Saarbrücken: „Macbeth“

Vorstellung am 23.05.2013, (Premiere 12.04.2014)

Ein Mafioso als König Duncan und niedliche Mädchen als Hexen

Stoffe aus der italienischen Literatur hat die italienische Oper des 19. Jhdts. in aller Regel nicht verarbeitet; sei es, weil sie nicht interessant waren, sei es weil es kaum etwas gab. So basieren die meisten Opernstoffen auf literarischen Vorlagen der „cugini“ (das sind die Franzosen); aber man griff auch weiter nach Norden und wurde in Deutschland und England fündig. Dort waren es neben den romantischen Stoffen vor allem die Shakespeare-Dramen, die Interesse erweckten. MacBeth war Verdis erster realisierter Shakespeare Stoff. (Etwa 50 Jahre hat er sich mit Lear beschäftigt; seine beiden letzten Opern waren wieder Shakespeare Stoffe: Othello und Falstaff). Verdi hat sich selbst sehr intensiv mit der Vorlage befasst und dessen Komprimierung auf die Opernhandlung selbst vorgenommen, ehe er seinen Librettisten Francesco Maria Piave mit der Erstellung der gereimten Fassung beauftragte. Da er mit dieser nicht zufrieden war, zog er mit Andrea Maffei noch einen zweiten Librettisten hinzu, um die textliche Grundlage für das zu schaffen, was Verdis bis dato außergewöhnlichste Oper werden sollte. Der Stoff gab nämlich das nicht her, was bislang in Italiens Opern üblich war: die Dreierkonstellation mit einem Liebespaar (Primadonna und 1. Tenor) und einem Gegenspieler mit tiefer Stimme. (Möglicherweise hat das bei der Auswahl des Stoffs schon eine Rolle gespielt; denn beim Teatro alla Pergola in Florenz, für das Verdi diesen Stoff unter mehreren anderen ausgesucht hatte, gab es keinen geeigneten 1. Tenor für eine Liebhaber-Rolle.)

vorne: Olafur Sigurdarson (Macbeth); Melba Ramos (Lady Macbeth)

So kam es dazu, dass die Titelrolle einem tiefen Bariton übertragen wurde. Und die Lady MacBeth ist nicht im lyrischen oder Koloratursopranfach, sondern im dramatischen Fach angesiedelt. (Deren Rolle ist im Vergleich zur Shakespeare-Vorlage aufgewertet; ihr Einfluss auf das Geschehen wird wesentlich präsenter, daher ihre dramatische Wirkung.) Das zog weitere Änderungen in der Konzeption nach sich. Denn Verdi, bei seinen Gesangspartien bislang noch im Einfluss der Belcantisten stehend, wollte hier keinen Schöngesang mehr als l’art pour l’art haben, sondern im Sinne eines Gesamtkunstwerks ein Zusammenwirken von Stimme und Text mit deklamatorischer, weniger sanglicher Diktion erreichen. Diesen Weg zu einem realistischen Musiktheater ist Verdi dann zunächst nicht weiter gegangen, wies aber später darauf hin, dass er schon mit dem 1847 uraufgeführten MacBeth eine Verschmelzung von Musik und Drama angestrebt hatte, die in Deutschland der ihm immer wieder vorgehaltene Wagner schon umzusetzen begonnen hatte. Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass Verdi 40 Jahre später mit seinem Otello und danach mit seinem Falstaff ausgerechnet wieder an zwei Shakespeare-Stoffen bewies, dass ihm noch in hohem Alter diese Verschmelzung mit ganz eigenen Mitteln gelang.

Wegen seiner Wucht und seiner Bühnenwirksamkeit wurde MacBeth vom Publikum gut aufgenommen und verbreitete sich schnell in ganz Europa, während die konservative Kritik dem Werk entgegen hielt, dass es keine Liebesgeschichte enthält… Knappe zwanzig Jahre später hat Verdi den MacBeth für eine französisch-sprachige Aufführung in Paris umgearbeitet. In dieser neuen Fassung wurde den Hexen eine stringentere dramaturgische Funktion zugewiesen, der Todesmonolog des MacBeth durch den Jubelchor der Sieger „Salve, o re!“ ersetzt, und es musste ein Ballett her. Vier Jahre nach dem Tannhäuer-Skandal setzte Verdi den brav an den Beginn des dritten Akts… In dieser Fassung – rückübertragen ins Italienische – wird diese Oper heute meistens gegeben, so auch jetzt in Saarbrücken. Trotz seiner Originalität und dramatischen Schlagkraft gehört Macbeth heute nicht zu den Rennern unter Verdis 26 Opern.

Olafur Sigurdarson (Macbeth)

Der Regisseur Sebastian Welker siedelt das Geschehen der Oper im Mafia-Milieu der Vorkriegszeit an. Damit kommt er von Schottenröcken, herben Landschaften und finsteren schottischen Gemäuern von historischer Handlungszeit und -Ort weg und riskiert a priori kaum Reibungen mit dem Text. Allerdings wäre es konsequenter gewesen, das Stück dann gleich in der Jetztzeit zu verorten, weil dann die peripheren Regieeinfälle vom heutigen Publikum besser verstanden würden. Ein Mafia-Boss anstelle eines Königs, ein Obermafioso anstelle seines Generals; ein machtgetriebenes Mafioso-Gespons – das alles lässt sich passend umsetzen. Hexen und wandernde Wälder gab es damals wie heute nicht… Aber Welker versucht nicht, diese 1:1-Umsetzung in eine andere Zeit und ein anderes soziokulturelles Umfeld konsequent durchzuziehen, sondern er dreht noch an etlichen anderen Schrauben, was leider nicht im Sinne einer stringenten Dramaturgie liegt und – vor allem im zweiten Teil der Oper – zu schlechterer Verständlichkeit des Geschehens führt. Das sind einmal die Kinder, Knaben und Mädchen, die teilweise mit Symbolkraft versehen über die Bühne wuseln und Stellvertreter-Mord und –Totschlag aufführen (auf die Kinderlosigkeit des Ehepaars MacBeth soll hier wohl nicht angespielt werden), aber vor allem die Inszenierung der Hexen. De facto spielen diese Hexen die Rolle einer dritten handlungstreibenden Person. Aber Welker setzt sie nicht fokussiert in Szene, sondern lässt sie auf der Bühne erst stumm durch drei nette kleine Mädel in weißem Kleid, weißen Strümpfen und weißer Haarschleife darstellen (Kostüme: Doey Lüthi), wozu drei Sängerinnen von irgendwoher den Text singen; beim zweiten Auftreten hingegen durch den gesamthaft in besagter Mädchenkleidung gesteckten großen Frauenchor, der langsam von hinten auf die drei Mädchen zuschreitet; auf diese Weise wird die dramaturgische Rolle der Hexen zerfasert, und deren Impetus wird nicht recht klar. Besagte drei Mädchen wirken dann auch bei MacBeth‘ Erscheinungen mit und fallen dann in die Rollen des von MacBeth wegzumordenden Macduff-Nachwuchses.

Hiroshi Matsui (Banco)

Der Obermafioso MacBeth betreibt ein Beerdigungsunternehmen. Da gibt es natürlich keine Probleme, ihn seitens der Organisation mit Geschäft zu versorgen. So spielt die erste Szene vor einem ausgehobenen Grab mit einem großen Sarg auf freier Fläche. Zur zweiten Szene senkt sich darüber ein aufwändiger und liebevoll im Detail gestalteter klassizistischer Saal mit moderner Möblierung (Bühnenbild: Friedrich Eggert). Das ist das Heim der Macbeths, hier werden der „König“, der in Weiß gekleidete Mafia-Boss empfangen, die Body-Guards betrunken gemacht und der Boss in einem Nebenraum abgemurkst. Durch eine breite Schiebetür gelangt man auf ein Podest weiter hinten, auf welchem der Bankett-Tisch errichtet wird, auf dem aber zuletzt die prachtvollen Särge des Gastgeber-Ehepaars aufgestellt sind. — Die Personenführung bleibt sehr zurückhaltend. Die Sänger werden sich freuen, dass sie sich auf ihren Gesang konzentrieren können; aber dafür ist meistens etwas mehr Bewegung in die gleichzeitig anwesenden Nebenfiguren gebracht. Das erscheint immerhin darstellerisch und musikalisch vorteilhafter als das Gegenteil, wenn sich die Sänger in Verrenkungen abmühen müssen und das Nebenpersonal stocksteif in den Ecken herumsteht. Zu wenig ist dem Regisseur allerdings bei der Bewegung der Chöre eingefallen. Wenn die nicht ohnehin aus dem Verborgenen singen, dann nehmen sie auf der Bühne „Aufstellung“, motorische Dramatik wird nicht erzeugt. Dennoch ist die Inszenierung gesamthaft betrachtet durchaus interessant, originell und vor allem bühnenwirksam.

Statisterie (Hexen)

Das Saarländische Staatsorchester stand unter der Leitung von Gastdirigent Christopher Ward und verlieh der nicht eben sehr raffinierten, sondern teilweise etwas holzschnittartigen Partitur einen erfrischenden Verdi-Klang. Ward bevorzugte flotte Tempi, setzte die dramatischen Tutti sehr prägnant von den reflektierenden Passagen ab und verlieh den Soli der die Holzbläser schönes Profil. Stimmgewaltig und klangschön präsentierten sich Chor und Extrachor des Staatstheaters, von Jaume Miranda einstudiert. Die Damen des Hexenchores entwickelten allerdings bei ihrem Auftritt von ganz hinten eine gewisse Eigengesetzlichkeit. Der staccato-Chor der Banco-Mörder erklang aus dem Untergrund und konnte so naturgemäß nicht sehr präsent klingen; aber schließlich konnte man ihn nicht durch den Salon der Macbeths ziehen lassen, wo sich Bancos Sohn versteckt hatte.

Melba Ramos (Lady Macbeth); Olafur Sigurdarson (MacBeth); Opernchor des Saarl. Staatstheaters

Die beiden Hauptrollen der Oper waren prächtig besetzt. Als Gast von der Wiener Volksoper sang Melba Ramos die Lady Macbeth. Sie verfügt über einen kräftigen, aber samtig ansprechenden, satten Sopran mit einer mezzo-artigen Eindunkelung. Sie ist die eigentlich treibende Kraft im Stück, kaltblütig wie sie ihre blutigen Hände im Sektkübel zu waschen versucht, emotional und leidenschaftlich im Gesang mit leuchtenden Höhen ohne jede Schärfe bei den immer sicheren Spitzentönen. Mit Olafur Sigurdarson stand ihr ein Macbeth zur Seite, der mit seinem gewaltigen Bariton nicht weniger überzeugte, den Krafteinsatz nie scheute, aber seine nachdenklichen und zweifelnden Passagen dennoch mit Ausdruckskraft gestaltete. Als Banco war mit Hiroshi Matsui ein voll strömender Bass besetzt. Als Macduff gefiel Jevgenij Taruntsov mit geschmeidigem bronzenem Tenor, der sich gut von János Ocsovais hellem Tenor in der Rolle des Malcolm abhob. In den Nebenrollen Herdís Anna Jónasdóttir als Gesellschaftsdame der Lady, Fjölnir Òlafsson als 1. Erscheinung und Arzt sowie Diener, Mörder und Bote. Die stumme Rolle des Mafia-Bosses Duncan spielte Gaetano Franzese, dem auch die Abendspielleitung anvertraut war. Das Terzett der Hexen wurde zuerst aus dem Untergrund gesungen, während die Mädchen AntoniaDi Rosa, Feliciana Solander und Mira Yazici dazu auf der Bühne Seilchenspringen übten.

Aus dem fast vollbesetzten Hause in Saarbrücken bedankte sich das Publikum mit lang anhaltendem Beifall für den gelungenen Opernabend, der noch am 12.06. , 22.06., 27.06., 06.07., 12.07. und am 20.07.2014 zu sehen sein wird.

Manfred Langer, 24.05.2014

Fotos: stage picture GmbH, Thomas M. Jauk