Bayreuth: „Polizeiorchester Bayern“ unter Johann Mösenbichler

Mal ehrlich: Die deutsche Polizei hat, ginge nach nur nach den schlechten Überschriften der letzten Zeit, einen  verbesserungswürdigen Ruf. Mit Blick auf die bekannten Defizite könnte man sagen, dass Harmonie durchaus anders aussieht, aber man soll das Kind nicht mit dem berühmte Bade ausschütten – denn „Harmonie“ und „Polizei“: das geht durchaus zusammen.

Seit bald 10 Jahren gastiert also nun schon das Polizeiorchester Bayern in Bayreuth. Ein jährliches Benefizkonzert für das „Festival Junger Künstler“, so präsentiert sich das Symphonische Blasorchester, das man nicht mit einem Platzkonzertgeber (nichts gegen Platzkonzerte!) verwechseln sollte. Was und vor allem: wie sie spielen, ist preiswürdig, und dass Johann Mösenbichler, den man früher als „Kapellmeister“ bezeichnet hätte (wobei „Kapelle“ und „Meister“ jeweils Ehrentitel sind), 2018 zum Generalmusikdirektor der Bayerischen Polizei ernannt wurde, dürfte den vielen Besuchern des Benefizkonzerts 2023 einleuchten. Durchaus nicht nebenbei: mit diesem Konzert wurde die Festivalsaison 2023 eingeläutet, denn das Programm gehorcht mit seinem Oberthema dem „Ritual“-Motto des „Festivals Junger Künstler“ vom ersten bis zum letzten Takt, also von der Eingangs-Fanfare bis zum Ausklang einer Sinfonischen Dichtung, die dem Leiden und dem posthumen Triumph Christi gewidmet wurde.

(c) Werner Schubert

Zugegeben: die Stadtkirche besitzt mit seinem Nachhall von drei Sekunden eine Akustik, die für dynamisch potente Ensembles – um‘s mal zurückhaltend auszudrücken – und vor allem für die in den ersten Reihen sitzenden Zuhörer gefährlich ist. Sitzt man jedoch weit hinten, dicht an der Wand, wird die Überwältigung durch Lautstärke, mehr noch aber durch die tragenden wie schwingenden Klänge zum Erlebnis. Beginnt der Abend mit Paul Dukas‘ bekannter Blechblas-Introduktion, also der Fanfare zu seinem symphonischen Ballett „La Péri“ (eine Fanfare für eine Eröffnungszeremonie), so bietet das Orchester mit „One Life Beautiful“ der Julie Giroux, „best known as a composer for modern Wind Ensemble and Symphonic band music“, wie es auf ihrer Website heißt, den Einblick in eine US-Amerikanische Klangästhetik von Hollywoods Gnaden – die einfach nur gut gemacht ist (und wird). Steven Bryant darf nicht fehlen; in „The Low Arc of the Sun“ verbinden sich familiäre (Bryant ist der Schwiegersohn des Dirigenten) und musikalische Verwandtschaft zum köstlichen Amalgam einer Klangfarbenkomposition, deren Intervall-Melodie gut genug dafür ist, die denkbar unterschiedlichen Farbschichten aufs Gerüst aufzutragen. Mit anderen Worten: Es macht einfach Freude, den 45 Solisten am Holz und am Blech bei der Arbeit zuzuhören – auch Kristina Serazin Djiengoue, der solistischen Frau am Altsaxophon. Bei Max Bruchs „Kol Nidrei“ macht‘s gleichfalls die Mischung, zarte Holzbläser über dem Blech begleiten die Stimme, die das originale Violoncello nicht ersetzt, sondern in einer weiteren Möglichkeit zum Leuchten bringt. Sonor so nennt man das. Die Stadtkirche ist gerade für solche Stücke gut, in denen die Klangsäulen der Akkorde sich crescendierend zu einem Klangdom vereinigen, der warme Klang des Altsaxophons schwebt besonders anheimelnd im halligen Raum.

Schließlich Ferrer Ferrans 2. Symphonie, der der Spanier den Titel „La Passió de Crist“ verlieh. Auch diese Komposition (von 2001) entstand aus dem Geist des ganz großen, in die gemäßigte Moderne geretteten Cinemascope-Formats. Die Musik, so der Moderator Peter Seufert, könne wesentlich mehr ausdrücken als das Wort, aber man benötigt es – und einige Bilder – denn doch, um den „Gehalt“ dessen klar zu machen, was in den nächsten 30 Minuten in einer bunten Szenenfolge über die Zuhörer kommt. Würde die Musik anders klingen, würden wir nicht wissen, welche Episoden hier „vertont“ wurden? Die Frage rührt an die alte und nach wie vor unabgegoltene Diskussion über die Wirkung, die Verständlichkeit und den „Sinn“ einer nicht „absoluten“ Musik (merke: Es gibt keine absolute Musik). Ferran hat seine drei Sätze – von der Geburt über die drastisch ausgemalte Passion samt Erdbeben (Cluster im doppelten Forte!) zur hymnischen Apotheose Christi – im Sinne, wenn auch nicht im Stil von Richard Strauss geschrieben. Christus, ein (erzkatholisch aufgefasstes) Heldenleben – es ist vor allem ungeheuer unterhaltsam. Oberammergau ist dagegen ein Kammerspiel.

Riesenapplaus also für ein jährliches Ritual, das uns die schönste, mit allen Konventionen interessierende Blasmusik ins Gotteshaus hineingeschickt hat. Polizei und Harmonie? Dochdoch, das geht. In Bayreuth durfte man‘s wieder erleben.

Frank Piontek, 2. April 2023


FÖRDERER JUNGER KÜNSTLER:

DIE PASSION

POLIZEIORCHESTER BAYERN

Stadtkirche, 31. März 2023