Zürich: „Maria Stuarda“

Vorstellung am 08.04.2018

Im Dauerforte lärmend

Nach drei Bellini-Premieren folgte gestern Abend am Opernhaus Zürich nun mit Donizettis MARIA STUARDA erstmals in der Intendanz Homoki eine Premiere von Bellinis Rivalen um die Vorherrschaft im Bereich des Belcanto. Um es gleich vorwegzunehmen: Diese Neuproduktion zeigte im musikalischen Verlauf unter der Leitung von Enrique Mazzola nur eine Richtung auf, nämlich den Weg ins noch Lautere, noch Schnellere, noch Grellere, schien über weite Strecken Expressivität mit plakativer Lautstärke zu verwechseln. Die zarten Zwischentöne vermisste man schmerzlich, die Intensität des Ausdrucks musste einem quasi Dauerforte weichen, alles Massvolle wurde über Bord geworfen. Mag sein, dass die Story um die beiden um den englischen Thron rivalisierenden Königinnen diese Exaltiertheit hergibt – hysterisch rasende Weiber am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Die Musik und der Stil Donizettis sprechen meines Erachtens eine andere, eine differenziertere Sprache. Schuld tragen sicher nicht die beiden Sängerinnen Diana Damrau (Maria Stuarda) und Serena Farnocchia (Elisabeth Tudor), sie wurden vom Dirigenten regelrecht an (unschöne) Grenzen ihrer stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten getrieben, so dass sie jeglicher Möglichkeiten für das messa di voce beraubt wurden, ihnen die Zeit für kostbare, geschmackvolle Ausschmückungen fehlte, die klanglichen Variationsmöglichkeiten nur selten aufblitzten konnten. Die beiden Königinnen wurden in dieser Aufführung mit Sopranistinnen besetzt, was dem Duell auf der Bühne natürlich einen zusätzlichen Reiz verlieh, einen Kampf zweier Primadonnen. Serena Farnocchia gestaltete die Elisabeth (die unsympathischere Figur in Schillers/Donizettis Verarbeitung des historischen Stoffes) mit satter, voller Stimme, einem leichten, durchaus passenden Hang ins Ordinäre, manchmal Keifende und Rasende (sie wird ja auch von Maria als vil bastarda – schändlicher Bastard bezeichnet). Darstellerisch war ihre Elisabeth restlos überzeugend, ihre unzähmbare Eifersucht, ihren Hochmut auf und gegenüber der Stuart grandios ausspielend, um dann im Finale I umso gebrochener dazustehen. Diana Damrau begann ihr Rollendebüt vielversprechend mit schönen, schwebenden Piani und luftigen Koloraturen in der Cavatina auf der Magerwiesen-Insel, die in den Marmorsaal geschoben wurde. Doch schon bald wurde sie zu arg die Stimmbänder strapazierenden Forte-Ausbrüchen gedrängt, Tönen, die stellenweise durch Mark und Bein gingen, deren Intonation auch eher leicht gefährdet war. Den gleichen Eindruck hatte man bei ihrer Beichte im zweiten Akt: Sehr schöner Beginn, dann folgten dynamische Unausgeglichenheiten, zu viel Druck auf der Stimme. Erstaunlich, dass sie dann trotzdem immer wieder zu solch feinen, zarten Tönen zurückfand.

Es wird spannend sein, ihre Interpretation unter einem anderen Dirigenten zu erleben (z.B. konzertant an der Deutschen Oper Berlin im Mai). Wie erfüllend müsste es doch sein, die schönste Stelle der Oper (Marias Preghiera Deh! Tu di un’umile preghierai suono) von Diana Damrau in einem angemessenen Tempo und mit abgestufter Dynamik erleben zu dürfen. Gestern Abend klang diese Stelle überhaupt nicht nach demütigem Gebet und Bitte um Vergebung, sondern eher nach aufrührerischer Anklage eines marxistischen Mobs, der vorher anscheinend die Altkleidersäcke geplündert hatte. Der Chor der Oper Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) wiederholte die traumhaft schöne Eingebung Donizettis mit vehementem und lautstark polterndem Gesang. Einen etwas einfacheren Stand in diesem Gefüge hatten die um die beiden Königinnen kreisenden Männer. Nicolas Testé (der Ehemann von Diana Damrau) gestaltete mit seinem herrlich strömenden Bass einen ganz wunderbar für sich einnehmenden Talbot, Andrzej Filonczyk verlieh dem Einflüsterer Elisabeths, Lord Cecil, markantes Profil. Zwischen den beiden Damen stand mit Pavol Bresliks Graf von Leicester ein überaus attraktiver Mann, und so war es natürlich glaubwürdig, dass die beiden Königinnen um ihn kämpften. Pavol Breslik war in der letzten Probenwoche von einer starken Erkältung geplagt gewesen und liess sich deshalb zu Beginn der Premiere ansagen. Er stand die Partie jedoch gut durch, überzeugte mit stimmlicher Ausgeglichenheit und an den gebotenen Stellen mit jugendlich-frischer Emphase (z.B. in der Lobpreisung Marias). Hamida Kristoffersen liess in der kleinen Rolle von Marias Vertrauter Anna Kennedy einmal mehr ihr interessantes stimmliches Timbre aufscheinen, man möchte der Sängerin wünschen, dass ihr auf der Zürcher Bühne bald mal spannendere Rollen zugeteilt werden. In der zentralen Stelle der Oper, der Begegnung der beiden Rivalinnen in Fortheringay, wurde dann allerdings doch noch ein vokaler Höhepunkt erreicht, das Sextett war von grösstmöglicher Intensität geprägt, bevor dann wieder atemlos zum Finale gehetzt wurde.

David Alden hat die Geschichte in seiner Inszenierung nicht historisch fixiert, davon zeugten nur schon die Kostüme (Gideon Davey), ein wilder Mix aus verschiedenen Epochen. Überzeugend gestaltet war die Farbdramaturgie in den Kostümen der beiden Protagonistinnen, Elisabeth zu Beginn in Schwarz, beim Aufeinandertreffen mit Maria dann in flammendem Rot, nach der Pause im schlichten weissen Unterkleid. Marias Kostüm war im erstem Akt ganz in senfgelben Tönen gehalten, zur Beichte erschien sie in schlichtem, hochgeschlossenem Grau, zur Hinrichtung trat sie in streng-katholisch schwarzem Kleid auf, das sie auf dem Richtblock fallen liess, um in flammendem Rot den Beilschlag des Henkers zu erwarten. Die ganze Handlung spielte sich ein einem Einheitsbühnenbild (ebenfalls von Gideon Davey entworfen), einem kalten, halbrunden Raum mit schmucklosen Marmorwänden, ab. Zur Veranschaulichung der Schauplätze dienten einige Versatzstücke, so die erwähnte Magerwiesen-Insel, die heutzutage unvermeidliche Uhr an der Wand im zweiten Akt, eine riesige Pferdestatue, die liegend als Platz für Elisabeths goldenen Thron diente und stehend effektvoll für ihren Auftritt in Fortheringay genutzt wurde, wo sie denn bald vom hohen Ross heruntersteigen musste. Diesen Auftritt begleiteten die Hofdamen allesamt mit Geweihen auf dem Kopf (auch Elisabeth trug eins), Symbol für die Damen als Freiwild oder sind sie gehörnte Opfer männlicher Ranküne und Untreue?

Nach der Pause drehte die Inszenierung zusehends ins Albtraumhafte. Lord Cecil, der schon im ersten Akt ständig als bleicher, Beil schwingender Rächer über die Bühne huschte, wurde immer stärker zur Horrorgestalt, ein unerbittlich Besessener im Stil eines Orest oder einer Elektra. Nachdem Elisabeth das Todesurteil für Maria aus den Fingern des Skeletts entrissen hatte, das sich im Finale I so furchterregend anstelle des Kronleuchters aus der Decke gesenkt hatte, begann Cecil aus dem Mund und den aufgeschnittenen Pulsadern zu bluten, und mit diesem Blut unterzeichnete Elisabeth das Todesurteil. Eine Erscheinung von skelettierten Königen (Macbeth lässt grüssen) hatte ihr zuvor quasi die Absolution für den Königinnenmord erteilt. Die Inszenierung schwankte also zwischen Realismus und Albtraum. Die hochdramatische Begegnung der beiden Königinnen auf der Wiesen-Insel geriet zu einem durchaus handfesten Kampf der beiden Frauen, der von den Machern des Denver-Clans hätte stammen können. Fehlte nur noch, dass Elisabeth und Maria im Seerosenteich landeten, wie weiland Krystle Carrington und Alexis Colby. Ganz stark war der Beginn der Oper inszeniert, zum kurzen Vorspiel kreisten die beiden Königinnen um die Krone Englands, die auf einem Stuhl in der Bühnenmitte platziert war, bedachten einander mit lauernden, vernichtenden Blicken. David Alden muss man zugute halten, dass er nie gegen den Text inszenierte, vieles war sehr gelungen umgesetzt, so der Auftritt Leicesters als Degenfechter, mit der in den Kampf involvierten Elisabeth, die sich nicht durch Männer bedrohen liess, ihnen mit Verve entgegentrat.

Dem Publikum hat die auf oberflächliche (Schauer-)Effekte abzielende szenische und musikalische Interpretation offensichtlich gefallen, der Beifall war (gerade für Zürcher Premieren-Verhältnisse) enorm. Vielleicht lässt sich der ständige Dauerforte-Hochdruck in den Folgevorstellungen noch etwas dämpfen, dann liessen sich die wahren Kostbarkeiten von Donizettis Partitur leichter entdecken.

Kaspar Sannemann 10.4.2018

Copyright: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich