Saarbrücken: „Die tote Stadt“

Premiere: 06. Oktober 2018, besuchte Vorstellung: 21. Oktober 2018

Theaterzauber mit Seltenheitswert!

Hoch erfreulich, dass in den letzten Jahren viele Opernhäuser Erich Wolfgang Korngolds Geniestreich „Die Tote Stadt“ präsentierten. Immer wieder ist es überwältigend, diesen Melodien- und Farbreichtum eines gerade mal 23jährigen Komponisten zu erleben. In der Musikgeschichte kommt diesem Solitär eine Sonderstellung zu, da das Sujet als auch die besondere Klangsprache Alleinstellungsmerkmale sind, die kein anderer Komponist schuf. Die genialische Instrumentations-Begabung, gepaart mit einem Füllhorn an Melodien verfehlte auch in dieser Nachmittagsvorstellung nicht ihre Wirkung!

Nun also „Die Tote Stadt“ am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken. Regisseur Aron Stiehl erzählt erfreulich gradlinig und musikkonform die Handlung. Der Zuschauer erlebt Paul in seinem Haus als Mix aus Mausoleum und Grabkammer. Der Zuschauer sieht ein Zimmer, begrenzt durch hohe Wände mit endlos vielen Fächern, in welchen die Reliquien Maries und zahlreiche Kerzen untergebracht sind. An der Bühnenrampe steht ein Grablicht, auf der rechten Seite ein großes Bett, vorne links zwei Sessel nebst kleinem Tisch. Die Bühnenmitte wird für bühnenwirksame Effekte genutzt. So erscheint hier Marie als Jungfrau Maria und segnet Paul. In der Pantomime fährt das mittlere Hubpodium nach oben und gibt ein venezianisches Lagunenpanorama frei. Im dritten Akt gibt es wahrlich eine surreale Prozession zu bestaunen, als aus den vielen Regalfächern viele Hände nach Paul greifen wollen. Dabei verengen sich die Wände bedrohlich. Nicola Reichert schuf dazu ein eindrucksvolles, akustisches (welche Seltenheit!) Bühnenbild, in welchem die Handlung gut nachvollzogen werden konnte. Zu loben sind die hinreißenden Lichtstimmungen, die André Fischer gekonnt einrichtete. So wird die Bühne immer wieder in rubinrot, violett oder warmes Sonnenlicht getaucht.

In einer stimmigen Personenführung wirken die Protagonisten klar charakterisiert. Belebt wird die Szene von der spielfreudigen Gauklertruppe. Stiehl vertraut der Musik, so dass es hier am Ende der Oper tatsächlich und endlich einmal wieder einen positiven Schluß zu sehen gibt! Die mittige Bühnenwand klappt herunter und es tut sich ein sonnenfarbener Lichthorizont auf. Auf diesen schreitet Marietta zu, bis sie nur noch schemenhaft wahr genommen wird. Paul folgt ihr mit langsamen Schritten ins Licht. Ein ergreifender, unvergesslicher Schluss. Alles in allem eine geschlossene und absolut überzeugende Regiearbeit mit Seltenheitswert. Bravo!

Korngolds Oper stellt an seine Protagonisten höchste, kaum erfüllbare Anforderungen. Seine Oper steht und fällt mit dem Sänger des Pauls, der die Hauptlast des Werkes zu schultern hat. Die Tessitura ist extrem, sehr hoch, häufige geforderte Wechsel ins Falsett, Fortissimo-Exzesse, kontrastiert durch vielerlei Pianissimo und dazu mit einer Dauerpräsenz auf der Bühne. In Saarbrücken war als Paul Michael Siemon zu erleben. Darstellerisch wirkte er kontrolliert und etwas gebremst. Hierdurch erschien er eher verstockt, was aber letztlich gut mit dem Rollencharakter korrespondiert. Sein heller Tenor schaffte es immer, sich durch die Klangballungen durchzusetzen. Dabei nutze er klug die endlosen dynamischen Möglichkeiten seiner forderndern Partie. Staunenswert die große stimmliche Sicherheit, die lediglich in den Ausbrüchen des 2. Aktes („Erlöst bin ich!“) hörbar strapaziert wurde. Bewegend dann der Schluss „O Freund…“, in welchem es ihm gelang, mit hörbarer Anteilnahme und überraschend viel Schmelz in der Höhe, seine Partie abzuschließen. Die Textbehandlung wirkte hingegen viel zu monochrom und brav. Hier wäre eine konstrastreichere Artikulation wünschenswert. Davon abgesehen eine herausragende Leistung.

An seiner Seite spielte sich Pauliina Linnosaari als Marietta in die Herzen des Publikums. Sie war weniger femme fatale, sondern eine ungemein lebensbejahende, positive Gestalt, die ihre besondere Wirkung aus ihrer Natürlichkeit gewann. Auch sie hat außergewöhnliche stimmliche Anforderungen zu bewältigen. Bereits im „Schlager“ „Glück, das mir verblieb“ gefiel sie mit ruhevoller Tongebung, um dann in der Retrospektive des dritten Aktes „Und der erste…“ die volle Schönheit und Sicherheit ihrer Sopranstimme zu entfalten. Besonders herausragend ihre obertonreiche Höhe, die immer wohlklingend und niemals scharf geriet. Verschwiegen sei nicht, dass sie ihre leuchtende Höhe unter dem Weglassen der Konsonanten erzielte.

Judith Braun als Brigitta zeigte sich empathisch, mutierte in der Vision Pauls gar zur hohen geistlichen Würdenträgerin und überzeugte durch die hohe Textverständlichkeit. Schade, dass ihre Stimme in der hohen Lage nicht hinreichend mit dem Körper verankert schien, so dass ihr Vortrag durch Schärfen getrübt wurde.

Ein wichtiger Aktivposten war Bariton Peter Schöne als Frank, der seine Freundgestalt gut charakterisierte, dazu raumgreifend mit viel Noblesse sang und im zweiten Akt als Teufel höchstselbst agieren darf.

Salomon Zulic del Canto als Fritz/Pierrot nutzte gekonnt die Gelegenheit, in „Mein Sehnen, mein Wähnen“, nachhaltig auf seine stimmlichen Qualitäten aufmerksam zu machen. Ungemein kultiviert mit endlosen Legatobögen kostete er jeden Moment seiner Paradearie aus.

Leichtfüßig und spielfreudig agierten die Gaukler Olga Jelinkova (Juliette), Carmen Seibel (Lucienne), ungewöhnlich stimmstark die beide Tenöre Sungmin Song (Victorin) und Algirdas Drevinskas (Graf Albert). Jaume Miranda realisierte eine klar konturierte Choreinstudierung.

Kaum ein Werk wird so häufig durch Striche verunstaltet, wie „Die Tote Stadt“. Besonders oft fällt dabei z.B. das so wichtige Vorspiel des zweiten Aktes weg oder wird krude zusammengestrichen. Ein Frevel, der den Entscheidern eine stark begrenzte Intelligenz bescheinigt. Paul nimmt ja in seinem Arioso „Was ward aus mir“ explizit Bezug auf die Klänge dieses Vorspiels. Ob Wien, Salzburg, Barcelona, London oder Frankfurt. Das Vorspiel gab es nur verstümmelt!

Großartig, dass die Saarbrücker Produktion nicht nur diese so wichtige Musik komplett spielte, sondern auch sonst nahezu alle üblichen Striche aufmachte.

Dirigent Justus Thorau überzeugte mit einem mitreißendem Dirigat. Mit hörbarer Begeisterung fegte er durch die Partitur, ließ immer wieder berauschend ausmusizieren, ohne die Sänger aus dem Blick zu verlieren. Staunenswert, dass er jederzeit die Balance zwischen Bühne und Graben gewährleisten konnte. Ob in „Glück, das mir verblieb“ oder in Pierrots Tanzserenade, in beiden Gusto-Stücken schuf Thorau ungemein berührende Momente der Kontemplation. Das groß besetzte Orchester begeisterte in allen Gruppen; süffige Streicher, delikate Holzbläser, attackierendes Blech und farbreich aufspielendes Schlagzeug formten einen homogenen Gesamteindruck, der begeisterte und überwältigte. Dazu kamen dann im dritten Akt noch zusätzliche Posaunen und Trompeten, postiert im 2. Rang, die mit dem beherzt aufspielendem Staatsorchester für einen süffigen Klangrausch sorgten. Viel berechtigte Begeisterung für den fabelhaften Dirigenten und das Saarländisches Staatsorchester.

Die Nachmittags-Vorstellung war erfreulich gut besucht. Viel Jubel im Haus. Ein großartiges Erlebnis!

Jedem Opernfreund sei diese besondere Produktion empfohlen!

Dirk Schauß 22.10.2018

Weitere Vorstellungen gibt es am:

28.10., 31.10., 09.11., 14.11., 20.11., 11.12. und 21.12, jeweils um 19.30 Uhr