Festival Junger Künstler. Zentrum, 12.8.2018
Wer war Friedelind Wagner? War sie, als „Krachlaute“ – wie das trötende Kind von ihrer Familie genannt wurde -, ein „schwarzes Schaf“, das aus egoistischen Gründen den Familienfrieden störte? Oder war sie eine aufrechte Kämpferin gegen die Nazis? War sie ein verhindertes Talent oder eine Frau, die nicht (wie ihre Brüder) die Disposition zu wirklich großen Taten, also Inszenierungen besaß?
Die Frage ist so umstritten wie die gesamte Familie Wagner. Nur über eines ist sich die Forschung und Nachwelt einig: Sie war ein Vaterkind. Als Tochter Siegfried Wagners auf die Welt gekommen, empfand sie sich lebenslang als Abkömmling eines Mannes, den sie als Kind sogar heiraten wollte. Als Vaterkind wird sie auch von Claus J. Frankl in Szene gesetzt: Sie, „Friedelind: Eine Wagner!“, wie der Titel der gut besuchten Aufführung des Festivals Junger Künstler im Theaterkeller des „Zentrum“ lautet. Sie: Das ist Nicola Becht, als erfahrene Opernsängerin ein dramatischer Sopran. Dass sie den verzweifelten Ausbruch der Friedelind, wie ihn Vater Siegfried in seiner Oper „Der Schmied von Marienburg“ textete und komponierte, so eindrücklich macht wie Isoldes Wurarietta „Entartet Geschlecht“, es passt zu „Mausis“ Energie, auch wenn Siegfried Wagner, was ja nicht ganz unwichtig ist, die Opern-Friedelind gegen ihren bösen Vater revoltieren ließ: „Vater den zu nennen, der mich hasst!“ In der Wirklichkeit des Lebens war es die Mutter, mit der die Tochter in lebenslanger Hassliebe verbunden war. Frankl hat diese facettenreiche Beziehung subtil genug ausgearbeitet (und an einer Stelle Winifred-O-Ton einspielen lassen).
Die Wirklichkeit? Frankl schuf sozusagen eine Versuchsanordnung, lässt seine Protagonisten, also Nicola Becht, Elena Suvorova, Daniel Nicholson und Michael Zallinger, wie auf einer Leseprobe Positionen ausspielen, indem die nötigen historischen Infos in mehr oder weniger lockeren Spielszenen an der New Yorker Bar der 40er Jahre präsentiert werden. Um in die Wagner-Geschichte den nötigen Urgrund einzuziehen – denn die Geschichte der Wagnerfamilie ähnelt der des Atridenclans, wie Nike Wagner einmal feststellte -, setzte er die Musik ein. Isoldes Wutausbruch, Erdas Weissagung, das Lied an den Abendstern und des Holländers Erlösungssehnsuchtsblues mythisieren das Geschehen, kommentieren es auf überraschende, immer willkürliche – und meist dramaturgisch bezwingende Weise. Es hat das gewisse Etwas, wenn der ausgezeichnete Bariton Daniel Nicholson, begleitet vom verlässlichen Graham Cox, als Siegfried Wagner Wolframs Lied für den verlorenen Clement Harris singt. Es ist bewegend, Vaters sehnsuchtsvollen „Abend am Meer“ gleich zweimal zu hören. Und es ist grandios, die vorzügliche Elena Suvorova, die auch eine witzige und eindrückliche Spielerin ist, in der intimen und dunklen Seelenstudie „Treibhaus“ zu erleben.
Suvorova „spielt“ auch eine russische Barfrau, wie Michael Zallinger einen italienischen Barkeeper gibt, der wiederum Toscanini markiert. Das musikalische Dramolett wird auch von diesen Typen zusammengehalten; alles scheint Spiel, wichtige Fragen – wie die nach dem Mutterkomplex, dem Verlauf des letzten Vorkriegs-Gesprächs zwischen Mutter und Tochter und Friedelinds Auswanderungsintention) werden zur Diskussion gestellt, Nicola Becht bleibt immer Nicola Becht, sie wird nicht zur Tröte, sie singt einige Wesendonck-Lieder (für sich und Papa), sie zitiert Friedelind, aber sie ist es nicht. Sie kann es auch nicht sein, denn Friedelind war eine einzigartige Wagnerin. Der Rest ist Musik: nicht allein von den Wagners, auch von Siegfrieds geliebtem Clement Harris, von Friedelinds Vertrautem Gottfried von Einem und von Leonard Bernstein, mit dem die alte Dame kurz vor ihrem Tod noch Bayreuth besucht hat. Diese Musik sorgt immer wieder für rührende Momente – schon deshalb hat sich der Abend, ein Abend der musikdramatischen Assoziationen und des höheren (guten!) Schulfunks für alle Friedlindianer und Musikfreunde gelohnt.
Foto: © Andreas Harbach