Zürich: „Arabella“

Vorstellung am 07.03.2020

Wie wenn es das Opernhaus Zürich in Zeiten der Corona-Hysterie nicht schon schwer genug hätte, ist es aufgrund von den zur Jahreszeit üblichen Influenza- und Erkältungskrankheiten auch noch gezwungen, die Titlerolle in der Neuproduktion der ARABELLA ständig kurzfristig umzubesetzen. Nachdem Julia Kleiter die Premiere und die ersten Folgevorstellungen absagen musste, zog sich nun auch die Einspringerin Astrid Kessler nach der zweiten Vorstellung krankheitshalber zurück. Ein „Glück“ nur, dass auch die Probenarbeit zu DON GIOVANNI an der Opéra de Paris von Krankheitsfällen betroffen ist und die Opéra deshalb die gesunde(!) Sängerin der Donna Anna, Jacquelyn Wagner, von der Probenarbeit entbinden und sie als Einspringerin für Zürich freigeben konnte. Doch damit nicht genug! Auch Judith Schmid, welche in der wichtigen Rolle der Adelaide besetzt war, musste absagen. Fündig wurde man an der Wiener Staatsoper, dort ist nämlich die wunderbare Mezzosopranistin Stephanie Houtzeel engagiert, welche verdankenswerterweise zusammen mit Jacquelyn Wagner die gestrige Aufführung in Zürich rettete! Ein Einspringen in ein textlastiges Konversationsstück, wie es Strauss‘ lyrische Komödie darstellt, ist wahrlich kein Kinderspiel, doch den beiden Damen war nichts anzumerken, sie sangen und agierten beide mit bestechender Souveränität. Jacquelyn Wagner hat die Arabella bereits in Minnesota, Düsseldorf und Amsterdam gesungen. Mit ihrer strahlenden Erscheinung und der warmen, blühenden Stimme und der einfühlsamen Linienführung ist sie prädestiniert für diese dankbare Partie aus Richard Strauss‘ Feder.

Die Nartürlichkeit und Frische des Spiels, das geschickte Flirten mit den Verehrern und das dezente Selbstbewusstsein dieser Arabella überzeugten genauso sehr wie ihr Gesang und ihre philosophische Tiefgründigkeit (Die Szene Mein Elemer am Ende des ersten Aktes war grandios gestaltet). Die glanzvolle Rollengestaltung, die weich und sicher intonierten „Hits“ mit genau der richtigen Dosierung an herrlich leuchtenden Tönen (Aber der Richtige, Und du wirst mein Gebieter sein und die Finalszene Das war sehr gut, Mandryka, dass Sie noch nicht fortgegangen sind) wurden am Ende vom Publikum enthusiastisch gewürdigt. Auch die zweite Einspringerin, Stephanie Houtzeel in der Rolle der Mutter Adelaide, begeisterte mit ihrer ungeheuren szenischen Präsenz und der subtil geführten, nie ins Hysterische abgleitenden Stimme. Ihre zweite Tochter, Zdenka, die aus pekuniären Gründen vom Ehepaar Waldner als Zdenko verkeidet wird und ihr Leben als aufopferungsbereiter, liebevoller Junge fristen muss, wurde von Valentina Farcas ebenfalls mit fantastischer szenischer Präsenz gegeben, man spürte das immense Leid dieser jungen Frau, die ihre Liebe zu Matteo nicht offenbaren darf, ihr eigenes Gefühlsleben zugunsten der älteren Arabella zu unterdrücken gezwungen ist. Stimmlich bringt sie eigentlich alles mit für die Rolle, heller, klarer Sopran, ein Timbre, das im grossen Duett wunderbar mit demjenigen der Arabella harmoniert. Einzig bei den Spitzentönen wurde ein unschönes, die klangliche Balance störendes, Forcieren offenbar. Wenn sie daran noch arbeiten kann, wird sie eine wunderbare Zdenka werden. Irène Friedli hatte einen starken Auftritt als Kartenlegerin im ersten Akt und Aleksandra Kubas-Kruk begeisterte mit jodelnden Koloraturen als Fiakermilli im zweiten Akt. Stark besetzt sind auch die Männerrollen. Josef Wagner war ein phantastischer Mandryka – polternd und empfindsam zugleich, ein einnehmendes, ja bauernschlaues Rollenporträt diese Baritons mit seiner sonoren, profunden Stimme, die auch die brillanten Fortissimo Ausbrüche der Philharmonia Zürich unter der Leitung des GMD Fabio Luisi mühelos überstrahlte bei Mein sind die Wälder. Seine Erscheinung ist – wie diejenige von Jacquelyn Wagner – einnehmend und sexy! Pointiert artikulierend und mit dezenter Komik gestaltete Michael Hauenstein den verarmten, spielsüchtigen Papa, Graf Waldner. Strahlkräftig und selbstbewusst sang Paul Curievici mit schmetterndem Tenor den Grafen Elemer – ihm nahm man den grosskotzigen Nazi, den er in dieser Inszenierung geben muss, komplett ab. Yuriy Hadzetskiyy als Graf Dominik und Daniel Miroslaw als Lamoral ergänzten das Trio der Verehrer Arabellas mit überzeugenden Rollengestaltungen. Mit ganz grosser Stimme aufwarten konnte auch Daniel Behle als Matteo. Trotz seines durchschlagskräftigen Tenors offenbarte er eine rührende Verletzlichkeit: Er trug auch – im Gegensatz zu den drei Macho-Grafen Elemer, Dominik und Lamoral – keine Hakenkreuzarmbinde zur Uniform.

Regisseur Robert Carsen legte die Handlung nämlich nicht wie von Hofmannsthal vorgesehen um 1860 an, sondern verlegte sie in die Zeit des Nationalsozialismus der Entstehungszeit der Oper, also zwischen 1926 und 1933. Gideon Davey schuf die dazu passende Ausstattung, eine Hotelhalle in Rot und Schwarz, umfasst von Galerien auf drei weiteren Geschossen. Dieses Einheitsbühnenbild passte wunderbar, um die Handlung zu verorten und ermöglichte durch die Galerien verschiedene interessante Spielebenen. Für den zweiten Akt, den Fiakerball, wurde die Lobby zusätzlich mit riesigen Hakenkreuzfahnen links und rechts „geschmückt“. Gideon Davey schuf auch die passenden Kostüme. Das Ballkleid der Arabella in Petrolblau und mit den Goldapplikationen wusste ganz besonders zu gefallen. Aber auch die Art wie Zdenka als Zdenko eingekleidet war, überzeugte sehr. Insgesamt eine sehr gediegene Inszenierung, doch unter der polierten Oberfläche brodelte es natürlich gewaltig. Das von Robert Carsen und Peter van Praet gespenstisch ausgeleuchtete Ballett der Braunhemden und der Schuhplattler zum Vorspiel des dritten Aktes, mit den Schlägereien und den unsäglichen Hitlergrüssen hatte was Slapstickartiges, ja geradezu Absurdes und wirkte zunächst wie ein aufgestzter Regietheater-Fremdkörper. Doch wenn dann am Ende, nach der von Jacquelyn Wagner so ergreifend und emanzipatorisch (sie hindert ihren Zukünftigen daran, das berühmte Glas zu zerbrechen) gestalteten Schlussszene die Nazischergen auf den Galerien auftauchen und die ganze Bagagi zu erschiessen drohen, spürt man doch, dass Hofmannsthal und Strauss den Zeitenwechsel wohl gespürt (Hofmannsthal), aber nicht verstanden (Richard Strauss) haben.

Mit fantastischem Streicherklang glänzte die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Fabio Luisi, manchmal etwas gar stark auftrumpfend, doch zum Glück standen Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, die das verkraften konnten. Ja, die ARABELLA von Richard Strauss hat kompositorisch ihre Längen, doch die Schönheiten, die ihm dann doch noch eingefallen sind, machen die langatmigen Konversationsszenen wieder wett. Vor allem im dritten Akt zieht es sich vor der Auflösung der Missverständnisse gewaltig, da spürt man, dass Hofmannsthal zu früh gestorben ist und die beiden Künstler ihrer Arbeit nicht mehr den letzten Schliff geben konnten. Immerhin, in dieser Inszenierung und mit diesen Künstlerinnen und Künstlern ist die Oper ein Genuss, dem Carsen eine nachdenklich machende Note verleihen konnte.

Kaspar Sannemann, 13.3.2020

Bilder (c) Toni Suter