Vorstellung am 17.8.19 (Premiere am 13.8.)
Die Wiener Philharmoniker und Riccardo Muti: Eine Art Symbiose mit einem schwerlich zu übertreffenden künstlerischen Ergebnis. Es gab drei Wiedergaben der grandiosen Totenmesse Giuseppe Verdis, deren zweite (besprochen wird hier die dritte) dem dreißigsten Todestag Herbert von Karajans gewidmet war.
Ich hatte mehrmals Gelegenheit, Muti „das“ Requiem dirigieren zu hören, und seine Interpretation war nie die gleiche. Jedes Mal schien der Dirigent weiter die – eigentlich unerschöpflichen – Tiefen dieses Meisterwerks erforschen zu wollen. In der ausgezeichneten Akustik des Großen Festspielhauses konnte man einerseits jedes kleinste Detail hören, jeden Moment, in welchem sich einer der Musiker eines Orchesters auszeichnen konnte, das aus so vielen Könnern im Rang von Solisten besteht, andererseits die sofort erkennbare Klangfarbe, die nur bei den bedeutendsten Klangkörpern gesichert ist. So ist es auch unmöglich, einen besonderen Moment von Mutis Interpretation mit einem Orchester hervorzuheben, das Wachs in seinen Händen war. Das dramatische ‚Dies irae‘, die sanften Anrufungen des ‚Agnus dei‘, das Flehen des ‚Libera me‘ können nur als Beispiele einer Auslegung genannt werden, die mir wirklich sehr nah an dem scheint, was Verdi zum Ausdruck gebracht wissen wollte.
Den Intentionen Mutis folgte ein ausgezeichnetes Solistenquartett: Den Sopranpart sang Krassimira Stoyanova nicht nur mit großer stimmlicher Reinheit, sondern mit ebenso viel Ausdruck und furchtlos in den tiefen Noten, die Verdi der Solistin im ‚Libera me‘ abverlangt. Prachtvoll die Leistung von Anita Rachvelishvili im Mezzopart – eine leuchtende, über alle Register volltönende Stimme und, nicht zuletzt, stilistisch perfekt. Der Part des Tenors wurde von Francesco Meli mit der bei ihm bekannten Stimmschönheit und ausgezeichneten Technik gemeistert, aber auch mit einer Art spezieller Konzentration (beispielsweise im ‚Hostias‘), die vielleicht mit einer nicht 150prozentigen Form zusammenhing. (Das ist leider der Wert, an dem heute die herausragenden Sänger klassischer Musik gemessen werden). Den Basspart interpretierte Ildar Abdrazakov sowohl stimmlich, als auch stilistisch ausgezeichnet. Dass er kein echter Bass, sondern eher ein Bassbariton ist, ist bekannt, aber es ist auch eine Tatsache, dass echte Bässe in der Welt der klassischen Musik sehr rar geworden sind.
Die von Ernst Raffelsberger einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor extra loben zu wollen, hieße Eulen nach Athen zu tragen.
Ein ergriffenes Publikum feierte alle Mitwirkenden, nachdem sich der berühmte Knoten im Hals gelöst hatte.
Eva Pleus 25.8.19
Bild: Marco Borrelli