Zürich: Verdi – Gala

22.09.2020 | Verdi-Gala

Corona bedingt musste die Premiere von Verdis I VESPRI SICILIANI im Juni ausfallen. Für September wäre eine Wiederaufnahme geplant gewesen. Anstelle dieser Vorstellungen wurde nun mit den für die VESPRI verplichteten Solisten ein konzertanter Gala-Abend angesetzt, ausschliesslich mit Ausschnitten aus Werken Giuseppe Verdis. Eigentlich keine schlechte Idee, zumal auch, weil man die PhilharmonieaZürich (im Gegensatz zur BORIS-Premiere vom vergangenen Sonntag) diesmal wieder ins Haus zurück geholt hatte und sie grossflächig und mit Mindestabstand zwischen den einzelnen Pulten auf dem zugedeckten Graben und bis zum hintern Bühnenende platziert hatte. Das Orchester unter der Leitung des GMD Fabio Luisi klang denn auch herrlich präsent, detailgenau spielend. Da blitzten wunderschöne Passagen und Phrasen auf, feinfühlig interpretiert, sauber im Zusammenspiel. Ab und an war das Blech (weit, weit hinten platziert) vielleicht eine Spur zu laut. Das tat jedoch dem insgesamt beeindruckenden Gesamtklang keinen Abbruch. Trotzdem vermochte der Funken im ersten Teil nicht so richtig zu springen. Zwar erfreute sich das Ohr an den mehr oder minder bekannten Ausschnitten aus Verdis Opern, die Sopranistin und die beiden Bässe, der Bariton und der Tenor sangen ihre Partien ziemlich souverän – aber wirklich berührt war man nicht, der Applaus dann nach den einzelnen Szenen auch nur verhalten freundlich. Lag es an einer gewissen Beliebigkeit der Auswahl der Stücke? Schwer zu sagen. Immerhin wurden die Ouvertüre und die Arie des Procida aus den VESPRI en suite gegeben, auch jeweils die beiden Szenen aus MACBETH und SIMON BOCCANEGRA nacheinander gesungen. Wie ein Fremdkörper erklang jedoch Rodolfos grosse Arie aus LUISA MILLER dazwischen. Und warum die jeweils drei Sznen aus DON CARLO und dem TROVATORE zerstückelt ins Programm eingefügt wurden, ergab wenig Sinn. Vielleicht hätte eine geschickte Textmoderation in der Art von Loriot oder Max Raabe (wie z.B. bei der Berliner Aids-Gala) dem Abend auf die Sprünge geholfen.

Als einziges rein orchesterales Stück wurde zu Beginn die Ouvertüre zu I VESPRI SICILIANI gespielt, ein gekonntes Potpourri aus introvertierten Melodien und mitreissenden, martialischen Klängen aus der Oper, fein ausgehorcht von Orchester und Dirigent. Der Bass Alexander Vinogradov sang danach die Auftrittsarie des Procida O tu Palermo mit wunderschön lang auf den Atem gelegten Phrasen und sicherer Intonation. Die Sopranistin Maria Agresta (in Zürich bereits als Norma und Desdemona bekannt) ging die Arie der Elisabetta aus DON CARLO Tu, che le vanità mit etwas zu forcierten, unorganischen forte-Ausbrüchen an, beglückte jedoch auch mit feinen Piani. Anschliessend sang der Bariton Quinn Kelsey auf ansprechende Art die grosse Arie des Grafen Luna aus IL TROVATORE, Il balen del suo sorriso. Besonders die Kadenz war sehr gelungen. Nun durfte endlich auch der Tenor in den Abend einsteigen, und dies mit deiner der diffizilsten Tenor-Arien aus Verdis Feder: Quando le sere al placido aus LUISA MILLER. Der weltweit von New York über London, München, Mailand bis Wien gefragte und umjubelte Tenor Bryan Hymel gab damit sein lange erwartetes Debüt am Opernhaus Zürich. Sein Timbre ist wunderbar angenehm, hell und zugleich markant heroisch, und bombensicher attackierend in der Höhe, wie sich im weiteren Verlauf des Abends noch zeigte. Von LUISA MILLER ging’s pausenlos zum düsteren MACBETH, wo Banco von schlimmen Vorahnungen geplagt wird und seiner Besorgnis in einer berührenden Arie Ausdruck verleiht: Come dal ciel precipita. Verdienterweise kam es hier zum ersten Bravo-Ruf von Seiten des Publikums am diesen Abend – und zwar nicht für einen der vier Starsänger, sondern für ein Ensemblemitglied des Opernhauses Zürich, den Bassisten Ildo Song, der seinen profunden Bass mit viel Wärme strömen liess. Quinn Kelsey intonierte danach die Romanze des Macbeth Pietà, rispetto, amore. Beendet wurde dieser erste Teil des Konzerts mit dem Duett Elisbetta- Carlo Io vengo a domandar grazia aus DON CARLO, in welchem Maria Agresta mit stellenweise sehr zart und fein intonierten Phrasen und Bryan Hymel mit von Liebesschmerz und Verzweiflung erfüllten Passagen überzeugen konnten.

Nach der Pause folgten zwei Ausschnitte aus SIMON BOCCANEGRA. Maria Agresta traf den schwebendn, flirrenden Ton der bezaubernden Auftrittsarie der Amelia Come in quest’ora bruna nicht ganz, klang zu „bodenständig“. Ganz anders dann das das Duett Boccanegra – Fiesco M’ardon le tempia aus dem letzten Teil der Oper. Hier erfüllten Quinn Kelsey (Boccanegra) und Alexander Vinogradov (Fiesco) alle Erfordernisse der subtilen, packenden Dramatik, welche sich zwischen zwei lebenslang verfeindeten tiefen Männerstimmen abspielen kann. Ein Höhepunkt des Abends! Der nächste folgte sogleich, der zwar stimmungsmässig überhaupt nicht zum vorangehenden tiefgründigen und charaktervollen Duett passte, aber vom Volumen her vom Sitz riss: Bryan Hymel mit der schmetternden, martialischen Stretta des Manrico Di quella pira aus IL TROVATORE. Bestimmt keine leichte Sache, da er sich nicht in den Choreinwürfen auf den (von Verdi nicht explizit geforderten, aber vom Publikum immer wieder gern erwarteten) Aufstieg zum tenoralen hohen C-Himmel vorbereiten konnte, doch Hymel schaffte dies mit begeisternder Souveränität. Danach erneut ein gewaltiger Bruch hin zur introvertierten Arie des Filippo II. aus DON CARLO, Ella giammai m’amò. Die Philharmonia Zürich spielten die chromatisch und kontrapunktisch von Verdi weit in die Zukunft weisende Introduktion mit der tristen Cellomelodie mit herausragender Transparenz. Alexander Vinogradov verlieh mit seiner zu Beginn gekonnt fahlen Tongebung der Arie die erforderte Tiefe der Interpretation, steigerte sich grandios ins verzweifelte amor per me non ha. Meisterhaft und bewegend. Zum Abschluss des ohne Zugabe beendeten Konzerts (Gottseidank folgte nicht noch das obligate Brindisi aus LA TRAVIATA!) dann noch das Terzett Tace la notte aus IL TROVATORE, in welchem Maria Agresta, Bryan Hymel und Quinn Kelsey mit handfestem Verdi-Gesang vom Feinsten auftrumpfen konnten und Maria Agresta mit lange gehaltenem As den Abend triumphal beendete.

(c) Toni Suter

Kaspar Sannemann, 25.9.2020