit agilen, rasenden Skalenläufen und glitzernden Trillern. Ihr Verehrer Piotr Beczala singt den Manrico mit stupender Sicherheit und exquisiter tenoraler Klangpracht. Voll mitreissender Kraft stürzt er sich in die Bravour-Stretta Di quella pira, wagt sich auch mutig an die (von Verdi nicht notierten hohen Cs). Auf die (notierte) Wiederholung der Arie verzichtet er allerdings. Verständlicherweise, ich habe noch keine Aufführung erlebt, bei der dies gemacht wurde. Eine ganz kleine Unsicherheit wegen der im Piano nicht gerade selbstverständlich ansprechenden Stimme in der vorangehenden Arie Ah! si, ben mio, coll’essere meistert er souverän mit etwas mehr Druck auf die Stimme. Zu berührenden und zärtlichen Töne findet Beczala für seine geistesverwirrte Ziehmutter Azucena im Finaltableau. Azucena war die erste tragende Rolle für eine Mezzosopranistin in einer Verdi-Oper (Eboli und Amneris sollten noch folgen).

Agnieszka Rehlis füllt die Rolle mit einer atemberaubenden Fulminanz aus, eine Frau, die von unstillbarer Rache getrieben ist, ihr Geist ist verwirrt – ihre Liebe zum Sohn bricht immer wieder durch, obwohl es nicht ihr eigener ist, denn diesen hatte sie aus Versehen ins Feuer geworfen. Lodernd und mit herrlich voluminöser Tiefe und kraftvoller Höhe bricht ihre fantastische Stimme aus der Mitte des Zombie-Gewürms des Chors mit der Kanzone Stride la vampa heraus. Mit packender Dramatik gestaltet sie die Szene ihrer Gefangennahme im fünften Bild (Soldatenlager) und mit sanfter, zu Tränen rührender Stimme gleitet sie mit dem Arioso Ai nostri monti … ritorneremo in die Welt zwischen Wachen und Schlafen. Hoffentlich darf man diese fantastische Sängerin bald wieder in Zürich erleben. Quinn Kelsey – last but by far not least – ist der vierte Protagonist im Bunde. Vom Libretto her ist er zwar nicht gerade als Sympathieträger angelegt, doch Verdi hat ihm eine seiner wunderbar elegischen Arien für Bariton gewidmet: Il balen del suo sorriso. Quinn Kelsey schenkt sie uns mit seinem noblen Timbre, wunderschöner Phrasierung und herrlich tragendem Piano. Kelsey gelingt es, den Grafen, der von allen zum Narrengehalten wird (das deutet auch sein lächerliches, rosafarben närrisches Outfit an) genau zu charakterisieren und seinen zunehmenden Zorn und die Brutalität zu transportieren.

Bozena Bujnicka (zur Zeit Mitglied im IOS) lässt als Leonoras Vertraute Ines aufhorchen: Welch wunderbare Stimme. Omer Kobiljak singt mit schön gefärbtem Tenor die warnenden Phrasen des Ruiz.

Der Chor der Oper Zürich (Einstudierung: Janko Kastelic) erhält in diesem Werk Verdis vielerlei Gelegenheit, sein grossartiges Können unter Beweis zu stellen. Begünstigt durch die Bühnenarchitektur mal klanggewaltig als Zigeuner – (Zombie) oder Soldatenchor, mal wunderschön intonierend aus dem Off (Miserere, Nonnenchor).

Und dann ist da natürlich noch der neue Mann an der Spitze der Philharmonia Zürich, Maestro Gianandrea Noseda mit seiner ersten Premiere als GMD des Opernhauses Zürich. Er sorgt mit der herausragend präsent aufspielenden Philharmonia Zürich für ein wuchtiges, mitreissendes Klangerlebnis. Feine Schattierungen und Sforzati wie Blitzeinschläge geben den acht Bildern wirkungsvolle und stimmige Untermalung und zeigen, wie klug und effektvoll Verdi in seiner mittleren Schaffensperiode die Orchesterfarben und Rhythmen zu disponieren verstanden hatte. Die Oper endet in einem wahren Höllentanz, die Ausgeburten feiern ihren Sieg und Ferrando sitzt mitten im sich schliessenden Rachen des diabolischen Biests – und lacht sich eins. Gruselig – und so wunderbar passend! Ich denke mal, dem Shakespeareverehrer Verdi hätte der bissige Humor inmitten Tragik auch gefallen!

Fazit: Sicher möchte man nicht jede Verdi Oper als Bilderbuch-Fantasy-Comic erleben – doch für den TROVATORE war diese Inszenierung schlicht ein Geniestreich. Über die musikalische Seite muss man keine Worte mehr verlieren, das geht kaum besser. Hingehen und sich vom gruseligen Strudel erfassen lassen.

Kaspar Sannemann, 26.10.2021


Bilder von Monika Rittershaus