DER ZAUBERKLANG DER VIOLINEN. Gleich zwei herausragende Geiger standen im Zentrum dieses 1. Philharmonischen Konzerts gestern Sonntag im Opernhaus Zürich: Selbstredend Augustin Hadelich in Dvořáks nicht allzu häufig anzutreffendem Violinkonzert, aber auch der Konzertmeister der Philharmonia Zürich, Bartlomiej Niziol, der die diffizilen Solopassagen in Strauss‘ Tondichtung EIN HELDENLEBEN mit Bravour meisterte. Beide entlockten ihren Instrumenten (Hadelich spielt auf einer Guarneri von 1744) begeisternde, vielschichtige Töne, volkstümlich angehaucht bei Dvořák, einen nicht ganz einfachen weiblichen Charakter beschreibend bei Strauss; Hadelich zeigte in seiner passend gewählten, überaus virtuos dargebotenen Zugabe, einem Ländler, gar, dass die Violine auch atemberaubend „jodeln“ kann.
DIFFERENZIERUNGSKUNST I. Nach dem markigen, vehementen Auftakt des Orchesters, von dem der Dirigent Gianandrea Noseda die notwendige Wucht forderte, setzte Hadelich ein, spann das Thema mit vielschichtiger Dynamik fort und setzte der orchestralen Kraft Ausdruck entgegen. Was dann schon bald zu sanfteren orchestralen Passagen führte, mit wunderbarer Transparenz dargeboten. Nun war die Solovioline vermehrt in der Führungsrolle, übernahm Verantwortung, verströmte wunderbare Wärme. Gerade die vielen Passagen im Piano waren von einer Schönheit erfüllt, die nicht von dieser Welt schien. Hadelich durchschritt die akzelerierenden Läufe mit Bravour, stürmte zu lupenreinen Tönen in der höchsten Lage, fand zusammen mit der Philharmonia Zürich zu einer wunderbaren Verschmelzung des Klangs. Gerade im zweiten Satz führte dies zu einer erhabenen Ruhe, die Solovioline verströmte liedhafte, tröstende Kantilenen von überragender Schönheit. Kurz traten aufgerautere Klänge im Mittelteil dazwischen, bevor Hadelich mit fein ziselierten Fiorituren und Trillern wieder zur Zartheit dieses Adagios zurückführte. Der mitreißende Schlusssatz danach war ein gekonntes Wechselspiel zwischen Orchester und Solovioline, geprägt von der stupenden Agilität von Augustin Hadelichs Spiel, ein Satz voller Spritzigkeit, dem Nosedas federndes Dirigat die gebührende Beschwingtheit verlieh. Mit der Zugabe des Ländlers (so im Stil von Joseph Lanner, der Solist sagte das Stück nicht an) setzte Hadelich noch ein überaus virtuoses Sahnehäubchen auf den volkstümlichen Furiant Dvořáks – die Begeisterung des vollbesetzten Zuschauerraums war zu Recht enthusiastisch.
DIFFERENZIERUNGSKUNST II. Obwohl Richard Strauss‘ EIN HELDENLEBEN durchaus einen Zug ins Monumentale hat, mit einem der überwältigendsten Auftakte seiner Tondichtungen (nur schon die Orchesterbesetzung ist gigantisch, die Musiker der Philharmonia Zürich besetzen mit ihren Instrumenten und Notenpulten praktisch jeden Quadratzentimeter der Bühne und der Abdeckung über dem Orchestergraben), sind doch viele der folgenden Passagen von Verinnerlichung geprägt. Gianandrea Noseda verzichtete wohltuend auf die Zelebrierung des Pathos, er setzte auf Zügigkeit und Dynamik, entfesselte aber durchaus den Strauss’schen, silbernen und so unverwechselbaren Klangzauber des Meisters der Orchestrierungskunst. Wunderbar arbeitete Noseda die keifend schnatternden „Widersacher“ des Helden heraus; die schrillen Flöten, quengelnden Oboen, grunzenden Fagotte und blökenden Klarinetten der Philharmonia Zürich waren bestens gelaunt, um diese widerspenstigen Phrasen mit verblüffender Virtuosität zu interpretieren. Höhepunkt des Werks sind für mich immer wieder die vertrackten Arabesken der Solovioline, welche hier vom Konzertmeister der Phiharmonia Zürich, Bartlomiej Niziol (auch er spielt auf einer Guarneri del Gesù, die noch älter ist als Hadelichs Instrument; sie stammt aus dem Jahr 1727!), mit wunderbarer Differenzierungskunst gespielt wurden: Er spielte mal elegisch schön, dann hüpfend, fröhlich, wechselte vom Schmachtenden zum Zänkischen, konnte süßlich liebkosen und schnell wieder ins Streitsüchtige fallen – eben genau so, wie Strauss seine Gemahlin Pauline charakterisierte. Großartig. Mit dem nahenden Tod und der Verklärung des Helden ging es dann pathetischer weiter: Die Trompeten aus dem Off riefen wie zum Jüngsten Gericht, der Marsch kam martialisch grotesk daher (es klang wie Schostakowitsch), mit der Trommel und dem grellen Blech, es toste und donnerte, bevor die Arpeggien der Harfen zur ewigen Ruhe riefen. Aber nicht bevor ein letztes, stürmisches Aufbäumen die Solovioline nochmals hervorrief, die auf einem fantastisch weichen Teppich des Orchesters ihre verklärende Erinnerung an das Liebesglück intonierte: Von der Philharmonia Zürich unter ihrem GMD Gianandrea Noseda herausragend interpretierter Strauss – fesselnd und unterhaltsam.
Kaspar Sannemann 2. November 2023
Zürich
Opernhaus
Philharmonisches Konzert am 29. Oktober 2023
Die Violine im Mittelpunkt
Augustin Hadelich (Dvorak) und der Konzertmeister der Philharmonia Zürich, Bartlomiej Niziol (Strauss) spielen unter der Leitung von Gianandrea Noseda