Bayreuth leuchtete mal wieder einen Abend lang – und leuchtet noch länger in die Zukunft. Denn die bekannte Sammlung von nicht weniger als 132 Liszt-Fotos, die der Pianist, Musikschriftsteller und Musikerbiograph Ernst Burger bislang sein eigen nannte, befindet sich seit dem 19. Oktober 2021 im Besitz – nein, nicht der Stadt Bayreuth, jedenfalls nicht direkt, sondern der Klavierbaufirma und der Familie Steingraeber. Sie nahmen das nötige Geld in die Hand, um die einzigartige Kollektion am goldrichtigen Ort zu erhalten und, das ist die Hauptsache, in einer Dauerausstellung öffentlich zu machen
Liszt-Fotos? Dahinter steckt wesentlich mehr als der Zufall. Franz Liszt war nicht allein der wohl beste und berühmteste Klavierspieler des 19. Jahrhunderts und einer der herausragenden Komponisten seiner Epoche, der neben Berlioz und Wagner am Entstehen einer Neuen Musik elementar beteiligt war. Er war zudem der meistfotografierte Mensch seiner Zeit; Burger veröffentlichte sämtliche nachweisbaren 260 Fotos 2003 in einem berauschend schönen, also typisch Burgerschen Band. Nun gehört ziemlich genau die Hälfte dem Haus Steingraeber, der die Sammlung in einer Vernissage mit anschließendem Konzert der Öffentlichkeit vorstellte. Man findet nur ein einziges Objekt nicht als Original, doch immerhin als Kopie an den Wänden im ersten Stock des markgräflichen Altbaus: die Ur-Daguerrotypie, das Opus 1 von 1843, mutmaßlich das erste Foto der Fotogeschichte, das einen bedeutenden Menschen verewigte. Dieses exquisite, auch exquisit erhaltene Stück wurde, und auch dies ist bemerkenswert, von der Stadt für das Franz-Liszt-Museum angekauft, das seine Existenz keinem anderen verdankt als dem großen Liszt-Sammler Ernst Burger, der seine wertvollen Lisztiana seinerzeit nach Bayreuth gab. In der zukünftigen Neupräsentation wird das äußerst wertvolle Stück seinen Platz finden. Bemisst man die Steingraeber-Sammlung nach dem Kaufpreis des Fotos von 1843, ahnt man, wie hoch der gesamte Rang der Fotos (131 Atelier-Fotos und die letzte herausragende Lebendaufnahme, die den alten Liszt ein einziges Mal in einer festgehaltenen Bewegung zeigt) schon nach äußerlichen Kriterien wiegt. Dass er nach ideellen Gesichtspunkten unschätzbar ist, versteht sich von selbst – die Zuneigung, die dem Sammler am Abend aufgrund seiner realisierten Absicht entgegen strömte, die Sammlung 1. zusammenzuhalten und 2. mit Zustimmung der Familie Steingraeber nach Bayreuth, dem zeitweiligen Wohn- und einzigartigen Sterbeort Franz Liszts, zu geben und, gewiss unter dem Marktwert, zu verkaufen, war mit Händen greifbar. Nun also besitzt Bayreuth, Burger sei Dank, zwei Liszt-Sammlungen von ungewöhnlichem Rang, und zweimal an authentischen Orten: dem Klavierhaus – das Liszt mehrmals besuchte und in dem er spielte – und der Sterbewohnung.
Dann aber – Chopin im Kammermusiksaal. Der 17. Oktober 1849 markiert den Grund. Burger veröffentlichte vor über 20 Jahren einen, ach was: den opulenten Bildband zu Chopin, der am 17. Oktober 1849 das Zeitliche segnete und von Liszt sehr geschätzt wurde; die Gegenliebe war allerdings nicht so groß. Burger erläutert einige Eigenheiten des Komponisten, den die Polen für einen ganz Eigenen halten mögen, obwohl sein Vater Franzose war und er die gesamte zweite Hälfte seines Lebens in der Heimat seines Erzeugers lebte. Burger rückt das Bild von der angeblich „morbiden“ Künstlerpersönlichkeit gerade. Jedes seiner Werke, sagt der Pianist, sei ein Meisterwerk, er sei einer der größten Melodiker der Musikgeschichte gewesen, schließlich der Erfinder einer Gattung: der Musikballade. Dann spielt Burger, der sich nach einem linkseitigen Sehnenriss „wieder ins Konzertleben zurückkämpfte“ (Udo Schmidt-Steingraeber) die A-Dur-Polonaise, 20 Mazurken und zwei Etüden und liest aus seinem Erinnerungstext an Chopins Sterben und Tod, den er 1999, zum 150 Todestag, in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte. Das Finale ist so bewegend und innig wie der gesamte Abend, an dem sich einige Persönlichkeiten begegneten. Das Nocturne, das zuletzt erklingt, widmet Burger seiner erst jüngst nach schwerer Krankheit verstorbenen Frau, mit der er ein halbes Jahrhundert glücklich verheiratet war: eine Musik zum Gedenken, das Leben und den Tod, das wie auf Fotopapier fixierte Werk und den Nachklang in der gespielten und erfühlten Musik fast privat zusammenfassend.
Was bleibt, stiften die Bilder – und die Sammler.
Frank Piontek, 20.10.2021