Zürich: „Tristan und Isolde“

Vorstellung am 29.06.2022

Richard Wagner

DIE PHILHARMONIA ZÜRICH UND DER GMD

Das Fundament, auf dem eine fesselnde Aufführung einer Wagner-Oper steht (insbesondere des TRISTAN, ist zweifelsohne das Orchester. Gestern Abend hatte die Philharmonia Zürich unter der Leitung des GMD Gianandrea Noseda einen grossen, ja überwältigenden Abend. Die musikalische Keimzelle von TRISTAN UND ISOLDE stellt das Vorspiel zum ersten Aufzug dar, mit dem berühmten „Tristan-Akkord“, diesem unaufgelösten Aufeinanderprallen des Leidens- und des Sehnsuchtsmotivs. Unter der Stabführung von Gianandrea Noseda war dieses Vorspiel (oder diese „Einleitung“, wie Wagner es nannte) von exemplarischer Klarheit geprägt, die Philharmonia Zürich intonierte mit einer hoschklassigen Transparenz und blitzsauberer Intonation an allen Pulten. Die Generalpausen zu Beginn waren dermassen spannungsgeladen, dass man es kaum aushielt. Das fieberhafte Crescendo, dass diese Einleitung durchzieht, stimmte hervorragend auf das Hauptthema von Wagners „Handlung“ ein: Schmerz, Begehren, Liebeslust und Leid. Noseda und die Philharmonia Zürich setzten uns einem sehrenden, soghaften Rausch aus, einem Strudel, aus dem es kein Entrinnen gab. Fantastisch! Das Vorspiel II brachte die Ungelduld des Wartens, die Vorfreude des Begehrens hervorragend zur Geltung, mit manchmal schon beinahe sarkastischen Akzenten. Wunderbar intonierten die Bläser die verklingende Jagdgesellschaft. In der Einleitung zum dritten Akt evozierten Noseda und das Orchester die schwere Düsternis des Wartens und und der Hoffnungslosigkeit mit kammermusikalischer Durchhörbarkeit. Den Sängern war Noseda eine ausgezeichnete Stütze, da er die mögliche Dynamik zwar voll auskostete (starke Stimmen machten das problemlos möglich), aber die Ausführenden auf der Bühne nie zudeckte. somit kam es in keinem Augenblick zu unschönem (stimmschädigendem) Forcieren.

DIE ROLLENDEBÜTANTIN UND IHR TRISTAN

Die sächsische und Wiener Kammersängerin Camilla Nylund hat bereits viele Wagner- und Straussrollen in ihrem Repertoire. Nun wendet sie sich langsam und klug den hochdramatischen Partien der Isolde und der Brünnhilde zu. An den Bayreuther Festspielen begeisterte sie bereits als Elsa (Lohengrin), Elisabeth (Tannhäuser), Sieglinde (Walküre) und Eva (Meistersinger). Auch die Senta (Holländer) gehört zu ihrem Repertoire. In den kommenden beiden Spielzeiten wird sie in Zürich als Brünnhilde in WALKÜRE, SIEGFRIED und GÖTTERDÄMMERUNG debütieren. Am vergangenen Sonntag sang sie hier im Opernhaus erstmals die Isolde, gestern nun die zweite Vorstellung. Frau Nylund eroberte das Haus im Sturm. Ausgehend von ihrer sicheren Mittellage erreichte sie mühelos und rein leuchtend die hohen Hs und Cs. Ihre Diktion war von herausragender Deutlichkeit geprägt (die wenigen textlichen Abweichungen sieht man ihr angesichts von Wagners verschwurbelten Textfluten gerne nach; wenn nicht Übertitel da wären, hätte man sie kaum bemerkt). Wenn eine Sängerin mit meiner Lieblingsphrase der Isolde ( … dass hell sie dorten leuchte, 2. Aufzug) meine Nackenhaare aufzurichten vermag, hat sie schon gewonnen. Camilla Nylund verfügte über diese Leuchtkraft. Wunderbar berührend intonierte sie ihren Schlussmonolog Mild und leise, wie er lächelt, entrückt, aber doch sich im herrlichen Crescendo zum Gänsehautmoment aufschwingend. Brava!

Für das ekstatisch ausladende (und zu Beginn auch arg geschwätzige …) Liebesduett im zweiten Aufzug hatte Camilla Nylund einen stimmlich gleichwertigen, exzellenten Partner: Michael Weinius. Der schwedische Tenor, der zu Beginn seiner Karriere noch als Bariton sang, unterdessen aber längst als Heldentenor Triumphe feiert (man lese meine Begeisterung über seinen Siegfried im Genfer RING 2019!) verfügt über eine Stimme, die anscheinend ohne jegliche Kraftanstrengung mit bestechender Sicherheit strömt. Nach dem anstrengenden zweiten Akt hat Tristan ja im dritten Akt noch seine gewaltigen Ausbrüche in den ausladenden Fieberfantasien zu bewältigen. Für Weinius kein Problem, das lodert und glüht nur so vor lang und sicher gehaltenen Tönen und durch Mark und Bein gehenden Phrasen. Eine Intensität der Erregung sondergleichen, die ihm kaum einer nachmacht.

BEKANNTE UND NEUE STIMMEN

Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Sängerin und ein Sänger 14 Jahre nach der Premiere dieser Produktion erneut für ihre Partien zur Verfügung stehen. Mit der grossartigen Michelle Breedt als Brangäne und dem überragenden Martin Gantner als Kurwenal ist dies bei dieser Wiederaufnahme 2022 der Fall. Michelle Breedt (in dieser Inszenierung als alter ego Isoldes agierend) sang eine Brangäne von reifer Kraft, präzise und bestechend in den Auseinandersetzungen mit Isolde und Kurwenal und Tristan im ersten und eindringlich das Liebesduett bereichernd mit ihrem Einsam wachend im zweiten Aufzug. Martin Gantner ist wohl DER Kurwenal unserer Tage. Stimmlich besser und darstellerisch eindringlicher interpretiert kann man sich die Rolle kaum vorstellen. Am Ende der Oper nähern sich Brangäne und König Marke zögerlich an, die Hände berühren sich, bevor das Licht erlischt. König Marke wurde mit kraftvollen, profunden, beinahe orgelnden Tönen von Franz Josef Selig interpretiert, der mit seinem Mir dies?Dies, Tristan, mir? bewegenden Eindruck machte. Einen markanten Auftritt als „falscher“ Freund Tristans hatte Todd Boyce als Melot im zweiten und kurz im dritten Akt. Gerne würde man den Bariton öfter in Zürich erleben dürfen. Thomas Erlank liess seinen schön timbrierten, sicher geführten Tenor aus dem Off als Seemann erklingen und machte im dritten Akt als Hirt eine gute Figur. Aber warum klaute er dem sterbenden Tristan das Taschentuch aus der Brusttasche? War der „Penner“ auf Devotionalien aus? Andrew Moore war der Steuermann (leider hat ihm Wagner nur einen ultrakurzen Einwurf komponiert) und der Männerchor der Oper Zürich hiess am Ende des ersten Aufzugs König Marke stimmgewaltig willkommen.

DIE INSZENIERUNG

In meinen Rezensionen von 2008 und 2010 lobte ich die Inszenierung von Claus Guth in der Ausstattung von Christian Schmidt in den höchsten Tönen. Vor allem der dritte Aufzug mit dem vollkommen abgetörnten, im Alkoho Zuflucht suchenden und mit Zwangshandlungen seine Depressivität ausdrückenden Kurwenal hat immer noch was für sich. Auch die Lichtgestaltung durch Jürgen Hoffmann führt nach wie vor zu bezwingenden, genialen Effekten. Allerdings sind auch szenische Einfälle zu sehen, die eher ungeschickt wirken. Die Liebesszene im zweiten Aufzug auf dem langen Tisch ist nicht nur für die beiden Protagonisten optisch unvorteilhaft, sie wirkt „clumsy“ (das englische Wort umschreibt den Eindruck am besten). Es ist schön, dass sich diese Arbeit so lange im Repertoire halten konnte, da anzunehmen ist, dass dies die letzte Wiederaufnahme gewesen sein wird. Das ist dann auch gut so. Was damals noch Begeisterung auslöste, die Verlagerung der Handlung nach innen, in Seelenräume und ins Treibhaus (der Villa Wesendonck), hatte ihre Meriten. Unterdessen aber haben wir im Übermass ausweglose, sich permanent drehende Räume gesehen (wie gerade kürzlich im RHEINGOLD, Bühne ebenfalls von Christian Schmidt), so dass nun Wagners Ruf ertönen soll: Kinder, schafft Neues!

Kaspar Sannemann, 3.7.22

Foto (c) Toni Suter