Zürich, Konzert: „Sibelius, Schostakowitsch“, Philharmonia Zürich & Tamro Peltokoski

Zwei Werke, beide in d-Moll geschrieben, beide mit der Opus Zahl 47 versehen, entstanden im Abstand von knapp 35 Jahren, standen auf dem Programm des 2. Philharmonischen Konzerts der Philharmonia Zürich im Opernhaus heute Vormittag.

Das zuerst komponierte Werk, Sibelius‘ Violinkonzert, machte den Anfang. Anstelle des im Jahresprogramm angekündigten Daniel Lozakovich spielte Alina Pogostkina den Solopart. (P.S.: Lozakovich war nicht etwa krank, er spielte nämlich am Abend zuvor noch in der Elbphilharmonie Hamburg das Sibelius-Konzert unter der Leitung von Riccardo Chailly. Vielleicht hatten er und sein Management erst relativ spät gemerkt, dass das Konzert in Zürich auf 11.15 terminiert war. So wäre die Anreise dann doch knapp geworden). Aber wie dem auch sei, Frau Pogostkina spielte ein großartiges Konzert. Ihre mit viel Feingefühl ausgeführte, blitzsaubere Intonation vermochte zu begeistern. Gerade in den hohen Lagen verströmte ihre „Camillo Camilli“- Violine von 1752 einen wahrhaft bezaubernden Schönklang. Wie sie zu Beginn des ersten Satzes über den sordinierten Streichern zu schweben vermochte, war ein Traum. Stimmungs- und kontrastreich spielte sie den ersten Satz, verströmte Klangschönheit und ließ uns eintauchen in eine fein ausgehorchte, sinnliche, auch düstere Klangwelt. Sie beeindruckte mit einer äußerst virtuosen Kadenz mit vielen Doppelgriffen und flinken Läufen. Wunderbar wie sie mit dem tanzend-wippenden Bogenstrich die Phrasen des Orchesters kontrastierte. Der Philharmonia Zürich unter der Leitung von Tamro Peltokoski gelangen eindringliche Passagen, so zu Beginn des zweiten Satzes mit der Vorstellung des Themas durch die Oboen und die Klarinetten. Es ist dies ein Adagio di molto von schönster Lyrik, sehrendes Verlangen und stille Erfüllung, ein sanftes Entschweben in ein Traumreich, wunderbar ausmusiziert von Alina Pogostkina und der Philharmonia Zürich. Daran schloss sich ein leicht diabolischer, furioser Tanz im abschließenden Allegro ma non tanto, in welchem die Solistin erneut mit stupender Virtuosität und brillantem Klang aufwarten konnte. Beim Publikum bedankte sie sich nach diesem schwungvollen Finale mit einer ruhigen Zugabe, einem Plädoyer für Frieden: Song of the Birds, dieses katalanische Lied, das Pau Casals ursprünglich für Cello arrangiert hatte, spielte Alina Pogostkina mit dem ihr eigenen, so wunderschön feinen Ton auf der Violine.

Nach der Pause dann konnte der erstaunliche junge Dirigent Tamro Peltokoski seinen ihm vorauseilenden Ruf rechtfertigen. Was er aus Schostakowitschs fünfter Sinfonie zusammen mit der fantastisch aufspielenden Philharmonia Zürich herausholte, war überwältigend. Natürlich ist diese Sinfonie stets eine Wucht, aber diesmal schien sie mir unglaublich differenziert, klanglich mit überragender Subtilität abgestuft und die Schattierungen und Instrumentierungen feinsinnig herausgerarbeitet daherzukommen. (Der 24 Jahre junge Dirigent dirigierte übrigens beide Werke auswendig!) Die markanten Intervalle des Beginns und das kantable Seitenthema umspielten sich, verschlangen sich ineinander mit einer wundersamen, transparenten Art, herrliche Soli der Flöte voller Zartheit, wechselten mit dem brachialen Marsch, der in all seiner klanglichen Ballung doch nie die nicht unproblematische Akustik des Hauses strapazierte. Der spritzigen, hüpfenden Jahrmarktsstimmung des zweiten Satzes (Allegretto) wurde dabei genauso viel Sorgfalt gewidmet wie dem eher schweren, tragischen Charakter des anschließenden Largos. Ein fantastischer Satz, mit seinem ruhig dahinfließenden Streicherteppich, bereichert mit den beiden Harfen und dem Gesang der über allem schwebenden Oboe. Ein schmerzvolles Aufbäumen von immenser Intensität wird mit überirdischen Klängen, u.a. der Celesta, wieder besänftigt. Peltokoski setzte zu Recht die klanglichen Kontraste dieser Sinfonie in den Vordergrund. Denn nach dem Verklingen des Largos verschaffte sich mit überwältigender Unerbittlichkeit der effektheischende Marsch des Finales Gehör. In dieser Groteske ging wahrlich die Post ab. Aber immer wieder muss man sich dessen bewusst sein, dass dieser hohle Marsch nicht ein Triumphmarsch ist, sondern mit den von Peltokoski sehr klar herausgearbeiteten Dissonanzen in den trivialen Akkorden sehr wohl als Regimekritik interpretiert werden kann.

Applausfoto vom Rezensenten

Tosender Applaus für den jungen Dirigenten, der am Beginn einer ganz großen Karriere steht, aber ohne jegliche Selbstverliebtheit sehr bescheiden auftrat und den Beifall stets an Orchester weiterleitete. Sehr sympathisch und hoffentlich kommt er bald wieder. (Falls der Opus-Klassik- Preisträger neben der neuen Chefposition beim Orchestre du Capitole de Toulouse, der Position des Musikdirektors beim Lettischen Nationalen Orchester, des Principal Guest Conductors bei der Kammerphilharmonie Bremen und als designierter Musikdirektor des Hong Kong Philharmonic Orchestra für Zürich Zeit finden wird…

Kaspar Sannemann 22. Oktober 2024


Philharmonisches Konzert
Sibelius, Schostakowitsch
Opernhaus Zürich

20. Oktober 2024

Leitung: Tamro Peltokoski 
Philharmonia Zürich